You are currently viewing Autorenlesung – oder wie man spannende Geschichten schreibt

Das Seminar „Storytelling – eine Einführung in die Erzählkunst“ macht es möglich: wir erfahren mehr über das Entstehen einer Buchreihe rund um die Familie Segon. Worum geht es? Einen kulinarischen Familienkrimi in – bis jetzt – zwei Bänden von Dr. Anne Winckler und Dr. Birte Egloff. Anne Winckler hat dazu nicht nur ein wunderbares Referat gehalten, sondern auch persönliche Einblicke in ihre gemeinsame Erzählkunst gegeben.

Hier Auszüge aus ihrem Leserbrief ans UniWehrsEL.

Wer wir sind und wie es dazu kam

Wir sind ein Autorinnenduo, das sich zwar nicht gesucht, aber doch gefunden hat. Zusammengespannt hat uns eine gemeinsame Freundin, die uns zu Patentanten ihrer Tochter machte. Daraus ist eine inzwischen mehr als achtzehn Jahre währende Freundschaft entstanden – wie schnell doch die Zeit vergeht. Zunächst gingen wir gemeinsam auf Reisen, und nun schreiben wir seit mehr als zehn Jahren auch gemeinsam.

Birte Egloff ist Geschäftsführerin des Dekanats im Fachbereich Erziehungswissenschaften und hält dort auch Lehrveranstaltungen ab, das ist auch der Grund, warum sie heute nicht mit dabei ist. Sie hat zeitgleich ein Seminar. Ich war bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2015 Familienrichterin am Amtsgericht Offenbach.

Ausgangspunkt unserer gemeinsamen Schreibarbeit war 2011 eine Studienreise in die Normandie auf der uns, angesichts einer wie ein Korkenzieher rotierenden Apfelpresse in einer Calvadosbrennerei, die Idee ansprang einen Krimi zu schreiben. Dies schien der ideale Ort und das geeignete Instrument zu sein, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Da wir beide gern kochen und ebenso gern essen, sollte dies eine weitere Zutat unseres Buches sein. Die Familie Segon mit ihren Protagonisten war schnell erfunden und machte sich in unserem Leben breit. Wir gaben ihr Raum in unseren Köpfen und schrieben eifrig ihre Lebensgeschichte nieder. Nur mit der Leiche wollte es nicht so recht funktionieren. Zu blutrünstig, keine wollte diese Szene mit der Leiche in der Apfelpresse schreiben. Also wichen wir nach reiflichem Überlegen auf eine typisch weibliche Mordmethode aus. Nachzulesen im ersten Band.

Es hat zwar mehr als sieben Jahre gedauert, bis dieser erste Band fertig gestellt war, aber wir hatten immer Spaß am Schreiben. Es hat uns unbändige Freude gemacht, diese Figuren und die Geschichte zu entwickeln. Wir haben mit unseren Protagonisten gekocht und mit allen zusammen gegessen – die Rezepte gibt es im Anhang. Wir haben mit ihnen gestritten und auch gelitten. Sie sind uns so ans Herz gewachsen, das wir nun nach fünf Jahren einen zweiten Band fertiggestellt und noch mindestens zwei weitere Bände in Planung haben. Die Geschichte der Familie Segon und ihrer Freunde ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Es wird auch weiter gekocht werden und pro Band mindestens eine Leiche im Weg liegen, deren Mörder gefunden werden will.

I. Worum geht es in unserer Geschichte?

Mittelpunkt des Geschehens ist die Familie Segon. Sie betreibt eine Farm in der Normandie mit Apfelplantagen, produziert dort Cidre und Calvados und hält Ziegen, aus deren Milch Käse hergestellt wird. Oberhaupt der Familie ist Babette, eine Mittfünfzigerin, die die Farm nach dem Verschwinden ihres Mannes, seit mehr als 25 Jahren mit Hilfe ihrer Schwiegermutter allein betreibt. Es gibt drei Kinder aus der Ehe, Brigitte, Juliette und Felix.

Der erste Band spielt im Jahr 2013 und rankt sich um die Liebe von Babette zu einem wesentlich jüngeren Mann namens Jean-Luc, der nach und nach ins Familiengeschehen integriert wird. Ermordet wird in einem der Ferienappartements auf dem Hof ein Feriengast aus Paris, der in Zusammenhang mit einem Familiengeheimnis aus der Vergangenheit von Babettes Schwiegermutter Helene steht. Gemeinsam klärt die Familie kochend, essend und manchmal auch streitend den Mord auf, unterstützt vom Dorfgendarm Alphonse.

