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Die Angst vor Krankheit, Alter und Tod, verbunden mit einem tiefen Verständnis für die zuweilen doch recht „grausame Natur-Dämonie“, die sich darin ausdrückt, sich im Leben als „Die Betrogene“ zu fühlen, veranlasste Thomas Mann zu seinem gleichnamigen Roman. Mit erstaunlich großer medizinischer Fachkenntnis und auch psychologischem Einfühlungsvermögen versetzte Mann sich in die Problematik einer Frau in den Wechseljahren.

Dieser letzte Roman Thomas Mann regte vielfach zu weiterführenden künstlerischen Interpretationen an. Aber auch zu medizinischen, wieman bei Prof. Dietl, Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Würzburg, im Ärzteblatt nachlesen kann: “Die Novelle „Die Betrogene“ verrät erstaunliche Sachkunde in der Gynäkologie.”

In Frankfurt an einer Litfaßsäule (so benannt nach ihrem Erfinder Ernst Litfaß 1854) erblicke ich bei einer Entdeckungstour – das tun Stadtforscher zuweilen, – ein Plakat mit der Außenwerbung der Oper „Blühen“ im Bockenheimer Depot in Frankfurt. Auf einem Gehweg beim Deutschen Filmmuseum, bei dem grade noch bis 26. Februar die Ausstellung „Tiefenrausch“ (wir berichteten darüber) zu sehen ist, fasziniert mich eine rosa Blüte, die auf den zweiten Blick auch zu einer anderen Deutung einlädt.

Die Oper „Blühen“ von Händl Klaus setzt Thomas Manns Werk „Die Betrogene“ in einer ganz eigenen Art und Weise um.

Dazu ein Leserbrief:

Liebes UniWehrsEL,

meine Erlebnisse mit Thomas Mann schildere ich dir hier kurz: Für Blühen habe ich am 30.01. ein Ticket ergattert – ein Stück von Thomas Mann als Oper im Bockenheimer Depot. Kurzer Inhalt: Aurelia, eine Frau Anfang 50, lebt mit ihren Kindern Anna und Edgar zusammen. Edgar hat seinen Bekannten, den Amerikaner Ken, zu sich nach Hause eingeladen. Aurelia verliebt sich in Ken. Er erwidert ihre Liebe. Sie glaubt, dass er sie verjüngt – nicht nur geistig, sondern auch körperlich.

Als Wendung taucht der Hausarzt auf, der ihr mitteilt, dass sie unheilbar krank ist. „Blühen ist eine Erzählung nach Thomas Mann aus 1953 „Die Betrogene”.  Der Dramatiker Händl Klaus hat die Geschichte als Jugendlicher gelesen. Wie Lieben und Sterben ineinander übergehen, hat ihn damals erschüttert (Liebe und Tod ist ein Thema, das auch wir im UniWehrsEL aufgegriffen haben). Ihn faszinierte das Schicksal der Titelheldin, der das Schönste und das Schrecklichste geschieht.

Mit Tuba, Bassklarinette und Kontrafagott lässt sich eine musikalische “Krebsgestalt” abbilden. Das Murmeln ist wie die Krankheit, die in einen Körper hineinkriecht und sich ausbreitet. Es geht bei dem Stück darum, sich in der Stille zu verlieren. Premiere hatte das Stück am 22.01. in der Regie von Brigitte Fassbaender.

Und ein weiterer begeisterter Brief ans UniWehrsEL

Schade, dass du heute nicht bei Blühen dabei warst. Es war ein außergewöhnliches Klangerlebnis, z.B. wurde auf Klangschalen musiziert. Die Musik war an mancher Stelle wie ein ironischer Kommentar zum Bühnengeschehen. Es war ein total abgefahrenes Erlebnis. Manchmal wird der Mut, etwas Neues auszuprobieren, wirklich belohnt mit einer ungewöhnlichen Erfahrung.

