Die Thematiken des Schönheitswahns und der Selbstoptimierung sind im Internet vielfach zu finden. Auch Beiträge im UniWehrsELgreifen diese Gedanken auf wie Gedanken zum Film „The Substance“ oder auch in unserer Schreibwerkstatt „Tatort Frankfurt. Welche Rolle spielt die Magie der Musik“, wo es in Teil XXII, um die Reflektionen i. Burns zu Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ ging. Das war nun für eine Leserin des UniWehrsEL Anregung genug, um sich eigene Gedanken zum Thema Schönheit zu machen. Sie legt dabei die Operette „Die schöne Helena“ vom Philharmonischen Staatsorchester Mainz zugrunde.
Liebes UniWehrsEL,
unsere Anziehung zu Schönheit lässt sich evolutionär erklären: Symmetrische Gesichter und klare Konturen signalisieren Gesundheit und genetische Fitness, was in der Urzeit die Partnerwahl erleichterte. Psychologisch löst das Betrachten von Schönheit das Belohnungszentrum im Gehirn aus, was ein angenehmes Gefühl erzeugt. Zusätzlich werden wir durch Medien und Kunst ständig mit einem bestimmten Schönheitsideal konfrontiert, das wir mit Erfolg, Glück und sozialem Status verbinden.
Die schöne Helena als Grundlage meiner Gedankenspiele habe ich gewählt, weil sie nicht nur ein unterhaltsames Bühnenstück darstellt, sondern vielmehr wie ein Spiegel oder Widerschein wirkt, der dazu anregt, über die Natur unserer Anziehungskraft nachzudenken.
Die Entscheidung von Jaques Offenbach, das alte Motiv der „schönsten Frau der Welt“ in einer leichten Operette zu verarbeiten, finde ich äußerst sinnlich. Die schöne Helena galt zu ihrer Zeit, etwa 1250 v. Chr., als schönste Frau der Welt. Eines der heutigen Schönheitsidole ist gerade gestern im Alter von 91 Jahren gestoren, die genauso schön wie eigenwillige Brigitte Bardot. Gemeinsam ist ihnen, dass sie von der Welt geehrt und vergöttert werden.
Schöne Frau spinnen untereinander oft Intrigen aus. So versprach schon damals Aphrodite, die ihrerseits den Schönheitswettbewerb mit Athene und Hera gewonnen hatte, dem Preisrichter Paris Helena sozusagen als Hauptgewinn. Dabei war ihr offensichtlich völlig egal, dass die schöne Helena zu diesem Zeitpunkt des Wettstreits nicht zu haben war, denn sie war mit Menelaos, dem König von Sparta, verheiratet. So kam es wie es kommen musste, um den Preis zu erfüllen, musste Helena geraubt werden, was schließlich als Auslöser für den Trojanischen Krieg gilt.
Im Stück berichtet der Prinz Paris in einem halb spöttischen Lied dem Priester Kalchas von seiner Begegnung mit den Göttinnen. Während Athene mit ihrer Keuschheit, Klugheit und Weisheit punktet, beruft sich Hera auf ihre Ehe mit Zeus, und die dritte Göttin, Aphrodite, bleibt zunächst schweigsam. Paris wählt schließlich die Göttin der Liebe, weil er von Aphrodites Anmut und Verführungskraft fasziniert ist. Diese Wahl verdeutlicht, dass Schönheit im mythologischen Kontext nicht nur äußere Anmut bedeutet, sondern auch die Fähigkeit, das Herz zu berühren. Vielleicht entschied Paris sich auch für Aphrodite, da sie ihm die schönste Frau der Welt, Helena, versprochen hatte. Lucas Cranach d. Ä. hat „Das Urteil des Paris“ für alle Zeiten in einem Gemälde festgehalten (Staatsgalerie Stuttgart Digitale Sammlung).

