Niki de Saint Phalle ist am 21. Mai 2002 in San Diego nach langer Krankheit gestorben. Bekannt wurde sie durch ihre knallbunten, üppigen Nanas und ihr Herzensprojekt, den Tarotgarten in der Toskana. Die Trauer, im Leben eines Menschen hat viele Gesichter, darüber werden wir im Sommersemester 23 ausführlich sprechen. So erlebte Niki de Saint Phalle mehrere schwere psychische Krisen, was Niemeyer-Langer zu der Diagnose einer «schizoaffektiven» Störung veranlasst. Auf ihre gefühlte Trauer reagierte Niki, wie sie ihre Mutter nannte, mit sozialem Rückzug und suizidalen Phantasien, aber auch mit großer Kreativität. Auch ihr Leben war, wie das von vielen kreativen Menschen von Phasen vorübergehender Rückzüge und Erfahrungen von Einsamkeit geprägt. «Aus dieser Einsamkeit heraus, allein, werden die Ideen für meine Arbeiten geboren», so kann man ihren Selbstaussagen entnehmen.
Die Frankfurter Schirn widmet der berühmten Künstlerin eine Ausstellung, die der Kulturbotschafter des UniWehrsEL für uns besucht hat. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an ihn!
Liebes UniWehrsEL,
gestern habe ich mich durch den Regen gekämpft – ich kam mir vor wie eine Figur aus dem Struwwelpeter. Abgekämpft und nass kam ich dann an meinem Ziel der Frankfurter Schirn an. Dort ist seit gestern eine neue Ausstellung zu erleben. Die Popartkünstlerin Niki de Saint Phalle lädt ein. Doch bevor der Besucher zum Kunstgenuss gelangt, muss er sich erstmal in Geduld üben. Lange Schlangen vor der Kasse. Gedanklich gehe ich schon die Alternativmuseen durch. Dann die Erlösung. Alle wollen zu Marc Chagall nicht zu Niki. Ich atme innerlich kurz durch. Die Freude währt nur kurz. Denn nun heißt es erneut Schlange stehen und zwar um die Jacke abzugeben. Ein Blick auf die Uhr zeigt. Eine halbe Stunde ist vergangen, und ich bin den Kunstwerken nicht mal ansatzweise nähergekommen.
Niki begrüßt die Besucher nun mit einem Video. Dieses zeigt, wie sie ihre mühsam gefertigten Kunstwerke zerschießt. Es ist eine Schande, denke ich. Aufwendig hat die Künstlerin ihre Werke gestaltet, um sie dann binnen weniger Sekunden zu zerstören. Sie filmt sich dabei. Es ist erschreckend. So gar nicht wie ich mir das Verweilen vor einem Kunstwerk in der Theorie vorstelle. Langsam und genussvoll betrachte ich das Kunstwerk. Doch die Statistik belehrt den Kunstfreund eines Besseren. Der durchschnittliche Besucher schaut sich einen Piccasso ca. 5 Sekunden lang an und wandert dann zum nächsten Kunstwerk. Die Nutzung der Sozialen Netzwerke wie Facebook, Snapchat oder Instagram hat unsere Gewohnheiten zu Bildern verändert. Im Schnitt schauen wir, durch diese Medien neu erzogen, nur noch ca. 4 Sekunden auf ein Bild, bevor wir uns dem nächsten Motiv zuwenden. Aber können wir einen Picasso oder eine Niki de Saint Phalle wirklich in 4 Sekunden erfassen? Die Antwort ist eindeutig.
Nein! Der Mehrwert für den Besucher ist also gering. Bei einer 300 qm großen Ausstellung verbringt der Besucher, wenn er 4 Sekunden investiert ca. 20 bis 30 Minuten, dann hat er die Ausstellung durch. Soviel Zeit investiert der durchschnittliche Besucher also in eine Dauerausstellung, z.B. im Städel mit seinen alten Meistern. Einen größeren Reiz und eine längere Verweildauer haben Sonderausstellungen. Kein Wunder also, warum viele Museen ihren Ausstellungen das Wort ‚Sonder‘ voranstellen. Das erhöht die Aufmerksamkeit des Publikums deutlich. Allerdings ist die Verweildauer in einer Sonderausstellung, grob betrachtet, auch nur eine Stunde. Als Zwischenfazit kann man sagen, wenn der Besucher länger an der Kasse ansteht, als er die Ausstellung betrachtet, dann ist das nur gut für das Museum, weil es mehr Karten an Besucher verkaufen kann, aber für den Besucher selbst tatsächlich höchst ineffizient.
Wofür ist Niki de Saint Phalle berühmt? Für ihre sogenannten „Nanas“. Dies sind bunte, großformatige Frauenfiguren. Sie sind sehr weiblich. Über 100 Werke werden von der Künstlerin gezeigt. Berühmt sind die bereits erwähnten Schießbilder. Sie zerstört nicht wirklich aufwendige Kunstwerke, sondern schießt auf Konservendosen, montierte Farbbeutel, Holz- und Gipsplatten. Nach eigener Aussage, wollte Niki sehen, wie das Gemälde blutet und stirbt. Die berühmten Nanas befassen sich mit der weiblichen Identität. Sie beschäftigt sich mit dem Rollenbild der Frau in der westlichen Gesellschaft. Zugleich feiert sie mit ihren Nanas den weiblichen Körper, seine Furchtbarkeit und Kraft. Ihre Figuren stellen Bräute, Mütter oder auch Gebärende dar. Sie experimentiert mit dem Frausein und fragt sozialkritisch nach der weiblichen Identität. Ein witziges Nana-Ensemble zeigt zwei überdimensionierte Omas beim Kaffeetrinken. Ein Werk zeigt eine Braut mit Schleier auf einem Pferd. Das Wort ‚Nana‘ erinnert an das englische Wort Nanny (Kindermädchen), und beschreibt die Vorstellung von Rundheit und Fülle.
Wie gehen wir gesellschaftlich mit dem Frauenkörper um? Vorbild ist auch die Venus von Willendorf und ihre fruchtbare Form. Die Figuren der Nanas entstanden in den 1960er Jahren, wo es einen neuen feministischen Diskurs gab. Neben den Nanas schafft sie auch Werke, die sich um die Vaterrolle drehen.
Sie versucht also neue Denkräume für den Zuschauer zu eröffnen, ob diese gelingt hängt von der Einstellung des Besuchers ab. Jedenfalls lohnt sich ein Blick auf die Nanas.
Danke für den interessanten Beitrag und für das Bild der Nana von Stefan Schweihofer auf Pixabay!