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Wenn es um Fragen des Glücks und auch dem Unglücklichsein geht, dann kommt auch unwillkürlich Paul Watzlawick, ein in Österreich geborener, in Amerika arbeitender Psychologe, ins Spiel, der im Jahr 2007 verstorben ist. Gerne erinnern wir uns an seine „Anleitung zum Unglücklichsein“, die amüsante Lektüre für Leute, die dazu neigen, sich das Leben schwer zu machen und nicht so genau wissen, wie sie das eigentlich am besten anstellen sollen.

In der Mischung zwischen Betroffenheit und Amüsiertheit kann man sich immer wieder selbst erkennen.

Einen seiner bekannten Vorträge aus dem Jahr 1987 brachte die “Tele-Akademie” des SWR zu dem Thema „Wenn die Lösung das Problem ist”.

Angeführt wird die Erzählung um ein französisches Ehepaar, dessen Kinderwunsch erst nach Jahren in Erfüllung ging und die so glücklich über die Geburt ihres, lange herbeigesehnten, Söhnchens waren, dass sie ihn “Formidable” nannten.

Sein Name wurde ihm zur Bürde, weil er immer klein und schmächtig blieb und darum zur Zielscheibe von Hohn und Spott wurde. Die zarte Konstitution und der auf eine mächtige und imposante Gestalt zielende Name wollten einfach nicht zusammenpassen.  Auf dem Sterbebett hatte er dann auch den letzten Wunsch, sein Name möge nicht auch noch auf seinem Grabstein verewigt sein. So schrieb die traurige Witwe:

 „Hier liegt ein Mann, der sein ganzes Leben lang seiner Frau treu und liebevoll ergeben gewesen ist.” Jeder, der fortan vorbeikam und die Aufschrift las, sagte unweigerlich: “Tiens, c’est formidable.” Was lernen wir daraus: Gerade wenn ich mir ein Problem vom Hals schaffen will und dazu eine Lösung finde, erzeugt manchmal gerade die Lösung erneut das Problem.

Paul Watzlawick zeigt uns, was Humor alles vermag. Wir können Nachbarn verärgern, Freunde vergraulen oder uns selbst von unserer Güte ausschließen oder dafür sorgen, dass wir möglichst viele Feinde haben. Das klingt grotesk, aber Watzlawick war davon überzeugt, dass sich jeder seine eigene Wirklichkeit, sein eigenes Glück schafft und sein Werk spiegelt ein Verhalten, wie man es besser nicht macht.

Vielleicht weniger bekannt ist die Geschichte vom „Traurigen Sonntag“, den Watzlawick im Buch „Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen“ (1986) beschreibt. Da geht es um einen Menschen “ohne Feinde” namens János Jankó aus dem ungarischen Städtchen Varumnyiháza. Einer, der ausgewandert und nun in „konfortabler Einsamkeit“ lebt. An seinem 55. Geburtstag bringt er einen „Traum in die Tagwelt“ hinüber und hat die schwermütige Zigeunerweise „Trauriger Sonntag“ in den Ohren.

Watzlawick beschreibt, dass dies Lied zur Jugendzeit Jankós der Grund einer angeblichen Selbstmordwelle in seiner „für diese Patentlösung schon immer anfälligen Heimat und daher sogar behördlich verboten worden war“ (Watzlawick, S. 108). Durch diese Gewaltlösung sei das Lied womöglich noch berühmter geworden.

Dies Lied hat nun in Jankó ausgelöst, dass er sich plötzlich selbst nicht mehr genügte. Er nahm ein Gefühl der Leere und der wachsenden Feindschaft gegen sich selbst wahr, „wie er es in dieser Stärke noch nie gegen einen anderen verspürt hatte“. fühlte sich bedroht, magerte ab, schlief nicht mehr – sah zunehmend keinen Sinn mehr im Leben. Unerwartet kam ihm wieder Dostojewskis Dämonen in den Sinn und die Szene, in der Kirilloff erklärt, der Tod Christi erweise sich als die Sinnlosigkeit der Welt. Genau wie Kirilloff sah er im Tod mit der Pistole die Lösung.

Jankó erinnerte sich, dass er bereits zweimal im Leben vor dieser Entscheidung stand. Einmal als er den Verdacht auf einen Tumor hatte und auf den „Urteilsspruch” des Pathologen 48 Stunden warten musste. Beim zweiten Mal, als sein Überleben ebenfalls bedroht war „Von den Okkupanten und der von ihnen praktizierten Endlösung, von ihren immer näher rückenden Gegnern, und von den allnächtlichen Bombenteppichen jener, von denen allein die Rettung einer heilen freien Welt zu erwarten war.“ Er hatte zwar eine Pistole, aber ihm fiel auf, dass er in den Momenten des Hungern und der Angst nicht an die Sinnlosigkeit der Welt, sondern nur ans Überleben gedacht hatte.

Er begriff, was George Orwell in einem seiner Essays schrieb:

„Menschen mit leeren Bäuchen verzweifeln nie am Universum, ja, sie denken nicht einmal daran.“

Die Erinnerungen bewirkten bei Jankó, dass er eigentlich nicht sterben wollte, sondern sich leidenschaftlich danach sehnte, etwa Neues, einen grundlegenden Wandel zu erfahren. Und was tat er nun: er verwarf die Patentlösung mit der Pistole und trat wieder in den Dienst der Negentrophie, beschreibt Watzlawick in dem ihm eigenen Humor, und weiter „Weniger hochwissenschaftlich ausgedrückt: Er trat aus dem Gegensatzpaar ‚Leere des Lebens oder Leere des Todes‘ heraus und begab sich auf die Irrwege der Suche.“   

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