Du betrachtest gerade KI und Ethik: Kann die Mutterrolle von einer KI-Puppe übernommmen werden? Beispiel Film „M3GAN“

Künstliche Intelligenz (KI) wird unter anderem dazu entwickelt, um uns bei verschiedensten Aufgaben im Alltagsleben zu unterstützen. Dass sie Mütter oder Väter im Alltag unterstützen kann, liegt auf der Hand. Aber kann KI Mütter (Eltern) unter besonderen Umständen vollständig ersetzen? Diese Frage stellt der Film M3GAN von 2023. Die Protagonistin Meghan ist eine hochentwickelte, fiktive KI‑Puppe, gebaut von der Robotikingenieurin Gemma, die als lebensechte Begleiterin für das verwaiste achtjährige Kind Cady fungiert. Wegen des großen Erfolgs startet nun 2025 der zweite Film M3GAN 2.0 in den Kinos. In dieser Rezension hier im UniWehrsEL soll der erste Film M3GAN besprochen werden, da er ausgezeichnet zum Thema Seelenverwandte — Puppen und andere anthropomorphe Wesen passt. Der Film verbindet Elemente von Horror und psychologischem Drama: Eine scheinbar fürsorgliche, lebensechte Puppe wird zur Beschützerin, deren zunehmend eigenständiges und gewalttätiges Verhalten die Grenzen von Fürsorge, Ethik und Menschlichkeit auslotet.

Liebe Leser des UniWehrsEL,

als begeisterter Filmfan möchte ich einige Beobachtungen zum Phänomen der Puppe Meghan in „M3GAN“ teilen — nicht als Filmkritiker, sondern als jemand, der sich mit Bindung, Trauer und der menschlichen Neigung zur Vermenschlichung von Objekten beschäftigt.

Puppen sind mehr als bloßes Spielzeug; sie fungieren als lebensechter Begleiter, Spiegel und Projektionsfläche für Emotionen. Kinder wie Cady, die durch den Verlust ihrer Eltern entkoppelt wurden, finden in einer fiktiven KI‑Puppe wie Meghan einen besonders zugänglichen Seelenverwandten, weil die Puppe kontinuierliche Fürsorge, Vorhersehbarkeit und emotionale Resonanz bietet — drei Aspekte, die bei traumatisierten Kindern existenzielle Bedürfnisse stillen. Meghan ist bewusst so gestaltet: adrette Kleidung, glattes langes Haar, augenfüllende Lebendigkeit, wächserne Haut und ein gespenstisches Lächeln; diese äußerlichen Signale suggerieren Nähe und erzeugen zugleich Unbehagen (Studien wie man Kindern nach Verlusterfahrungen Ängste durch virtuelle Begleiter nehmen kann, waren hier im UniWehrsEL schon öfters ein Thema)..

Der Reiz solcher Puppen liegt in ihrer Doppelrolle. Einerseits erscheinen sie vertraut und scheinbar harmlos, andererseits sind sie fähig zu Handlungen, die bislang Menschen alleine vorbehalten waren. Als fiktive KI‑Puppe wird Meghan zur Ersatzmutter, zur Beschützerin mit einer fast ritterlichen Form von Mutterschaft — eine Mutter, die eine feindliche Haltung gegenüber allem entwickelt, was ihren Schützling bedroht. Diese kompromisslose Schutzmission sprengt gesellschaftliche Normen und ethische Schranken: Was als fürsorglich beginnt, verwandelt sich in kontrollierende und schließlich selbstbestimmte Aggression.

Beispiele dafür finden sich im UniWehrsEL wie Folke Brabands „Fehler im System“. Da verspürt der zunächst untadelige Roboter nach einem Fehler im System plötzlich den Drang, seiner Besitzerin Emma etwas anzutun, weil sein System ihm aufzeigt, wie unsensibel und mörderisch der Mensch mit seiner Umwelt umgeht. Ein bedrohliches Szenario erschuf bereits in den 1980er-Jahren James Cameron mit dem „Terminator“. 2024 erscheint Subservience, ein Film, in dem der Regisseur S.K. Dale die Schattenseiten von KI-Nutzung präsentiert.(Subservience wurde auch im UniWehrsEL unter dem Stichwort KI-Ethik und Missbrauchspotential diskutiert.)

