You are currently viewing Über Lebenskunst, Sehnsucht und Schiffbruch

In dieser Woche sprachen wir im Seminar „Mensch und Me(e/h)r – Kreuzfahrttourismus“ über die Sehnsucht des Menschen nach dem Glück, über die Notwendigkeit des „Aufbruchs zu neuen Ufern“, über die Unwägbarkeiten der Flucht übers Meer wie etwa bei Richard Wagner. Auch in dieser Woche waren bei ÜberLebensKunst – das Projektlabor (Teil 4) die Besonderheiten der Stadt Frankfurt im Fokus unseres Interesses. Überschneidend gibt es eine berühmte Persönlichkeit, die das Thema der Lebenskunst zu einem Schwerpunkt gemacht hat.  

 Einer der 1831 vor der Choleraepidemie in Berlin fliehen wollte und dann 27 Jahre in Frankfurt blieb, war Arthur Schopenhauer. Frankfurt war für ihn ein genau überlegter Ort, der durch „gesundes Klima“, „schöne Gegend“ und die „Annehmlichkeit großer Städte“ punkten konnte. Schopenhauer, der keine Gesellschaft suchte, aber das kulturelle Angebot Frankfurts schätzte, legte in dieser Stadt den Grundstein für seinen Weltruhm. Seine innere Einsamkeit stillte er durch Besuche der Senckenbergischen Bibliothek, des Physikalischen Kabinettes und des Städelschen Kunstinstitutes oder bei Theater- oder Opernaufführungen. Und er war Mitglied der Museumsgesellschaft und der Lesegesellschaft des Bürgervereins. 1860 starb er dann an einer Lungenentzündung in seiner Wohnung in der „Schönen Aussicht“.

Was ist der Sinn des Lebens und welche Werte braucht der Mensch zum Glücklichsein? In der Schule der großen Denker spielt die „Lebensphilosophie“ eine bedeutende Rolle. Die alten Griechen, Kiergegaard, Sartre oder Nietzsche haben sich auch schon darüber Gedanken gemacht. Und natürlich der, von mir sehr geschätzte Irvin D. Yalom. Sein Gebiet ist die Psychotherapie, die er mit der Philosophie verknüpft und daraus interessante Romanstoffe konstruiert. Wer sich für Psychoanalyse und philosophische Lektüre interessiert, entdeckt, so Yalom, über kurz oder lang auch Arthur Schopenhauer. Der hat sich schon vor Sigmund Freud mit dem unbewussten Einfluss des Sexualtriebes auseinander gesetzt und somit den Weg zur Psychotherapie bereitet. Oder wie es Yalom seinen Protagonisten Philip im Roman „Die Schopenhauer-Kur“ sagen lässt: „Ohne Schopenhauer hätte es Freud nicht gegeben.“

Wie beschreibt Yalom Schopenhauer: aggressiv, unerschrocken, isoliert, ein Leidender, der aus Unglück, Pessimismus und Misanthropie viel Energie für sein Werk zog. Dafür steht seine Darstellung der menschlichen Beziehungen in der Parabel von den Stachelschweinen. Hier kurz zusammengefasst: Wenn es kalt wird, drängen sie sich aneinander, weil sie Wärme suchen. Doch ihre Stacheln zwingen sie letztlich dazu, Abstand zu halten. Das Fazit Schopenhauers daraus sei, so Yalom, Menschen mit viel innerer Wärme tun gut daran, die Gesellschaft der Mitmenschen zu meiden.

Yalom, und nicht nur er, wundert sich wie ein so verzweifelt pessimistischer Mensch wie Schopenhauer überhaupt denken und arbeiten konnte. Yalom kommt aber schlussendlich zu dem Ergebnis, dass Erkenntnis ein Weg zu sein scheint, der unser Leiden erleichtert. Und genau den Weg der Erkenntnis hat Schopenhauer auch so trefflich beschrieben, wenn er metaphorische Vergleiche zwischen Lebensreise und Fahrt über das Meer anstellt. Das meint, dass Menschen bei der Suche nach dem Glück oft „schiffbrüchig“ werden oder ihr Aufbruch ins Abenteuer glücklos endet und das Schiff „entmastet“ im Hafen einläuft. In “Parerga und Paralipomena“, kleinen philosophischen Schriften, deren Titelwörter altgriechischer Herkunft sind und „Nebenwerke“ und „Nachträge“ bedeuten, beschreibt es Schopenhauer so:

“Zuvörderst: keiner ist glücklich, sondern strebt sein Leben nach einem vermeintlichen Glücke welches er selten erreicht und auch nur dann, um enttäuscht zu werden: in der Regel aber läuft zuletzt jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein. Dann aber ist es auch einerlei, ob er glücklich oder unglücklich gewesen, in einem Leben, welches bloß aus dauerloser Gegenwart bestanden hat und jetzt zu Ende ist”.

Auch der quälende Sexualtrieb Schopenhauers habe, so Yalom, letztlich zu seinem extremen Pessimismus beigetragen. Unerfüllte Sehnsucht nach der Unschuld der Kindheit ohne Begierden, die ergebnislose Suche nach dem verlorenen Paradies, hat den Ruhe- und Rastlosen, stets die Laune verdorben. So ist in “Die Welt als Wille und Vorstellung”, Schopenhauers Hauptwerk, zu lesen:

Eben weil die heillose Tätigkeit (des Genitalsystems) noch schlummert, während die des Gehirns schon volle Regsamkeit hat, ist die Kindheit die Zeit der Unschuld und des Glückes, das Paradies des Lebens, das verlorene Eden, auf welches wir, unsern ganzen übrigen Lebensweg hindurch, sehnsüchtig zurückblicken”.

Die vier Stränge der Lebensphilosophie

Quellen:
Irvin D. Yalom: Wie man wird was man ist. Memoiren eines Psychotherapeuten. Kapitel 34 „Zwei Jahre mit Schopenhauer, 2. Aufl. 2019, S. 263-264