Es gibt Produkte, die man einfach liebt oder hasst. Sie wecken Erinnerungen, sind mit Geschichten verknüpft, werden im Alltag verwendet oder sind gänzlich aus unserem Leben verbannt. An eines dieser Produkte wurde ich heute Morgen ganz intensiv erinnert, als ich den samstäglichen „Küchenblog der Küchenmarie“ las. Anne Winckler hat dort einen wunderbaren Beitrag rund um das Maggi-Kochbuch verfasst. https://kuechenblocksite.com/2021/11/06/kuchenschatze/ Das hat mich dazu angeregt, der Geschichte der Maggi-Produkte und ihrer Entstehung nachzugehen.
Alles begann mit der rasanten Veränderung des Lebensalltags im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung führte zur wachsenden Anzahl der Fabriken und bedingte dadurch die Trennung von Wohnen und Arbeiten. Die Sozialhistorikerin Tamara k. Heaven beschrieb wie Kindererziehung und Mahlzeitenordnung gerade Arbeiterfamilien enorme Probleme bereiteten. Die Möglichkeiten des Zuhause-Essens schwanden durch die großen Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsplatz. Es entstanden geschlechtsspezifisch ausgeprägte Schwierigkeiten, deren Lösung in den Zuständigkeitsbereich der Frauen fiel, die für das Kochen, Arbeiten und die Kindererziehung verantwortlich waren.
Diese Umstände bahnten den sogenannten „Surrogaten“ den Weg. Nahrungsmittel sollten für „quick lunch“ oder „fast food“ geeignet sein, um Zeit zu ersparen. Eine Möglichkeit für die arbeitende Klasse war der Schnapskonsum – in der Schweiz „Härdöpfeler“ genannt – ein Kartoffelbranntwein, als Billig-Instant-Food, der „leere Kalorien“ in ansehnlicher Dichte lieferte und somit erst einmal Sättigungsgefühle hervorrief.
Der Maggi-Würfel, als Ikone der industrialisierten Ernährung, verdankt seine Existenz dem exzessiven Alkoholtrinken, so beschreibt es der Geschichtshistoriker Jakob Tanner. 1882 suchte der Fabrikinspektor Fridolin Schuler nach einer pragmatischen Lösung zur Fehlernährung der Fabrikbevölkerung. Erschwinglich, eiweiß- und fettreich, ein Instantprodukt, rasch zubereitet, sättigend, schnell konsumiert und leicht verdaulich.
Dem Müllereibesitzer Julius Maggi gelang das zukunftsträchtige Produkt, nämlich Suppenmehr, zu entwickeln. Sein Suppenwürfel wurde in eine grafisch anspruchsvolle Verpackung gesteckt. Einige Jahre später wurde auf sein Betreiben hin ein Reklame- und Pressebüro in Kemptthal eröffnet. Maggi heuerte den ständig sich in Geldnöten befindenden Schriftsteller Frank Wedekind, bekannt durch sein Theaterstück „Frühlings Erwachen“. Dieser erfand nun im Werbekontor von Maggi verkaufsträchtige Geschichten passend zum Suppenwürfel.
Auf der ernährungsphysiologischen und auf der psychologischen Marketingebene hätte der Plan, Fusel gegen rasch konsumierte Maggisuppe zu ersetzen, eigentlich funktionieren können. Leider hatte die rationelle Suppennahrung statt dem Schnapskonsum bei den anvisierten Arbeiterfamilien zunächst wenig Erfolg. Es dauerte doch eine ganze Weile, bis sich der Maggiwürfel, samt der bekannten Maggi-Flasche erfolgreich durchsetzte.
Seit damals unverändert setzt Maggi auf erfolgreiche Werbestrategien. Immer dem Trend folgend liegt heute der Fokus auf Slogans wie „Lecker Retter – lieber Topf, statt Tonne – gemeinsam gegen Food Waste“. Maggi wendet sich gegen das Wegwerfen von Resten, wirbt für ausgewogene, vegane Ernährung ohne tierische Inhaltsstoffe, weist darauf hin, dass das Produkt auch für Menschen mit Allergien gegen tierische Eiweiße geeignet sei. Natürlich zeichne es sich auch durch wenig Kalorien aus und sei somit auch bestens zur Diät geeignet.
Auch wenn die moderne Ernährungsberatung den Kopf schüttelt und auf Geschmacksverstärker, hohen Salzgehalt und ähnliches verweiset, bleibt der Erfolg von Maggi ungebrochen. Das ist auch der berühmten Maggi-Flasche zu verdanken. Das „Original“ ist nicht nur als flüssiges Würzmittel, sondern auch als Sammlerstück sehr beliebt.
Quelle: Jakob Tanner: Modern Times: Industrialisierung und Ernährung in Europa und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Felix Escher, Claus Buddenberg (Hrgs.): Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur. Hochschulverlag Zürich 2003
Kennen Sie auch Geschichten zu Maggi, zum Kochen mit dem „Surrogat“ oder zählen Sie zu den Sammlern der Maggi-Flaschen?