Du betrachtest gerade „Mascha K. (Tourist Status)“ Erfolg, Glück, Einsamkeit, Entfremdung – eine Lebensbilanz

Die Dichterin Mascha Kaléko hat ein bewegtes Leben. Das Schauspiel Frankfurt hat die Idee, aus einzelnen Stationen ihres Lebens mit Hilfe der Dramatikerin Anja Hillig einen Theaterabend daraus zu formen. Am Anfang dieser Reise durch das Leben von Mascha K. stehen die leuchtenden 1920er Jahre in Berlin der Zwischenkriegszeit. Die junge Macha trifft mit ihren Gedichten einen Nerv ihrer Zeit und wird in jungen Jahren eine Berühmtheit. In einer Bilanz ihres Lebens schaut Mascha K. auf ihre Lebenszeit zurück. Sie ist geprägt durch den Verlust ihrer Heimat, ein Berufsverbot, eine Flucht nach USA, Armut, einem versuchten Comeback nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland. Ihre Gedichte befassen sich mit Trauer und Vergessen. Sie will sich nicht im eigenen Leiden einrichten, sondern sich durch das Schreiben neue Räume erschließen. Anja Hillig nimmt den Zuschauer in ihrer Textfassung mit auf die emotionale Reise, um diese Persönlichkeit Mascha K. kennenzulernen. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEl hat das Schauspiel rezensiert. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Das Stück ist in drei Stationen eingeteilt: Berlin, New York und Israel. An diesen Orten passierten fundamentale Umbrüche im Leben der Dichterin. Wichtig, um sich Mascha K. als Person anzunähern ist zu begreifen, dass ihr Leben von den Themen Flucht und Emigration geprägt worden ist.

Mascha K. kommt mit ihren Eltern und den Geschwistern nach Ausbruch des 1. Weltkriegs von Galizien nach Deutschland. Die Familie landete in Berlin. Die drei wichtigen Stationen im Leben der Mascha K. werden von drei unterschiedlichen Schauspielerinnen Lotte, Schubert, Melanie Straub und Anna Kubin verkörpert.

Im ersten Akt erlebt der Zuschauer eine rauschhafte, niemals enden wollende Partynacht im wilden Nachtleben im Berlin der 1920er und 1930er Jahre. Die junge Mascha K. (Lotte Schubert) wird in die Künstlerszene aufgenommen. Zunächst ist sie nur eine Beobachterin, doch schnell wird die junge Mascha K. ein Teil dieser Bohème. In diesem exzessiven Nachtleben begegnet Macha zum Beispiel Else Lasker-Schüler und ihrem späteren Verleger Ernst Rowohlt.

1933 erscheint im Verlag von Ernst Rowohlt der erste Gedichtband „Das lyrische Stenogrammheft“. Es wird ein großer Hit, und Mascha surft auf einer Welle des Erfolgs. In dieser bewegten Zeit trifft Mascha auch die große Liebe ihres Lebens, den Komponisten und Chorleiter Chemjo Vinaver. Für diese gro0e Liebe verlässt Mascha ihren ersten Mann. Es war eine von der Familie arrangierte Ehe, und sie bekommen einen gemeinsamen Sohn.

Doch das private Glück wird bald von bösen Meldungen getrübt. Sie wird aus der Reichsschriftkammer ausgeschlossen, ihre Werke werden verboten. Mascha und Chemjo beschließen daraufhin, die Zelte in Deutschland abzubrechen und sich ins Exil in die USA zu begeben.

Im zweiten Akt beginnt für Mascha ein neuer Lebensabschnitt in New York. Mascha findet sich in einer kleinen Wohnung wieder. Es gibt für sie keine Möglichkeit, sich weiter künstlerisch zu betätigen. Auch ihr Mann hat nur begrenze Möglichkeiten, die Familie mit seinen Kompositionen durchzubringen. So muss Mascha für die Familie eine Lösung finden.

Sie ist zwar nicht als Künstlerin in New York gefragt, aber sie kann sich trotzdem kreativ betätigen. Sie wird kurzerhand Werbetexterin. Gleichzeitig kümmert sie sich um den Haushalt und fungiert als Dolmetscherin für ihren Mann. Dieser hat es in New York weit besser getroffen. Er geht seinen persönlichen Neigungen mehr nach als Mascha. Chemjo zeichnet in New York die Melodien der religiösen chassidischen Synagogengesänge auf, die in unterschiedlicher Vielzahl innerhalb der Synagogen von Mund zu Mund weitergegeben werden. Er sammelt auf diesem Weg eine stetig wachsende Anthologie.

Dies führt im zweiten Akt zu großen Konflikten im Eheleben von Mascha und Chemjo. Sie fühlt sich nicht fair behandelt. An ihr bleibt das „bisschen Haushalt“ alleine kleben. Chemjo hat seine Gedanken bei der Arbeit und seinen Gemeindemitgliedern der Synagoge, aber er bringt sich nicht besonders in den gemeinsamen Alltag ein. Für seine Arbeit erfährt Chemjo viel Anerkennung von den Gemeindemitgliedern. Er hat einen hohen sozialen Status in New York. Während Mascha das Label ‚Hausfrau‘ übergestülpt bekommt. Ihre Arbeit in der Werbeagentur ist Chemjo peinlich. Er verschweigt diese vor den Nachbarn. Denn er möchte gerne als der alleinige Ernährer der Familie dastehen und nicht zugeben müssen, dass sein Gehalt nicht für die Versorgung der Familie reicht und Mascha mit hinzuverdienen muss.

