Alle Jahre wieder erfreuen mich Leserbriefe zum Thema der Raunächte. Diese Nächte der Wunder laden zum Staunen ein. Es sind die geheimnisvollen Nächte zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, 12 Nächte um die sich Mythen, Rituale und Traditionen ranken. Dazu gibt es Gebote und Verbote, bäuerliches Brauchtum wie „Die wilde Jagd“, ein Unheil kündender Zug übernatürlich-dämonischer Gestalten oder etwa in Skandinavien die „Odins Jagd“. Im Artikel „Mythos Raunächte“ kann man nachlesen, „Odin“ bzw. „Wodan“ weise auf dieselbe indogermanische Sprachwurzel zurück wie das neuhochdeutsche Wort „Wut“, welches in diesem Kontext auch als göttlich verliehene Ekstase interpretiert werden könne. Wenn das nicht wunderbar zu unserem Seminar der göttlichen Ekstase passt! Auch Herrn Trebitz haben die Raunächte zu Erinnerungen angeregt, dafür herzlichen Dank!
Rau(h)nächte – ein Beitrag von Winfried Trebitz
Inspiriert, meine Gedanken zu den Raunächten niederzuschreiben, hat mich ein Radiobeitrag den ich bei SWR Kultur am 27.12.2024 hörte. Das weckte Erinnerungen, weil auch in unserer Familie bestimmte Handlungen während der Raunächte üblich waren.
Ich wurde in dörflicher Umgebung in der Oberlausitz geboren, meine Frau hatte ihre Wurzeln in einem kleinen Ort im Vogelsberg. Dadurch ergab sich unbewusst ein gegenseitiges Verständnis für bestimmte Handlungsweisen und überlieferte Rituale zum Jahreswechsel, die uns beide in früher Kindheit prägten. So brannten immer Kerzen, die Kinderzimmer mussten aufgeräumt sein, es wurde keine Wäsche gewaschen und auch die Räuchermännchen waren in Betrieb. In dieser Zeit machten wir zusammen mit den Kindern Pläne für das kommende Jahr.
Was sind aber die Raunächte? So werden die 12 Nächte zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige bezeichnet. Diese Nächte werden auch als Zeit „zwischen den Jahren“ bezeichnet. Grund dafür ist, der Wechsel vom germanischen Mondjahr, welches nur 354 Tage hatte zum Sonnenjahr mit 365 Tagen.12 Nächte waren „übrig“. Erst 1691 legte Pabst Innozenz XII. den Anfang eines neuen Jahres auf den 1. Januar fest.
In Deutschland, Österreich, in der Schweiz, aber auch in Skandinavien gibt es die unterschiedlichsten Rituale, welche sich aus dem regionalen Kontext oder dem historisch überlieferten Brauchtum entwickelten.
Ein wichtiges Ritual war die Wetter-Vorhersage. Die 12 Nächte stehen im bäuerlichen Verständnis für die 12 Monate im Jahr.
So war es in ländlichen Regionen üblich, z.B. das Zwiebelorakel zu befragen. In der Lausitz wurde eine Zwiebel der Länge nach durchgeschnitten, 12 Schälchen entnommen, diese nebeneinandergestellt, mit etwas Salz bestreut und am nächsten Morgen geschaut, wie feucht das Salz war. Die erste Schale gab Auskunft über die Niederschlagsmenge des ersten Monats usw..
Unbedingt gehörte auch das Räuchern dazu. In Räucherschalen wird unterschiedlichstes Räucherwerk durch das Haus getragen. Der Rauch wird in alle Ecken gepustet, damit sich das übers Jahr gesammelte Negative in Rauch auflöst und Platz für etwas Neues, Positives macht. Im Erzgebirge und der Lausitz gibt es Räuchermännchen, kunstvoll geschnitzte Holzfiguren, die im Inneren Platz für einen Räucherkegel hatten.
Im Vogelsberg wurde eine Räuchertonne bestückt und im Hof vor die Stalltür gestellt, so dass der Rauch eindringen konnte.
In der Gartenzeitschrift „Kraut und Rüben“ fand ich diese Tabelle:
25. Dezember – Januar: zurückblicken, Altes loslassen | Weihrauch
26. Dezember – Februar: still werden, zur Ruhe kommen | Weihrauch, Zedernholz
27. Dezember – März: sich für andere und sein Inneres öffnen | Weihrauch, Wacholder
28. Dezember – April: auf sein Inneres vertrauen | Weihrauch, Myrrhe, Tanne
29. Dezember – Mai: sich Gutes tun, genießen | Weihrauch
30. Dezember – Juni: verzeihen, vergeben, Beziehungen heilen | Beifuß, Wermut
31. Dezember – Juli: die eigenen Gefühle wahrnehmen | weißer Salbei, Kampfer, Kiefernholz
01. Januar – August: Entscheidungen fürs neue Jahr treffen | Weihrauch, Myrrhe, Zedernholz
02. Januar – September: Impulse der letzten Nächte prüfen und sortieren | Myrrhe, Tanne
03. Januar – Oktober: achtsam werden für das, was ist | Kampfer, Weihrauch, Wacholderspitzen
04. Januar – November: dankbar sein für das, was ist | Weihrauch
05. Januar – Dezember: den Sinn der Impulse der letzten Nächte erkennen | Weihrauch, Myrrhe
Auch die Traumdeutung während der Raunächte war von Bedeutung. Jede Nacht stand für den entsprechenden Monat des nächsten Jahres. Es ist auch heute noch so, dass man nach dem Aufwachen seinen Traum notiert und im Jahresverlauf prüft, was eingetroffen ist.
Ein Ritual, welches wir nur aus Erzählungen kannten waren die 13 Wünsche.
Vor Beginn der Raunächte wurden diese auf kleine Zettel geschrieben, zusammengefaltet und ab der Nacht zum 25. Dezember wird jeden Tag ein Zettel verbrannt. Diese Wünsche sollten von höheren Mächten erfüllt werden. Um Erfüllung des 13. Wunschs, der nach Ende der 12 Raunächte übrigblieb, musste man sich selber kümmern.
In Süddeutschland und im Alpenraum zieht Frau Percht mit ihren Gefolge durch die Dörfer. Alle in Felle gehüllt mit grusligen Tiermasken auf dem Kopf und verbreiteten mit Kuhglocken und Schellen einen höllischen Lärm. Ihr Ziel: Die bösen Geister und den Winter zu vertreiben.
In der Lausitz und auch Vogelsberg hatten die Jugendlichen einen abgemilderten Brauch: Am Heilig Drei Königstag kamen sie in ärmlicher, abgerissener Kleidung zu den Bauern und bettelten um ein Stück Streuselkuchen, übrig gebliebene Kekse oder einen Kreppel.
Die Tage der Raunächte sind kurz und die Nächte natürlich viel länger.
Zu Zeiten ohne elektrisches Licht und modernen Heizungen war das schon eine Herausforderung. Man saß im Kerzenschein beieinander, nicht weil das romantisch oder gemütlich war, sondern notgedrungen.
Dank für das Bild vom „Schlachtperchen“ von Nina auf Pixabay