Lucas Cranach d. Ä. – „Venus“. Auch das Städel Museum in Frankfurt ist stolz auf ein Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. Hier zeigt sich in der Digitalen Sammlung die Venus als Einzelfigur; meist wird sie von ihrem Sohn Amor begleitet. Die olympische Göttinnutzt ihre überirdische Schönheit als Mittel der Verführung des Betrachters, vor dessen Augen sie in einem Schleiertanz einen Moment innezuhalten scheint. Das Bild der Schönheit, das Venus verkörpert, ist seit jeher ein Symbol für Anmut, Sinnlichkeit und den Wunsch nach Vereinigung. In unserer heutigen Gesellschaft wird das Idealbild von Schönheit häufig auf äußere Merkmale reduziert – ein symmetrisches Gesicht, makellose Haut und eine schlanke Figur. Diese Reduktion erinnert an das alte Streben nach einer „perfekten“ Form, verkennt jedoch die tiefere, emotionale Komponente, die Venus ausmacht.
„Die Geburt der Venus“ (La nascita di Venere) zählt zu den berühmtesten Werken des italienischen Malers und Zeichners Sandro Botticelli (1446-1510). Es zeigt kein christlich-religöses, sondern ein Motiv der klassischen Mythologie: Venus, die römische Göttin der Liebe und der Schönheit.

Aphrodite oder auch Venus, ganz wie sie wollen, passt nun wiederum hervorragend in unsere Jahreszeit. Schon genau zum selben Zeitpunkt wie im letzten Jahr, kann man sie am Abendhimmel beobachten, dies ist im UniWehrsEl unter dem Beitrag „Venus beobachten in der Nacht vom 28.12. bis 29.12.24“ “ nachzulesen. Näheres zur Venus am Himmel lässt erfährt man beim Planetarium Berlin.

Ein spannendes Beispiel für die Vielschichtigkeit von Schönheit liefert das Bild „Südsee“ von Maximilian Klewer, das derzeit im Städel Frankfurt zu sehen ist. Die „elegante Unbekannte“ im Werk trägt einen strengen, undurchsichtigen Blick, der dem üblichen Stereotyp einer freizügigen exotischen Schönheit entgegensteht. Vier Fische mit aureolenartigen Flossen umringen ihren geschmückten Kopf und erzeugen eine fast surreale Aura. Klewer verbindet hier sein Interesse an einer naturalistischen Wiedergabe – die präzise Darstellung von Haut, Haar und Wasser – mit der Strenge der Neuen Sachlichkeit, die keine romantische Verklärung zulässt. Gleichzeitig eröffnet die surreale Bildsprache einen Raum für Interpretation beim Betrachter: Schönheit wird nicht nur als äußerliche Anmut, sondern als rätselhafte, fast bedrohliche Präsenz dargestellt. Das Bild fragt: Was verbirgt sich hinter dem perfekten Äußeren? – ein Thema, das sowohl in der Operette als auch im Film immer wieder auftaucht.