Zum Inhalt:

Aurelia, eine Frau Anfang 50, verliebt sich in den jungen amerikanischen Studenten Ken, der ihrem Sohn Englisch beibringt. Doch am Anfang der Handlung geht es um eine Diskussion zwischen Mutter und Tochter über das Wesen der Natur. Aurelia fühlt sich mit der Natur verbunden. Erinnert mich spontan an Werther, mit seinem Naturbezug. Die Tochter kann mit der Natur nichts anfangen. Sie schwebt in höheren Sphären. Deshalb hat die Tochter wohl auch kein Interesse an der Fleischeslust. Im Gegensatz zur Mutter, die ihre Natürlichkeit wiederentdecken will. Aufgrund dieser langen Diskussion über die Natur der Dinge oder das Wesen des Menschen wurde sicherlich der Titel „Blühen“ gewählt und nicht der Titel der Geschichte von Thomas Mann „Die Betrogene“.

Thomas Mann wurde zu seiner Geschichte durch einen Bekannten angeregt. Dieser erzählte Thomas Mann von einer alten Münchner Adligen, die sich in den Hauslehrer ihres Sohnes verliebt hat, kurz bevor sie eine Nachricht über eine schwere Krankheit von ihrem Hausarzt erhielt. In der Geschichte von Mann ist die Tochter behindert, sie hat einen Klumpfuß und findet daher keinen Partner. In der Inszenierung hat die Tochter keinen solchen augenfälligen Makel. Die Betrogene ist Manns letzte Novelle von 1953.

Interessant ist auch die Wahl der Sprache. Wenn die Tochter und die Mutter sprechen, so sprechen sie in nüchternem Deutsch miteinander. Wenn der Lehrer Ken und Aurelia miteinander sprechen, dann tun sie dies in Englisch oder über ihren Körper.

Ich fand die Verwandlung der inneren Einstellung von Aurelia durch die Liebe zu Ken einfach toll dargestellt. Gerade die Leidenschaft bzw. der Sex, welchen sie mit dem 25jährigen auslebt, ist sehr innig. Dann taucht der Arzt auf, natürlich dargestellt als alter, weißer und weiser Mann, der ihr den Zahn zieht. Deshalb hat der Arzt auch eine Bassstimme. Sie soll Aurelia wohl beruhigen. Nachdem die Tochter schon sich heftig darüber aufgeregt hat, dass die Mutter sich einen Partner im Alter der Tochter zulegt.

Begleitet wird das Stück durch einen Chor, der als Beobachter fungiert und auch fast wie bei einem Barockstück in die Handlung eingreift. Hinter einem Vorhang sieht der Zuschauer einen Tumor auftauchen. Daran erkennt der Zuschauer, dass es bald mit Aurelia zu Ende geht. Die Sterbeszene wirkt für den Betrachter etwas theatralisch. Wobei die Musik immer ruhiger wird. Es ist ein sanftes Hinabgleiten in den Tod. Dabei werden auch die bereits erwähnten Klangschalen eingesetzt.

Es war ein überzeugender Abend mit spannender Musik und einem traurigen Ende. Jedoch geht der Komponist Vito Zuraj liebvoller mit der Figur Aurelia um, als es Thomas Mann tut. Auf dem Foto, das auf dem Programmheft vorne abgedruckt ist, sieht Aurelia sehr glücklich aus. Sie liegt auf einem Sofa, was an blaue Wolken erinnert. Das Bühnenbild ist am Anfang ein Garten, in dem es sich Aurelia gemütlich eingerichtet hat, nur der Chor sorgt schon am Anfang dafür, dass sie sich nicht zu idyllisch in dem Garten einrichtet.

Die Krankheit bringt sie zum Bluten. Aurelia deutet das Blut jedoch als Wiedererwachen der Fruchtbarkeit durch die Kraft der Liebe. Allerdings stellt der Arzt klar, dass das Bluten den Tod bringt und nicht neues Leben schenkt.

Ich finde, das ist so bezaubernd und eindringlich geschildert, dass ich fast den Eindruck hatte, ich wäre mit in der Aufführung gewesen. Tausend Dank dafür! Es zeigt wieder einmal, genau wie bei unserem “Interdisziplinären Gespräch” (Stieß-Westermann/Wehrs) zu Thomas Manns “Tod in Venedig”, welche anthropologische Quelle ein Roman darstellen kann.

Danke an Kerstin Riemer für das Foto des Blütenkelchs auf Pixabay