Im zweiten Band folgt Babette besuchsweise zu Weihnachten 2015 ihrem Sohn in die große weite Welt. Felix macht im Rheingau beim Onkel seiner Freundin Franziska eine Ausbildung zum Koch. Sie werden von der teilweise aus dem Elsaß stammenden Gastfamilie Reimers herzlich aufgenommen. Diese tickt ähnlich wie die Familie Segon, kocht und isst gemeinsam und ist auch einem Streit nicht abgeneigt. Diesmal liegt die Leiche im Weinberg und auch hier wird in familiärer Einigkeit beim Kochen und Essen der Mord mit Hilfe des Dorfpolizisten Kalli Dippel aufgeklärt.


II. Ist das überhaupt Storytelling?

Babette Segon, die Heldin unseres ersten Bandes “Cidre, Boeuf und Tubéreuse”, ist diesmal im Rheingau unterwegs, wo sie über die Weihnachtstage ihren Sohn Félix besucht, der inzwischen sein Studium abgebrochen hat und sich nun zum Koch ausbilden lässt.

Natürlich habe ich mich gefragt, ob die Art wie und was wir schreiben hier überhaupt in das Seminarthema passt. Denn eigentlich bewegen wir uns außerhalb jeglicher Regeln, die sich zum Thema „Wie schreibe ich einen Krimi/einen Roman“ finden lassen. So gibt zum Beispiel ein einschlägiger Ratgeber den Hinweis, die Geschichte nicht mit einer am Fenster nachdenkenden Hauptfigur beginnen zu lassen. Genauso fängt aber unser erster Band an. Das war uns aber irgendwie egal, denn für uns passte der Anfang. Auch entspricht es sicher nicht dem gängigen Vorgehen, wenn wir am Anfang des Schreibens zwar wissen, wer im Verlauf der Handlung das Zeitliche segnen wird, aber sein bzw. ihr Mörder uns noch unbekannt ist und sich erst im Verlauf unseres Schreibens herauskristallisieren wird. Wir schreiben nach unseren eigenen Bedürfnissen und so, wie es uns Spaß macht und der Spaß am Schreiben ist auch nach 11 Jahren ungebrochen.

Wir mischen verschiedene Genre-Stile: Drama, Komödie, Krimi, Familiengeschichte und vor allem: Wir lassen gemeinsam kochen und essen. Die Rezepte liefern wir am Ende des Buches in einem gesonderten Kapitel mit.

III. Wie arbeiten wir?

Am Anfang entsteht durch gemeinsames Phantasieren und Fabulieren zunächst einmal die Idee, wo der nächste Band spielt. Die Gegend muss uns ein bisschen vertraut sein. Wir fahren dort auch hin, um Lokalkolorit einzusaugen. Es werden Fotos gemacht, um Handlung und Personen später beim Schreiben besser verorten zu können.

Erste Handlungsfäden entstehen. Bei gemeinsamen Schreibwochenenden, oft in einer uns schon länger bekannten ;Appartementanlage in Winterberg, aber auch in einer Ferienwohnung von Freunden am Bodensee oder auch mal in einer Wohnung in Baden-Baden, wird festgelegt, wer die Leiche ist und wo sie gefunden wird. Rahmenhandlungen für einzelne Personengruppen werden entworfen, erste Kapitelaufteilungen vorgenommen und jeder von uns zugeordnet. Es gibt ein grobes Inhaltsschema für die Kapitel, die die Figuren beim Schreiben aber auch oft durcheinander bringen. Dann lesen wir uns die Kapitel gegenseitig vor und sind jedes Mal begeistert davon, was der anderen so einfällt. Das Fortschreiten der Handlung wird besprochen. Irgendwann werden Spuren zum Mörder/zur Mörderin gelegt. Personen werden in den Kreis der potenziell Verdächtigen eingereiht, bis irgendwann der Täter/die Täterin feststeht.

Unsere Ideen kommen aus dem Alltag. Wir greifen auf Familiengeschichten zurück und auch der Freundeskreis muss – jeweils nach Absprache natürlich – herhalten. So stammt der soeben gelesene Spruch ‚Braten auf Raten‘ von einem Freund, der uns dessen Verwendung gestattete.
Wir schreiben auktorial, also aus einer übergeordneten Perspektive. Wir sind die Drohne, die über allem schwebt, alles sieht und auch in die Gehirne und die Herzen der Protagonisten hineinfühlt.

In der Rollengestaltung besetzen wir – vielleicht auch ein wenig klischeehaft – viele Rollen: Babette, die manchmal ein wenig gluckenhafte Familienmutter; Felix, der ein wenig zum Hallodri neigende Sohn; Alphonse der etwas tölpelhafte Dorfpolizist im ersten Band, der in Kalli im zweiten sein Pendant findet; Herr Gaub, die etwas dandyhafte Reisebegleitung von Babette im 2. Band; Siegfried, der poltrige Vater von Franziska und Ehemann von Cathrine; Desirée, die zickige Geliebte eines Kurzzeitverdächtigen.
Mit der Titelwahl wollen wir neugierig machen und auch ein Erkennungszeichen setzen. Es sind immer drei Schlagworte, von denen zwei sich selbst erklären und eins rätselhaft erscheint.

