Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Bäume hören? Bäume sind diese erstaunlich „wichtigen“ Holzpflanzen, die sich nichts Besseres einfallen lassen, als aufrecht in die Höhe zu wachsen und ihre majestätischen Kronen auszubreiten. Sie gelten als „unverzichtbar“ für die deutschen Wälder, als ob diese nicht auch ohne ihre Präsenz existieren könnten. Mit ihren ökologischen Funktionen tun sie so, als ob sie das Gleichgewicht der Natur bewahren würden – wie niedlich! Und dann diese kulturellen Bedeutungen: Bäume als Symbole des Lebens und Schutzes? Klar, sie stehen einfach nur herum und tun so, als hätten sie tiefere Bedeutungen. Und als ob das nicht genug wäre, gibt es weltweit beeindruckende 3,04 Billionen Bäume. Diese Argumentation zeigt, die Bedeutung von Bäumen im Alltag der Menschen. Deshalb widmet das Schauspiel Darmstadt diesen unglaublichen Lebewesen einen rund 100 Minuten langen Theaterabend, mit dem prägnanten Titel „Interviews mit Bäumen“. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL berichtet für uns, mit herzlichem Dank!
Liebes UniWehrsEL,
In Interviews mit Bäumen hat das Staatstheater Darmstadt seinen Wald aus dem Stück Wilhelm Tell pragtischerweise recycelt, zu Deutsch wiederverwertet. Wer nun auf einen etwas trögen Abend über Umweltschutz und Belehrung denkt, ist bei dem „frechen“ Theaterabend auf der völlig falschen Fährte. Denn statt in einem schnöden Märchenwald aus Hänsel und Gretel landen die Zuschauer auf einem Filmset.
Der alternde Hollywoodstar Celeste Cipollini möchte einen Lehrfilm drehen. Ihr konkretes Anliegen ist, den heiligen Wald der Lakota Sioux Indianer zum Thema zu machen. Dabei zeigt sie vollen Einsatz. Celeste schlüpft höchstpersönlich in die Rolle der Coloradotanne. Als Spielpartner hat Celeste den bekannten Hollywoodschauspieler Bradley Everett für die Rolle der Douglasie (ebenfalls ein Baum) gewinnen können, für diesen Dreh im heimischen Frankenwald. Trotz der Kosten kann sie nichts und niemand davon abhalten. Als schwieriger Endgegner begegnet der ambitionierten Schauspielerin dabei das Landesumweltamt. Es hat kein Verständnis für die Kunst und will nicht, dass die Blätter des heimischen Waldes künstlich (ein-)gefärbt werden.
Von dem künstlerischen Nutzen konnte die Hollywood-Schönheit und Produzentin des Films über den Lakota Sioux Wald diese strenge deutsche Behörde einfach nicht überzeugen. „Immer diese Bürokratie in Deutschland“, hört sich der Zuschauer laut denken. Diese unsägliche Bürokratie macht jede unternehmerische Tätigkeit zunichte, und das bei einer so berühmten Hollywood-Lady! Selbstverständlich nimmt die Diva diese Qualen der deutschen Bürokratie nicht auf sich, um die Welt zu retten. Nein, etwas will die Hollywood-Lady auch dran verdienen. Der Streifen soll ihren Ruhm mehren und vielleicht auch ihre Geldbörse aufstocken. Dies alles erzählt Celeste Cipollini dem Journalisten Leif Marquart von der Frankenpost. Diese wird zwar selten in Darmstadt gelesen, stattdessen das Darmstädter Echo, aber dieses Detail soll dem Darmstädter Publikum nicht den Spaß an diesem Interview mit Bäumen vermiesen.
Im zweiten Interview erfährt der Zuschauer kurz, was aus dem Journalisten Leif Marquart geworden ist. Dieser konnte die aufgesetzte, arrogante Art der amerikanisch-italienischen Filmdiva mitunter nicht mehr aushalten. So hatte er, als die Diva eine gedankliche Gesprächspause eingelegt hatte, die brave Lady mit ihrem eigenen Wasser bespritzt. Nicht nur, dass Leif Marquart durch die Journalistin Linda Püschel ersetzt wurde, sondern er darf auch nicht mehr am Filmset auftauchen.
Im weiteren Interview soll nun der amerikanische Schauspieler Bradley Everett auf die junge Journalistin Linda treffen. Der Film-Mime lehnt ein Gespräch mit Linda rundherum ab. Schließlich habe er sich gerade erst an die Anwesenheit von Leif gewöhnt. Mit ihrer vollen (weiblichen) Überzeugungskraft versucht Linda nun den Mimen von einem Interview zu überzeugen. Dabei erfährt der Zuschauer, was für Selbstzweifel den schönen Titelhelden, der sonst nur auf sein Äußeres reduziert wird, plagen. Er ist mehr ein Objekt weiblicher Begierde, als ein ernstzunehmender Schauspieler. Ein Hollywoodschauspieler mit ‚Oscar‘. Davon ist er gefühlt meilenweit entfernt. Das macht ihn traurig.
