Du betrachtest gerade Höhlen, Grotten und Blindheit – Zugänge zu den inneren Symbolräumen des Menschen finden

Von Höhlen und Grotten als Symbolräumen des Menschen künden zahlreiche philosophische Werke. Sie gelten als Orte von Geburt und Tod, als Schutzräume oder Schreckensszenarien. Sie bergen dunkle Geheimnisse, gelten metaphorisch gesehen als Reise ins eigene Innere wie beispielsweise in Bergwerke zu Falun (E.T.A. Hoffmann). In der griechischen Mythologie steigt Orpheus in die Unterwelt, verliert seine geliebte Eurydike, weil er nicht ‚blind vertrauen‘ kann und zurückblickt. Der belgische Symbolist Maurice Maeterlinck (1862-1949) „Pelléas und Mélisande“, Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770-1843) „Der blinde Sänger“, Arthur Rimbauds „Nacht der Hölle“ und nicht zuletzt Platons Höhlengleichnis nutzen die Symbolik des Blindseins, der Blendung und des Nicht-Sehen-Wollens oder Nicht-Sehen-Könnens.  Psychologisch und philosophisch betrachtet, erhält das Ich beim Gang in die Tiefe, als Metapher für die Reflexion über sein ‚Inneres‘, Aufschluss über sich selbst.

Das Modell von Menschen, die in Düsternis, mit Blindheit geschlagen und ohne Erkenntnis leben, entwirft Maurice Maeterlinck, 1892. Maurice Maeterlinck symbolisiert das Drama Pelléas et Mélisande, vielleicht nach dem Modell von Villiers de l’Isle-Adams Drama Axel, 1890. Der über unterirdischen natürlichen Grotten erbaute Palast des Königs Arkël ist die perfekte Vorwegnahme des topischen Freudschen Modells von Bewusstsein und Unbewusstem. Im doppelten Sinne zeigt sich in der Isoliertheit der Umgebung von Meer und dunklen Wäldern und Grotten der Todesgeruch des Verdrängten, der das Unbewusste zur Bedrohung macht und die handelnden Personen sich selbst entfremdet (vgl. Wolfzettel «Höhle, die tiefste, schützt » (Faust II ), Überlegungen zur Signatur von Höhle und Grotte seit der
Aufklärung).

Auch Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770-1843) „Der blinde Sänger“ beschreibt in seinem Gedicht ein lyrisches Ich, das blind ist und sich nach dem „Licht“ sehnt, „Wo bist du, Licht“. Erinnert es sich an Zeiten, in denen es noch sehen konnte? Als es noch jung war, es den Himmel, die Natur und die Heimat sehend erfahren durfte? Jetzt, da es ein Erwachsener ist, ist es allein, blind für seine Umgebung, gefangen in der Dunkelheit, hoffend auf einen Retter, voller Sehnsucht nach dem Unwiederbringlichem.

Arthur Rimbauds „Une Saison en Enfer/Eine Zeit in der Hölle“ könnte vom Titel her eine Zusammenfassung seines kurzen, intensiven Lebens sein.1854 geboren, 1891 an Knochenkrebs gestorben, wurde der französische Dichter und Lyriker Arthur Rimbaud ein Vorbild für die Symbolisten, die französische Literatur des 20. Jahrhunderts und die Popkultur für Bob Dylan, Van Morrison, Fabrizio De André oder Jim Morrison. Berühmt ist seine exzessive Leidenschaft zu Paul Verlain, die letztlich durch einen Streifschuss Rimbeaus durch Verlain beendet wurde. Eine lustige Anekdote über Verlain: In Verlains Augen gab es kaum Schrecklicheres, als die Vorstellung, in einem Keller ohne Wein zu enden, schreibt die NZZ über ihn: „Als sein verstorbener Landsmann Victor Hugo 1885 mit Pomp ins Pariser Panthéon verbracht wurde, beschrieb er die nationale Grabstätte in ein paar bissigen Zeilen als «cave où il n’y a pas de vin»“.

Leben ohne Sonne und Licht, in freudlosen Kellern, in feuchten Höhlen, gelten Unterwelten als verborgene Negativräume, in denen die Dunkelheit herrscht und die das Unbekannte sowie nicht Wahrnehmbare beherbergen. In medioscope, Universität Zürich, Zentrum für historische Mediologie kann man nachlesen, dass sie eine Projektionsfläche für menschliche Ängste und Sorgen sind, die in Erzählungen vom Mittelalter bis in die Neuzeit bespielt werden. Vom Fegefeuer, das als Zwischenraum zwischen Diesseits und Jenseits paradigmatisch für die Höhle als Projektionsfläche für menschliche Ängste steht, bis hin zum Imaginationsraum für filmischen, Erzählungen (Legenda Aurea; Fortunatus; As Above, So Below).