In ihren Erinnerungen ist die Zeit in den USA von Armut und Anonymität geprägt. Mascha gewinnt dort keine Freunde. Umso glücklicher ist sie, als die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten endet. Mit großer Euphorie kehrt Mascha in ihre Rolle als Dichterin nach Deutschland zurück. Die Beziehung zum Verleger Rowohlt werden wieder aufgenommen. Er lässt ihre Werke neu auflegen. Sie feiert ihr Comeback als Dichterin. Alles scheint perfekt für einen Neustart in Deutschland. Leider sollte Mascha nur ein kurzes Intermezzo für ihr Comeback vergönnt sein. Es ereignet sich eine Wende, die für Mascha das Karriereende als Dichterin bedeutet. Als Mascha aus Sicht der Kritiker hochmütig den Fontane-Preis ausschlägt, weil die Jury mit ehemaligen SS-Mitgliedern besetzt ist, verliert sie die Unterstützung durch die neue literarische Avantgarde und ihren Verleger Rowohlt.

So bekommt sie keine neuen Angebote, etwas Literarisches zu schaffen. Es wird immer stiller um Mascha. Deshalb wendet sich Mascha im dritten Akt von Deutschland ab. Sie lässt sich von ihrem Mann davon überzeugen, gemeinsam nach Israel auszuwandern. Ihr Mann Chemjo Vinaver hat in Israel eine interessante Aufgabe für sich gefunden. Er darf in Israel seiner Forschungsarbeit nachgehen.

In Israel hat Mascha keine Chance, sich kreativ wie in den USA in einer Werbeagentur einzubringen. Ohne ein gutes Umfeld vereinsamt Mascha zunehmend. Sie fühlt sich in Israel fremd. Sie wird nie den Touristen Status ablegen. Deshalb der Untertitel zum Stück „Tourist Status“. Körperliche Gebrechen machen Mascha in Israel zu schaffen. Außerdem leidet sie daran, dass sie keinen künstlerischen Erfolg in Israel für sich erzielen kann. Schicksalsschläge für Mascha sind der Tod des Sohns und wenig später der Tod des geliebten Mannes. Schreiben ist ihre Art mit dieser Situation umzugehen.

Daher hört Mascha niemals auf zu Schreiben. In der Schriftstellerei findet Mascha, Halt, Trost und eine (fiktionale) Heimat. Die Regie von Christina Tscharyiski nimmt den Zuschauer mit auf die Reise in das Leben von Mascha K. Die Story steht exemplarisch für ein Frauenleben. Mascha ringt mit der eigenen kulturellen, religiösen Identität. Sie erlebt Bedrohung, Flucht und eine prekäre Lebenssituation. Die drei Maschas begleiten den Zuschauer auf seiner Reise durch die wichtigsten Stationen im Leben dieser Frau.

Am Ende möchte der Rezensent Mascha Kaléko selbst zu Wort kommen lassen: “Gedichte machen ist wie angeln nach einem elektrischen Fisch der funkensprühend auftaucht und entschwindet. Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen tauche ich hinab, nach Perlen zu fischen.“

Nachklapp: Während sich Mascha K. im ersten Akt vor Verehrern und begeisterten Fans kaum retten kann, ist Maschas Leben im dritten Akt von Einsamkeit geprägt. Das ist schon ein großer Unterschied. Mit dem Thema Einsamkeit macht das Schauspiel Frankfurt ein großes Fenster auf. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, bei dem die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Es kann als ein Mangel an engen, emotionalen Bindungen empfunden werden oder entsteht, wenn man weniger Kontakt zu anderen Menschen hat, als man gerne möchte. Davon Abzugrenzen ist das Alleinsein.

Während Alleinsein manchmal positiv erlebt wird, ist Einsamkeit oft mit negativen Gefühlen verbunden. Mascha hält sich für eine Touristin. Dies meint auch ihre innere Distanz zu Israel. Es ist ganz anders dort zu leben, als im wilden Berlin der 1920er Jahre. Dort fühlte sich Mascha als gesellig und mit ihrer Umgebung verbunden.

Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fühlten sich 2024 besonders junge Erwachsene zwischen 16 und 30 Jahren einsam. Dies war in Maschas Leben die Zeit, in der sie sich als erfolgreiche Dichterin etabliert hat. Ab dem 30. Lebensjahr hat sie sich in den USA mit dem Überlebenskampf in Armut zu beschäftigen. Maschas Einsamkeit begann in Israel, wo sie sich wie ausgesetzt in einer Wüste empfunden hat.

Mascha erlebt das Phänomen Einsamkeit im Alter. Bei ihr wird es durch soziale Isolation verstärkt. Diese Einsamkeit fühlt Mascha aufgrund der Verluste ihres Partners und des Kindes. Daneben hat Mascha gesundheitlichen Einschränkungen. Sie spürt zudem keinen Erfolg in ihrem Berufsleben. Aus dieser Isolation entsteht bei Mascha ein Gefühl der Abgeschiedenheit von der Welt. Es ist für den Zuschauer sehr hilfreich, sich diese Mechanismen der Einsamkeit am Beispiel der Mascha K. bewusst zu machen.

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Danke für das Bild „Ladder Success Beyond“ by Gerd Altmann from Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:7. Januar 2025
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