Liebes UniWehrsEL,
gerade habe ich einen Thriller gelesen und konnte kaum noch aufhören. Es ist so spannend, dass ich ihn als Buchtipp empfehle. In dem Krimi „Todesfrist“ von Andreas Gruber stellt ein Mörder Szenen aus dem Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ nach.
Ein Automechaniker wird von der Polizei mit Drogen erwischt. Diese hat ihm sein Arbeitgeber untergeschoben. Um einer Haftstrafe zu entgehen, muss er zum Psychiater. Nach drei Pflichtsitzungen gibt die Psychiaterin den Mann an eine Kollegin ab. Diese setzt ihn unter Druck, er soll sich öffnen oder er landet im Knast. Er muss nun seine Erlebnisse in einem Kassettentagebuch aufschreiben. Dafür braucht er nicht zur Sitzung persönlich zu erscheinen. Aber die Psychiaterin kann die Therapiesitzungen vom Gericht abrechnen lassen. Sie zwingt ihn mittels eines Tricks – er bekommt eine wirkungslose Pille – sich ein Alter Ego zu besorgen wie ein Superheld. Da ihm sein Vater als Kind immer die Geschichten vom Struwwelpeter vorgelesen hat, wählt der Mann diesen als Alter Ego.
Das ständige mit sich selbst Beschäftigen, das die Psychiaterin erzwingt, macht den Mann böse. Er steigert sich immer mehr in die Rolle des Struwwelpeters hinein und beginnt nun in dieser Rolle Leute zu bestrafen, die ihm als Kind das Leben schwer gemacht haben. Akribisch stellt er dabei Szenen aus dem Struwwelpeter nach. Er wählt immer Paare, die er bestrafen will. Einer muss Rätsel lösen, der Andere erleidet einen Tod, z.B. im Tintenfass, frei nach dem Struwwelpeter.
Zusammen mit einem belgischen exzentrischen Profiler muss eine junge Kommissarin versuchen, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen. Seine Exfrau wurde im Münchner Dom nach der „Struwwelpetermethode“ zu Tode gefoltert. Am Ende des Buchs verfolgen die Ermittler den Mörder in den Narrenturm in Wien. Der Narrenturm ist heute ein Museum und gehört zur Wiener Universität. Früher wurden dort die Armen und Kranken als Narren eingesperrt, bis diese Verwahrung als zu grausam angesehen wurde.
In dem Museum, Zutritt ab 18 Jahren, werden Pathologische Exponate wie Leichen oder Kinder mit zwei Köpfen ausgestellt. Es ist heute mehr ein Gruselkabinett als ein Museum. Sat1 hat den Krimi „Todesfrist“ diesen Sommer im TV ausgestrahlt und zeigt dabei auch einen spektakulären Gang durch den „Narrenturm“.
Das Buch „Todesfrist“ war für mich interessant, weil es die Strafen des Struwwelpeters neu beleuchtet, und ich erstmals vom „Narrenturm“ in Wien gehört habe. Bei einer Suche unter dem Stichwort findet der Suchende schnell viele Bilder und Berichte über dieses Museum. Es ist ein wenig dem Frankfurter Kriminalmuseum vergleichbar.
Die Therapie und der Mörder sind nicht ernst gemeint, sondern das Buch hat eine ironische Note. Wer ist wirklich der Täter? Der offensichtliche Automechaniker oder die studierten Psychologen, die den Automechaniker mit ihren Fragen und Ideen erst auf den Struwwelpeter als ‚Wutlösung‘ bringen. Macht die Gleichgültigkeit der Anderen einen normalen Typen zum Mörder, wenn er sich schlecht behandelt fühlt?
Ein Serienmörder treibt sein Unwesen – und ein altes Kinderbuch dient ihm als grausame Inspiration…
Buchempfehlung: „Engelsgift“ von Susanne Ayoub
Auch einen zweiten Buchtipp möchte ich Dir gerne geben. Im Roman „Engelsgift“ erzählt Susanne Ayoub mit viel Wiener Schmäh die Lebensgeschichte der Karoline Streicher. Sie wird als Jugendliche von einem älteren Mann unter Duldung des eigenen Vaters missbraucht und macht eine Karriere mit Versicherungsbetrügereien. Am Ende landet sie als vierfache Mörderin im Gefängnis und ihr wird der Prozess gemacht. Es wartet der Scharfrichter mit dem Todesurteil auf sie.
Eine Begnadigung durch Hitler – der Prozess findet 1938 in Österreich statt – kann sie als vermeintliche Jüdin nicht erwarten. Der Roman schildert eine missgünstige Gesellschaft, die Menschen nur nach dem äußeren Schein beurteilt. Der wahre Mörder der vier Todesfälle bleibt unbehelligt. Es ist der von Karoline geschlagene und gedemütigte, halbwahnsinnige Sohn. Dieser mischt Rattengift in den Tee oder die Pralinenschachteln. Mit süßem Tee kommt der erste Ehemann von Karoline zu Tode. Dieser war ein Lüstling, Erfinder und Versicherungsbetrüger. Nachdem er eine Versicherung über sein Architektendasein und Erfinder eines Staudamms abgeschlossen hat, erleidet er einen Unfall und wird zum pflegebedürftigen Krüppel, der nur im eigenen Schafzimmer noch Herr des Hauses ist.
Der erste Mord geschieht jedoch an der Schwester von Karolines Sohn. Sie wird mit Rattengift im bitteren Tee vergiftet. Es folgt der Vater, dann die reiche Tante von Karoline, die wiederum eine hohe Lebensversicherung abschließt und dann mit giftigen Pralinen ins Jenseits geschickt wird. Das vierte Opfer ist ein altes Dienstmädchen, die Karoline bei sich aufnimmt.
Mit Hilfe der Versicherungsgelder hat sie es zu einer Villa in der Wiener Neustadt gebracht. Dank Herrn Hitlers Politik gegen die Juden kann Karoline diese Villa und einen billigen Hausrat mit teuren Perserteppichen erwerben. Ihr neuer Liebhaber, der gleichzeitig ihr Vorgesetzter bei der Versicherung ist, bei der Karoline nach dem Tod ihres Mannes eine Arbeitsstelle gefunden hat, wird vom Versicherungsdetektiv auf frischer Tat ertappt. Er wollte die neu gekauften edlen Teppiche stehlen und als Versicherungsschaden bei der eigenen Versicherung für Karoline einreichen. Da Karoline bereits mehrere Schadensfälle bei der Versicherung gleichzeitig eingereicht hat wurde der Detektiv beauftragt, die Villa zu überwachen. Ihr Liebhaber und gleichzeitig Chef verliert seine Arbeitsstelle, weil er Jude ist und der Versicherungsdetektiv gegen ihn ermittelt. Er schwärzt Karoline vor Gericht an, und bringt sie in den Verdacht, dass sie als geldhungrige Jüdin vier Morde begangen hat.
Ob sie tatsächlich eine Mörderin ist bleibt offen, weil der Sohn zwar vor der ermittelnden Journalistin, die 60 Jahre später den Fall neu aufrollt, behauptet, er habe die Morde begangen, die Journalistin zieht jedoch seine Erzählungen in Zweifel, weil er total verrückt wirkt.
Die Geschichte ist faszinierend und hat unglaublich viele überraschende Wendungen. So muss der Leser selbst entscheiden, ob Karoline eine Mörderin ist oder nicht. Für reichlich Spannung sorgt der Roman aber auf jeden Fall.