Deshalb hat er die Rolle als Baum angenommen, um sich dem Publikum von einer völlig neuen aber artigen Seite ohne Sexappeal zu zeigen. Denn der Mann spürt die Last des Sexappeals gegenüber den weiblichen Fans. So kommt der Schauspieler Bradley Everett dem Lied von Friedrich Hollaender mit dem Text „Ach, was wäre das für ein Gefühl, ein Sexappeal im Garbostil von außen warm von innen kiehl!“ sehr nahe. Als nun die Journalistin ihn als Menschen behandelt, so wie er es sich seinen Worten nach wünscht, gerät der Schönling in eine Sinnkrise. Er hält sich nun für zu innerlich und will wieder oberflächlich „schön“ werden. So spricht Linda eine Einladung zum Essen aus, um das gekränkte Ego des Mannes wieder aufzurichten. Am Ende interviewt Linda ihn über seinen Beziehungsstatus und nicht über seine Darstellung eines Baums.
In Teil drei treffen Linda und Leif auf einem Parkplatz im Wald zusammen. Dort gibt es leckere Würstchen. Nach einem freundschaftlichen Vorgeplänkel geht es nun endlich zur Sache. Nein, es geht nicht über Bäume, sondern über den Beziehungsstatus von Linda und Leif. So werfen sich beide intrigantes Verhalten vor. Schließlich muss es einen Grund haben, warum beide von der Lokalzeitung gefeuert worden sind. Sie verdächtigen sich gegenseitig der Anschwärzung. Im Gespräch erfahren sie jedoch, dass die Filmleute Celeste und Bradley hinter der Entlassung stecken. Über Leif erfährt der Zuschauer, dass er mit einem Mann ohne Einkommen auf einem Bauernhof lebt. Über Linda, dass sie als Karrieregeil in der Redaktion der Zeitung verschrien war. Beide führten ein recht unglückliches Dasein als Journalisten in einer „gehetzten“ Medienlandschaft, die auf Sensationen aus ist. Leider haben die Kollegen den Knüller über den Filmdreh herausgefunden und Leif, Linda sind nur Statisten im journalistischen Haifischbecken.
Mittlerweile sind das Filmset und der Wald in Flammen aufgegangen. Die Sensationsnachricht für die Zeitung aber leider ohne die beiden Spitzenjournalisten. Leif und Linda erfahren ironischerweise von dem Knüller wie alle normalen Leute aus der Zeitung. Im Nachspiel sieht der Zuschauer nun die Umsetzung des Films der Produzentin Celeste Cipollini. Der Wald wurde ersetzt durch ein Flugzeugset.
In der First Class unterhalten sich zwei Baumäste über das Leben im Wald und wie schön es ist, einmal als Ast Urlaub vom Wald zu machen. Gespielt werden diese Äste von Celeste und Bradley. Diese synchronisieren den Film. Wörtlich bedeutet Synchronisation griechisch gleichzeitig und chronos die Zeit. Bei einem Film bedeutet Synchronisation, dass Daten auf unterschiedlichen Endgeräten auf den gleichen Stand gebracht werden. So wird der Zuschauer also auf den neusten Stand über den Film gebracht. Die Bäume und ihre Stimmen philosophieren über das Leben im Flugzeug, den Stress der Welt und das Schöne am Urlaub im Besonderen. Damit endet dieser denkwürdige Theaterabend.
Der Autor und Regisseur Michael Decar zeigt mit diesem Theaterstück widersprüchliche Figuren der Gegenwart auf. Diese eigenwilligen Personen kommen dem Zuschauer irgendwie vertraut und bekannt vor. Denn diese Typen gibt es vermutlich im Frankenwald genauso wie im Hollywood-Wald. Die zwei Schauspieler stehen für Menschen, die getrieben sind, von Ruhm und dem Verlangen nach Erfolg. Sie stehen unter dem Druck, abliefern zu müssen. Dieses Problem haben aber nicht nur die Stars aus dem fernen Hollywood, sondern auch die heimischen Reporter. Dabei zeigt der Text anhand des Verhaltens von Celeste und Linda, dass auch Frauen dazu neigen, toxisch-patriarchalische Verhaltensmuster zu übernehmen, wenn sie damit erfolgreich in einer Männerwelt bestehen können. Diese Frauen spüren sich nur, wenn sie brennen für ihren Beruf und diese hingebungsvolle Ambition auch in jeder Sekunde das Umfeld (Filmset oder Redaktion) spüren lassen. Die Frauen scheitern an sich selbst. Da sie anderen im Team keinen Platz lassen, ebenfalls zu glänzen.
Gegen diese ‘Machofrauenfiguren‘ stellt der Text softe Männer. Leif und Bradley sind emotional intelligent, ruhig und verletzlich. Sie haben Gefühle und zeigen diese auch. Ein Fazit ist: Menschen, egal ob sie Hollywoodstars sind oder Lokalreporter, wollen Gesehenwerden von den Mitmenschen. Nicht der Hollywoodstar rettet mit dem Film über Bäume die Welt, sondern es ist die Begegnung von unterschiedlichen Menschen, die für einen Austausch und eine hoffentlich bessere Kommunikation sorgen. Denn die Kommunikation zwischen den Menschen ermöglicht mehr Verständnis auf beiden Seiten. Dies ist der erste Schritt hin zur tatsächlichen Rettung der Welt. Nicht ein schnöder Hollywoodfilm, der mit grünen Bäumen als Deko-Kunstwerk wirbt.
Mit besten Grüßen vom Kulturbotschafter des UniWehrsEL, und ich freue mich über einen Kommentar!
Danke für das Bild der Douglasie von Manfred Richter from Pixabay