IV Was wollen wir transportieren?

Ein bisschen provozieren: ältere Frau, jüngerer Mann: Babette und Jean-Luc,

Lesen: Auftritt Jean-Lucs am Josef-Gedächtnisabend: die handelnden Personen, Babette, die drei Kinder Felix, Brigitte und Juliette, sowie deren Freundin Penelope, Helène, die Mutter des verschwundenen Ehemannes Joseph (Band I)

Spielen mit Klischees: Wir präsentieren eine Ehe nach altem Vorbild: Brigitte und Antoine
Brechen von Klischees: Hélènes Lebensgeschichte, die in den 50er Jahren als Krankenschwester von einem Oberarzt ein uneheliches Kind bekommt.

Wir nennen es Klugscheißen: Man könnte auch sagen, wir nehmen einen kleinen didaktischen Auftrag wahr und verbreiten Wissen. Im 1. Band war es noch nicht ganz so ausgeprägt. Dort gibt es immerhin einen kleinen Ausflug nach Indochina in Frankreichs dortige Vergangenheit. Im zweiten Band aber schlagen wir dann zu; sei es nun mit Wissen über den Weinbau, die Geschichte der Mariannenaue oder über Kloster Eberbach, über das wir Siegfried, das Oberhaupt der Familie Reimers, einen kleinen Vortrag halten lassen.

Wir möchten zeigen, dass man auch Spaß am Leben haben kann, wenn das Leben es gerade nicht so gut mit einem meint. z.B. Hélènes Schicksal als uneheliche Mutter in den 50er Jahren, die räumliche Trennung zwischen Babette und Jean-Luc.

Und nicht zuletzt darf es dann auch ein Krimispannung sein. Hier tritt jetzt Marianne auf, die Schwester von Siegfried, die mit ihrem Hund Merlot im Weinberg unterwegs

V. Was zeichnet uns aus?

Unsere Besonderheit liegt unter anderem darin, dass wir einen Fokus auf das gemeinsame Essen und Kochen richten. Wir holen die Leser:innen quasi mit an den Küchentisch und den Herd. Wir wollen auch zum Kochen einladen, in dem wir Rezepte mitliefern, aber reduzieren das dadurch vielleicht entstehende Streßgefühl, es richtig machen zu müssen, in dem wir klarmachen, dass nicht alles akribisch nachgekocht werden muss. Wir beschreiben viele Sinneseindrücke, Düfte, Gerüche. Ein klein wenig Erotik deutet sich manchmal ebenfalls an.

VI. Funktioniert das?

Es funktioniert!
Die Buchhändlerin in der Krimibuchhandlung ‚Die Wendeltreppe‘, die unseren 1. Band mit vier anderen Neuerscheinungen in ihrem monatlichen Jour Fix vorstellte, träumte davon, bei Familie Segon zum Essen eingeladen zu werden. Zugegeben, ihr war die Handlung als Krimi nicht blutrünstig genug. Eine Bekannte, die den 2. Band so spannend fand, verdoppelte ihre übliche morgendliche Lesezeit, wollte aber andererseits lieber doch nicht zum Ende komme, denn sie weiß auf den nächsten Band muss sie noch warten.

Vom ersten Band sind inzwischen 750 Bücher im Umlauf. Der Verkauf des 2. Bandes startet gerade. Zum Sommer hin hoffen wir auch wieder Lesungen in echt machen zu können. Einen Termin gibt es schon in einer Weinstube in der Nachbarschaft, in der wir bereits unseren ersten Band vorgelesen haben. Die Buchhandlung in der Nachbarschaft macht kräftig Werbung. Ganz ehrlich: Es ist toll, wenn sich die Bücher gut verkaufen und wir finden, sie wären eigentlich auch einen netten Freitagabend – Wohlfühlfilm wert. Aber wir schreiben in erster Linie für uns, weil wir einfach Spaß am Erfinden dieser Figuren und ihrer Schicksale haben.

VII. Wie geht es weiter?

Wir stehen in den Startlöchern für den dritten Band, der im Elsaß spielen wird. Und erste Visionen für den 4. Band in der Provence tauchen auch schon am Horizont auf. Die Geschichte ist noch lange nicht auserzählt.

Die Bücher gibt es als Taschenbücher, Hardcover oder auch E-Book.

Sie können direkt über den Verlag oder in jeder Buchhandlung bestellt werden.