Ich bin eine Stunde lang durch den Wald gelaufen. Dabei habe ich mir selbst die Aufgabe gestellt, nach etwas Ausschau zu halten, das mir etwas bedeuten könnte. Eine therapeutische Übung, mit der man sein eigenes Empfinden in den Mittelpunkt stellt, um es dann durch einen Gegenstand zu versinnbildlichen. Besonders wichtig wird es dann, wenn das innere Gefühl auftaucht, mit sich alleine in der Welt zu sein oder von den anderen Menschen nicht verstanden zu werden. Eine Folge der Verengung des eigenen Blickwinkels kann sein, andere Menschen nicht mehr zu erreichen oder sie nicht mehr an sich herankommen zu lassen. Das Gefühl, mit den anderen Menschen nicht mehr kompatibel zu sein, bedeutet emotional keine Sehnsüchte mehr spiegeln zu können. Der Spaziergang durch den Wald hilft dabei, sich selbst wieder und anders wahrzunehmen, sein Inneres durch ein „Medium“ vermitteln zu können, um nachvollziehbar zu machen, wohin die innere Suche führt. Vielleicht gelingt es sogar Empfindungen zu verstehen und zu teilen.
Ich stolpere über eine kleine Baumwurzel, hebe sie vorsichtig auf, bestaune ihren Wuchs, die zarten Verästelungen, das leuchtende Grün, entstanden durch den Bewuchs mit Moos. Nun kann ich die Abzweigungen bestaunen, die im Leeren enden. Die Wurzel hat sich vom Baum gelöst, der sie verankern sollte. Nun kämpft sie um eine neue Verankerung, Überleben in ihren eigenen neuen widrigen Bedingungen. Die Wurzel hat mir viel über mich selbst verraten und mich zu Gedanken angeregt: Wo gehöre ich hin? Wo ist der Ort, der mir Halt gibt? Der Raum, den ich brauche, um mich entfalten zu können, zu verstehen und verstanden zu werden? Vom „Sich Erkennen, Erkannt – und Anerkanntwerden“ so beschreibt es die Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus in „Die Anderen und Ich“ 1996.
Sich Neu-Denken, Neu-Verwurzeln, um wieder etwas zu finden, das Halt gibt. Das entwickelt sich aus dem Loslösen und Wiederfinden der Beziehungen zu Menschen, an denen man hängt oder die mit bestimmten Orten verbunden sind. Begegnungen, Augenblicke, die das Innerste berühren, daraus entstehen die Geschichten, die wir über unser Leben, unsere „Lieblingsorte“ und die Verbindung zu anderen Menschen erzählen können. Die kleine Wurzel hat mir gezeigt, dass verwurzelt zu sein, zu den „narrativen Prozessen“ gehört, aus denen unsere Lebensgeschichten geschrieben werden.