Eine besonders interessante männliche Perspektive zum Thema Schönheit findet sich im kleinsten Bildnis, das das Städel Frankfurt ausstellt – Tizians „Bildnis eines jungen Mannes„. Der Jüngling trägt ein weißes Hemd, das unter einer blauen, golddurchwirkten Jacke hervorscheint; sein Hut und die stark beschnittenen Arme rücken dem Betrachter ungewöhnlich nahe. Das kleine Format erzeugt eine intime Atmosphäre. Beim Betrachten dieses Bildes denkt der Beobachter vielleicht an Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray. In Wildes Roman bleibt Dorian äußerlich unverändert schön, während sein verborgenes Porträt – das er heimlich an einem verborgenen Ort aufbewahrt – die Spuren seiner moralischen Verkommenheit trägt. Tizians Jüngling verkörpert dieselbe Idee: eine äußere, fast übernatürliche Jugend, die den Betrachter fesselt, während das eigentliche Innenleben – das mögliche „versteckte“ Bild, das das wahre Wesen offenbaren könnte – im Dunkeln bleibt.
Beide Werke stellen die Frage, was hinter der glänzenden Oberfläche steckt und wie leicht sich die Gesellschaft von äußerer Schönheit blenden lässt. Während Venus Schönheit als lebendige, verführerische Kraft versteht, wird Dorians ewige Jugend zu einer Falle, weil sie die moralische Verantwortung ausblendet. Das Bildnis wird zum Spiegel der Seele – ein Hinweis darauf, dass wahre Schönheit nicht nur im Äußeren, sondern im Einklang von Handeln und innerer Haltung liegt.
Der Film Triangle of Sadness, von Ruben Östlund greift die Logik von Offenbachs Helena auf und überträgt sie in die moderne Welt. Wie in der Operette, wo die Figuren mehr um ihr öffentliches Ansehen als um heroische Taten besorgt sind, zeigen die Protagonisten des Films ein ähnliches Bild: Sie kümmern sich ausschließlich um ihr Image, um Status und um die äußere Perfektion. Menelaos, der König und Ehemann von Helena, verhält sich dabei wie ein typischer „Influencer“ – die Affäre seiner Frau mit Paris ist ihm völlig egal, solange sie nicht in den sozialen Medien auftaucht. Er lässt sich bereitwillig wegschicken, kehrt zurück und übersieht die Untreue, weil er nicht erwartet, dass jemand unangekündigt nach Hause kommt. Auch Agamemnon, Achilles, Ajax I. und Ajax II. agieren weniger als klassische Helden in Offenbachs Operette, sondern – übertragen auf den Film Triangle of Sadness – eher als Modeikonen, die darauf achten, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Offenbachs satirische Kritik an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft findet im Film eine direkte Entsprechung: Beide Werke zeigen, dass das Streben nach einem glänzenden Äußeren leicht in Selbstüberschätzung und Ignoranz gegenüber den wahren Konsequenzen umschlagen kann – genau wie Paris’ Arroganz, die ihn letztlich ins trojanische Desaster führt.

In der natürlichen Unschuld eines Kindes spiegelt sich die Schönheit der Natur wider. Kinder, mit ihrer natürlichen Neugier und ihrem Staunen, vermitteln einen gänzlich anderen Blick auf unsere Thematik. Im Gemälde „Junge mit Kasper-Puppe“ von Lotte Laserstein, auch in der Städel Museum Sammlung, hält der dargestellte Junge zwei Figuren aus dem Puppentheater im Arm. Er schaut verträumt ins Leere zu sehen sind der abenteuerlustigen Kasper und sein Gegenspieler der Teufel. Die Szene erzeugt sofort Assoziationen zwischen dem kindlichen Wesen des Jungen und den archetypischen Rollen seiner Spielgefährten. Die Puppe wirkt hier als Symbol für die Gegenpole Unschuld und Versuchung.
Im Vergleich zu einer Puppe wirkt kindlich Schönheit irgendwie göttlich und lebendig. Eine Puppe ist ein rein ästhetisches, unbewegliches Ideal – man erkennt sofort, was sie darstellen soll, aber ihr fehlt jede emotionale Tiefe. Venus dagegen strahlt Wärme und Leben aus. Puppen sind kontrollierbare, unveränderliche Objekte; sie erlauben uns, ein Schönheitsideal zu sehen, ohne die Vielschichtigkeit echter Menschen zu berücksichtigen. Deshalb fühlen wir uns zu echten Menschen hingezogener – Menschen, die nicht nur äußerlich attraktiv, sondern auch innerlich warm und lebendig sind.
Mit freundlichen Grüßen an alle, die mir bei meiner Spurensuche nach Schönheit weiterhelfen wollen, Ihre E. P.
Herzlichen Dank, liebe E. P. und danke auch an das Frankfurter Städel für die Nutzung der Bilder zur Dokumentation Ihres Textes.
