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Nach Vielem kann man Sehnsucht empfinden:

Nach der Natur, nach einem Menschen, nach etwas verloren Geglaubten, sogar nach der Traurigkeit.

Der Philosoph und Ästhetiker Jörg Zimmermann artikuliert den vielschichtigen Diskurs der Sehnsucht im Kontext von Romantik und Natur im Sachbuch „Sehnsucht nach Natur“ und eröffnet damit ein breites Spektrum von Betrachtungsweisen, die eine Sphäre der Gefühle im Blick haben und sich Natur und Landschaft durch ästhetische Erfahrung nähern.

Daraus möchte ich ihnen einen kurzen Abriss skizzieren.

Als eindrucksvolles Beispiel benennt Zimmermann Rousseaus 1782 veröffentlichte „Träumereien eines einsamen Spaziergängers“ und zitiert daraus: „Was genießt der Träumer im Angesicht schöner Natur?“ Nichts, das außer uns selbst wäre, nichts als sich selbst und sein eigenes Dasein, und solange dieser Zustand währt, ist man wie Gott, sich selbst genug.“

Mit meinen Worten gedeutet, hieße dies vielleicht: Sich selbst zu genügen und ganz Eins sein mit sich und im Einklang der Natur – lässt vielleicht einen Moment lang die Sehnsucht nach einem potentiell im Leben empfundenen Mangel vergessen.

Sehnsucht sei Leitbegriff im Werk von Novalis, so Zimmermann, dessen Held im unvollendeten Roman Heinrich von Ofterdingens bekunde: „Die blaue Blume sehn` ich mich zu erblicken.“

Es geht dabei, so meine Interpretation, um die Suche nach etwas, das vielleicht niemals zu finden sein wird.

Dass dies in der romantischen Bewegung sprichwörtlich geworden sei, führt Zimmermann zur Sehnsucht im Diskurs, der „Lehrlinge von Sais über die Natur“ von Novalis alias Friedrich von Hardenberg.

Würde doch über die Suche der Hauptfigur geschrieben:

„Er wußte nicht, wohin ihn seine Sehnsucht trieb.
Wie er größer ward, strich er umher,
besah sich andre Länder, andre Meere, neue Lüfte, fremde Sterne, unbekannte Pflanzen, Thiere, Menschen, stieg in Höhlen, sah wie in Bänken und in bunten Schichten der Erde Bau vollführt war, und drückte Thon in sonderbare Felsenbilder.“

„Sehnsucht“, so Zimmermann, „ist eine Bedingung dafür, dass die Natur im Widerspruch zu ihrer Profanisierung durch wissenschaftliche Erklärungen und technische Beherrschung erneut verrätselt wird.“ Es gäbe eine neue Form eines ästhetisch-kreativen Umgangs mit der Natur, in der alte mythische, religiöse und metaphysische Vorstellungen von Natur in die Erinnerung gelangen würden.

So wie es auch schon Novalis beschrieben hat:

In große bunte Bilder drängten sich die Wahrnehmungen seiner Sinne:
er hörte, sah, tastete und dachte zugleich.
Er freute sich, Fremdlinge zusammen zu bringen.
Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Thiere, die Wolken Pflanzen,er spielte mit den Kräften und Erscheinungen,
er wußte wo und wie er dies und jenes finden, und erscheinen lassen konnte,
und griff so selbst in den Saiten nach Tönen und Gängen umher.“

Natur als Gegenstand der Sehnsucht sei schon bei der von Platon im „Dialog Symposion“ überlieferten Rede des Aristophanes auf den Gott der Liebe zu verstehen. Es geht dabei um die sehnsüchtige Suche nach der „besseren Hälfte“. In mythischen Zeiten sprach man noch vom „androgyn vereinigten Kugelwesen Mensch“. Die Suche danach birgt das Geheimnis eines liebenden Wiedersehens und die Freude, endlich an einem vertrauten Ort anzukommen, wo nichts Fremdes mehr ist.

Die Nachtseite der Romantik und damit die „Sehnsucht nach dem Tod“ prägte nachhaltig das Existenzverständnis der Romantikerin Caroline von Günderrode, die sich 1806 im Dorf Winkel am Rheinufer tötete. Sie schrieb zuvor an ihre Freundin Bettina von Arnim über ihre Todessehnsucht, als „Sehnsucht nach Entgrenzung, nach dem Abstreifen alles Irdischen und Zeitlichen und stattdessen die Auflösung des ganzen Wesens, der ganzen Seele in einer ewigen und unendlichen Urkraft.“  

Sehnsucht nach Natur, so mein kurzes Resumee lässt sich also historisch mit Romantik verbinden. Es zeigt sich aber dabei eine bis in die frühe Antike zurückreichende Tradition mit mythologischen, religiösen und philosophischen Vorstellungen, die  Gott, Welt, Natur und Mensch miteinander verknüpfen.

Diese Themen sind heute noch genauso aktuell.

Noch ein Wort zu den “realen” (nicht nur gefühlten) Bildern aus der Zeit der Romantik, in der sich die genannten Verknüpfungen vortrefflich zeigen: 

Caspar David Friedrich mit seinen großformatigen Gemälden wie dem „Eismeer“ ist noch einmal ganz anders eine ganz besondere ästhetische Beziehung zur Darstellung von Sehnsucht nach Natur gelungen.