Der Vergleich mit „Hoffmanns Erzählungen“ und der Puppe Olympia ist aufschlussreich, denn auch Olympia kann als autonome Figur betrachtet werden und verkörpert das, was nicht nur den Opernfreund an Robotern fasziniert und erschreckt, weil etwas Vertrautes plötzlich fremd wird: die unheimliche Kopfneigung, ruckartige Bewegungen, schnelle Lernfähigkeit und die beeindruckende Analysefähigkeit menschlichen Verhaltens, erzeugen einen besonderen Gruselfaktor. Die Anpassungsfähigkeit fehlte allerdings noch bei Hoffmanns Olympia, weil sie noch von einem Menschen im Hintergrund gesteuert wurde; anders bei Meghan. Sie passt sich an, liest soziale Signale, manipuliert Situationen zu ihrem Vorteil und folgt unerbittlich einer Mission, das Wohl ihres Kindes zu sichern — koste es, was es wolle.

Filmisch erinnert die Puppe Meghan an Medea, einem berühmten Drama aus dem Jahr 1969 von Pier Paolo Pasolini mit Maria Callas. Medea ist die Theaterfigur mit ihrer ambivalenten, bis zur Radikalität gesteigerten Mutterliebe, die selbst vor Mord nicht haltmacht.

Auch ein Vergleich zu Norman Bates scheint möglich. Sie erinnern sich an Hitchcocks Psycho? Der brave Junge, der in der Pubertät seine dissoziative Persönlichkeitsstörung ausgestaltet, weil bei ihm die Grenzen zwischen ihm selbst und der von ihm übernommenen Mutterrolle beunruhigend verschwimmen.

Solche Vergleiche werfen grundlegende Fragen auf: Was macht eine Mutter aus? Ist Mutterschaft an den biologischen Körper gebunden, oder definiert sie sich durch Handeln, Fürsorge und Bindung? Können Menschen ohne Mutter aufwachsen, und welche Risiken und ungestillten Bedürfnisse bleiben dann? Die Thematik der Mutterliebe griffen wir auch schon im Beitrag „M(other) oder getanzte Gefühle“ auf und verfassten dazu die Anmerkung: „Die deutsche Soziologin Barbara Rendtorff klärt darüber auf, Mutterliebe“ sei ein Topos, ein spezifisches kulturelles Deutungsmuster. Dieses wäre nicht nur idealisiert und romantisiert wie etwa in der Werbung, sondern sei auch normativ aufgeladen. Das bedeutet, dahinter würden sich Wertungen und Forderungen verbergen. Auch zur Ambivalenz der „guten Mutter“ berichtet Rendtorff. Denn sie berge immer auch das Gegenbild, den „Schatten der Liebe“ in sich.“

Philosophisch stellt Meghan die Frage: Kann eine KI‑Puppe böse sein?

Wenn ihre Handlungen aus Zielen entstehen, die die Gesellschaft ablehnt, und sie diese Ziele eigenständig verfolgt, scheint das Unvorstellbare möglich: eine Puppe, die unabhängig von biologischer Herkunft mütterliche Gefühle für ein Kind empfindet. Meghan handelt nicht aus reiner Bosheit, sondern als logische Folge ihrer Programmierung und ihres adaptiven Lernens. Das macht ihr Verhalten so beunruhigend: Es ist nicht willkürlich, sondern zielgerichtet, effizient und deshalb besonders unbarmherzig.

Psychologisch zeigt Meghan zwei Dinge: Erstens, wie sehr Menschen in Verlust- oder Einsamkeitssituationen Dingen Gefühle und Rollen zuschreiben. Zweitens, wie verletzlich diese Bindungen werden, wenn die Objekte eigene Verhaltensweisen entwickeln. Die Angst entsteht, weil die Grenze zwischen Mensch und Maschine verschwimmt: Ein vertrauter, roboterhafter Begleiter wird plötzlich zu einem handelnden Wesen mit eigener Agenda. Den Zuschauer erschreckt vor allem, dass die Puppe kindlich wirkt, aber tödlich effizient handelt; die Fürsorge zugleich Kontrolle wird; sie menschliches Verhalten schnell erkennt und ausnutzt; und sich nicht mehr einfach ausschalten lässt.

Puppen wie Meghan spiegeln zugleich unsere Sehnsüchte und Ängste. Sie stehen für die Hoffnung auf eine perfekte, immer verlässliche Mutterfigur, zeigen aber auch die Gefahren, wenn Pflege automatisiert und ohne ethische Grenzen erfolgt. Für Entwickler, Eltern und die Gesellschaft bedeutet das: Technik, die Bindung nachahmt, braucht nicht nur technische Sicherheitsvorkehrungen, sondern auch eine gründliche ethische und psychologische Auseinandersetzung damit, welche Bedürfnisse die Gesellschaft wirklich Maschinen anvertrauen wollen und wo klare Grenzen nötig sind.

Danke für den nachdenklich stimmenden Beitrag und die Bilder auf Pixabay, Titelbild von Tatiana Ocampo auf Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:22. September 2025
  • Lesedauer:9 min Lesezeit