You are currently viewing Documenta: Geteilte Freude ist doppelte Freude

Jetzt also wieder Kassel und die Documenta. Das ist fast wie ein Heimspiel für mich, die Stadt und alle fünf Jahre die dazu gehörige Kunst. Fast immer war ich da, in wechselnder Begleitung, mal mit Vater, dann mit Lebenspartner, mit dem Neffen und diesmal mit einer Freundin. Ich denke, dass ein solcher Kurztrip noch einmal zu einem besonderen Erlebnis wird, wenn ich es mit einem mir vertrauten Menschen teilen kann. Auch die Documenta selbst ist in diesem Jahr ganz anders von mir erlebt worden als beispielsweise die von 2017.

In einer Retrospektive war zu lesen: „Die documenta 14 hatte sich eine Dezentralisierung und Dekolonisation des nordwestlichen Kanons auf die Fahne geschrieben. Im Oktober 2014 gab der künstlerische Leiter Adam Szymczyk sein Konzept bekannt, auf dessen Grundlage er knapp ein Jahr zuvor von der Findungskommission gewählt worden war. Es sah vor, die vierzehnte documenta unter dem Motto „Von Athen lernen“ zu gleichen Teilen in Kassel und in Athen stattfinden zu lassen – wobei die Ausstellung in Athen zwei Monate vor Kassel eröffnen sollte und beide jeweils eine Laufzeit von 100 Tagen hatten. Alle Beteiligten Künstler:innen sollten an beiden Orten ausstellen, wenn auch nicht notwendigerweise mit denselben Arbeiten. Die Bekanntgabe löste heftige Kontroversen aus. In Kassel befürchteten einige Parteien, dass die documenta, die ja nicht zuletzt auch ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor ist, zu einer Wanderausstellung werden könnte“.

Die Documenta 14 in Athen hatte ich am Bildschirm verfolgt, nun in Begleitung meines Neffen, war es ganz wunderbar, beispielsweise Marta Minujíns The Parthenon of Books (2017) auf dem Friedrichsplatz zu bestaunen. Vor dem Fridericianum, dem traditionellen Herzstück der Documenta, standen lange Menschenschlangen an. Innen war es bunt, laut und voll.


Diesmal ist alles anders. Die „Auslastung ist gering“ lese ich im Internet und tatsächlich kann ich mich nur wundern, wie wenige Menschen ich jetzt bei der Documenta 15 vor und in den Ausstellungshallen sehe. Meine Freundin und ich genießen es. Sich in Ruhe auf alles einlassen können, Zeit zum Staunen, Relaxen, Reflektieren zu finden.

Woran es wohl liegen mag, dass es nicht mehr so viele Besucher nach Kassel gezogen hat, jedenfalls in diesen heißen Tagen im August 2022? Lag es an der künstlerischen Leitung, die im Jahr 2022 in den Händen des Kollektivs „ruangrupa“ aus Jakarta, Indonesien liegt? Uns überzeugte sowohl die Idee, als auch die Umsetzung von Ruangrupas Arbeit, die auf „einer ganzheitlichen sozialen, räumlichen und persönlichen Praxis (beruht), die stark mit der indonesischen Kultur verbunden ist, in der Freundschaft, Solidarität und Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben“. Ich lese nach, dass die Findungskommission ihre Entscheidung für ruangrupa unter anderem mit dem partizipativen Ansatz des Kollektivs begründet hat: „In einer Zeit, in der innovative Kraft insbesondere von unabhängigen, gemeinschaftlich agierenden Organisationen ausgeht, erscheint es folgerichtig, diesem kollektiven Ansatz mit der documenta eine Plattform zu bieten.“ Und weiter: „Der documenta 15 liegt der Begriff des „lumbung“ zugrunde, das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird“.

Kann es sein, dass diese Documenta 15 weniger großartige Werke bietet? Soll sie mehr auf praktische Inhalte wie gemeinschaftlicher Gartenbau oder Ideen zur Umwelt setzen, wird dies politisch gesehen, richtig verstanden? Auf jeden Fall polarisiert sie die Kunstwelt – nicht zuletzt auch wegen des großen Skandals. Die Gruppe ruangrupa steht in der Kritik, weist allerdings die Antisemitismusvorwürfe zurück. Eine Fehlinterpretation ihres künstlerischen Schaffens? Gegenstand des Streits ist das Werk All Mining is Dangerous des indonesischen Kollektivs Taring Padi, das unter anderem eine Person mit Geldsäcken und langer Nase darstellt, die zudem eine der jüdischen Kippa ähnelnde Kopfbedeckung zeigt. Diese wurde später überklebt. Handelt es sich tatsächlich so wie es das Kollektiv erklärt, bei der Kopfbedeckung um eine in Indonesien verbreitete Kopiah, die von einer traditionellen Figur getragen wird und Teil der nationalen Kleidung des Lands ist? Stellte das Bild in diesem Sinne die muslimische religiöse Führung in Indonesien dar? Zuvor war bereits ein Werk von Taring Padi wegen antisemitischer Stilistik kritisiert worden. Dabei handelte es sich um ein Banner, das wegen der Vorwürfe kurz nach der Eröffnung der Ausstellung abgehängt worden war. Auch weitere Beiträge der Ausstellung wurden als antisemitisch bezeichnet. Was ist in der Kunst erlaubt und was verletzt den anderen und muss dementsprechend entfernt werden?

Gerne möchte ich Sie an einigen meiner Impressionen teilhaben lassen. Ohne Wertung, ganz einfach einen Einblick gewinnen, das ist meine Intention.  Ich würde mich über eine Antwort in Kontakten freuen!

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:2. September 2022
  • Lesedauer:10 min Lesezeit