Unser Kulturbotschafter hat für Sie einen Livestream der bayerischen Staatsoper kommentiert. Gezeigt wurde am 27. Oktober die satirische Oper „Die Nase“ von Schostakowitsch nach dem gleichnamigen Roman von Nikolai Gogol. Vordergründig geht es um einen Mann, dem sein Richorgan abhanden kommt. Das Organ hat keine Lust mehr bei seinem Träger zu verweilen und macht einen Ausflug quer durch Moskau. Dabei gibt sich die Nase für einen Stadtrat aus und wird nicht sofort als Nase von den Leuten identifiziert, weil die Nase eben eine charismatische Persönlichkeit ist.
Warum die Nase letztlich zu ihrem Träger zurückkehrt, oder ob dieser nur den Verlust seiner Nase geträumt hat, bleibt offen. Dabei wird die Geschichte in teils verrückten Episoden erzählt, z.B. wenn der Nasenlose zur Zeitung geht um eine Suchanzeige für die verlorene Nase zu starten und dies als unseriöse Anzeige vom Zeitungsverleger zurückgewiesen wird.
Aufgrund dieser wilden Szenen ist die Nase seit der Uraufführung am 18. Januar 1930 am Michailowiski-Theater in Sankt Petersburg (Russland) bei Europäischen Opernhäusern längst Kult. Dazu kommt die damals als schrill und avantgardistisch empfundene Musik von Schostakowitsch. Die bayerische Staatsoper hat für die Nase eine russische Doppelspitze, bestehend aus dem Regisseur Kirill Serebrennikov und dem neuen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowsk, gebildet. Die Proben fanden unter erschwerten Bedingungen über Zoom statt, da der Regisseur zur Zeit nicht Russland verlassen darf, weil er keinen gültigen Pass besitzt.
Kirill Serebrennikov lässt sein Stück in einem extrem-überspitzen Polizeistaat spielen. Der Titelheld Kovaljov ist ein Polizist. Er bewacht Gefangene, die in ein Gefängnis eingesperrt werden. Zur Strafe wird den Sträflingen die Nase abgeschnitten und sie werden komplett ignoriert. Sie werden wie Tiere im Zoo gehalten. Dieses Anfangsbild macht deutlich, was es für Kovaljov bedeutet, dass seine Nase verloren gegangen ist. Er fühlt sich also, als er beim Aufwachen das Fehlen seiner Nase bemerkt, in seiner Existenz bedroht. Denn in der Inszenierung von Serebrennikov ist die Nase ein soziales Statussymbol. Wichtige Persönlichkeiten tragen nicht nur eine Nase, sondern gleich mehrere – wie Orden beim Militär. So wird deutlich, dass Kovaljov auf Lebenssinnsuche geht, wenn er nach seiner Nase Ausschau hält.
Der Grundton der Inszenierung ist also sehr ernst. Wichtig erscheint was um Kovaljov in diesem Polizeistaat passiert. Die Polizei entsorgt heimlich Leichenteile, schlägt auf Demonstranten ein, jagt Sprayer von Hauswänden. Es herrscht eine ständige Angst in diesem Polizeistaat. Der Bürger hat sich anzupassen. Das gelingt besonders gut der weggelaufenen Nase, die sich als Politiker im feinen Zwirn tarnt und keinesfalls ihr Leben an Kovaljov Seite wiederaufnehmen will. Erst als es Gerüchte um eine selbstständig herumlaufende Nase im Polizeistaat gibt, wird die Polizei aktiv mit Gewalt und bringt Kovaljov seine Nase zurück. Ironisch wird die Inszenierung nur an einer Stelle in der Kovaljov vom Teufel, der ihn piesakt, spricht und dieser ihm dann natürlich gleich erscheint.
Der Teufel steht wohl für Kovaljovs Ängste, ein bürgerliches Leben zu führen. Denn an dieser Stelle geht es darum, dass Kovaljov eine ihm versprochene Frau heiraten soll, und er sich bisher erfolgreich um die Hochzeit gedrückt hat. Die Szene ist etwas widersprüchlich, weil sich Kovaljov auf der einen Seite nach bürgerlicher Normalität sehnt, anderseits diese nicht in seinem Alltag leben möchte. Diese Nase ist dann keine Person mehr, sondern sein alter Polizeianzug, den Kovaljov einfach wieder anzieht und somit seine alte Stellung in der Gesellschaft wiedereinnimmt. Am Ende begegnet Kovaljov erst wieder Polizistinnen, die ihn umwerben, weil er wieder aussieht wie einer von ihnen. Danach trifft er auf ein junges Mädchen. Sie stellt die zaghafte Hoffnung dar, dass sich die Regeln im Polizeistaat wieder ändern können.
Ein spannender Spielzeitstart ist der bayerischen Staatsoper mit der Nase jedenfalls gelungen. Die Aufführung ist weiterhin kostenlos im Stream der bayerischen Staatsoper abrufbar.