Philosophische Ansätze liefern Platons Höhlengleichnis und Blumenbergs Höhlenausgänge.

Negativ besetzt ist die Höhle im Gleichnis des griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.). Menschen, die in der Höhle leben, sind Gefangene, denen eine (Schatten-)Welt vorgespielt wird. Dazu mediscope: „Die Höhle fungiert als Ort der Illusion, in welchem die Gefangenen leben, ohne sich ihrer Gefangenschaft bewusst zu sein. Abgesondert von der Wahrheit und betrogen von den Schattenspielern sehen sie ihre Welt als die richtige und normale an, da sie nichts anderes kennen. Sie erfahren sogar Anerkennung untereinander, indem sie die Schattenspiele kommentieren. Mit diesem Leben haben sich die gefangenen Höhlenbewohner*innen gut arrangiert und daher keine Motivation, sich ihrer Fesseln zu entledigen und die Höhle zu verlassen. Somit ist für die Gefangenen die Erdoberfläche nur durch Hilfe von aussen erreichbar. Der Gang aus der Höhle ist aufwändig und beschwerlich, doch einmal am Sonnenlicht angekommen, erkennen sie, dass die Schatten in der Höhle nur verzerrte Darstellungen der Wirklichkeit sind“.

Medioscope vergleicht Platons negativ konnotierte Höhle, die durch die Verzerrung der Wahrheit gekennzeichnet ist, mit der des deutschen Denkers Hans Blumenberg. Er sieht in ihr einen Schutzraum und die Voraussetzung für kulturelle Inspiration. „Gegen Ende des 20. Jahrhunderts verfasste Blumenberg eine Monografie mit dem Titel Höhlenausgänge. Darin widmete er sich seinem Gegenstand mittels einer anthropologischen Studie, temporal verortet in prähistorischen Zeiten, als die menschlichen Primaten gerade den aufrechten Gang entwickelt hatten“.

Mit dem damit einhergehenden Austritt der Spezies aus dem afrikanischen Regenwald ließe sich laut Blumenberg vermuten, so medioscope weiter, „dass dieses Verlassen eine traumatische Erfahrung gewesen sein muss, da sich die Primaten nun mit dem sogenannten Absolutismus der Wirklichkeit konfrontiert sahen. Darunter versteht Blumenberg den Moment, in dem ein Lebewesen erkennt, dass es die Bedingungen seiner Existenz nicht annähernd in der Hand hat und gegenüber seiner Umwelt in einer Ohnmachtsbeziehung steht. Gemäss Blumenberg empfinden der Mensch und dessen Vorfahren diese Erfahrung besonders stark, da es sich bei ihnen um Mängelwesen handelt, denen es an echten Instinkten fehlt, um mit ihrer Umwelt zurechtzukommen. Unter dem Einfluss dieses traumatischen Zustandes suchten unsere Vorfahren einen neuen Schutzraum. Diesen fanden sie schliesslich in der Höhle“.

Und weiter führt medioscope aus, Blumenberg folgerte, die Höhle sei für ihre neuen Einwohner*innen mehr als eine Behausung für Ruhe und Schlaf gewesen. Vielmehr sei die  Furcht vor dem Absolutismus der Wirklichkeit war so gross gewesen, dass man die Höhle nur zur Nahrungsbeschaffung verließ und diese Aufgabe nur den Stärkeren einer menschlichen Gemeinschaft überließ. Die Schwachen, begannen sich in der Höhle zurückgeblieben Geschichten zu erzählen, Musik und sich in Höhlenmalerei zu üben.

Spannend ist die Darstellung von medioscope von Filmstudios als Höhle, wie die Film The Truman Show. Da entspräche der platonischen Höhle ein kuppelförmiges Filmstudio, in welchem das Leben in einer Kleinstadt simuliert würde, in der der Protagonist Truman Burbank seit Geburt lebe, ohne zu wissen, dass seine Welt eine inszenierte sei. 24 Stunden lang würde sein Leben live am Fernsehen übertragen, bis nach 29 Jahren ein Scheinwerfer vom Himmel falle und Truman fortan versuche, die Wahrheit herauszufinden.

medioscope findet Parallelen zu Platons Höhlengleichnis und Blumenbergs „Höhlenausgänge“, wo die befreiten Gefangenen erst nach und nach zur Erkenntnis gelangen, dass etwas nicht stimmt, dann schrittweise den Austritt aus der Höhle bzw. dem Filmstudio wagen. Erst kommt die Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt und daraus folgend die Suche nach der Wahrheit und letztlich der Mut, eine Grenze zu überschreiten, um Neues zu wagen.

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