Du betrachtest gerade Überlegungen zur Oper Tosca – menschliches Verhalten und tierische Metaphern

Die Oper „Tosca“ begegnet uns im UniWehrsEL immer wieder in verschiedenen Kontexten. Sei es bei „Frauenbildern„, Sarah Bernhardt – die hohe Kunst der Selbstinszenierung“ oder in der Fortsetzung der Schreibwerkstatt:, hier finden Kommissar Ritter und der Opernkritiker Ivo Burn am Tatort in Frankfurt ein Programmheft, indem auch die Oper „Tosca“ im Opernhaus in Frankfurt angekündigt wird. Einen Zuschauer hat nicht nur die Fortsetzung unserer Tatort Geschichte, rund um die Oper fasziniert, sondern auch die Wiederaufnahme der Frankfurter Inszenierung von Puccinis „Tosca“ „am 07.09.2025 (Regie: Andreas Kriegenburg). In seinem Fokus des Interesses lag nicht nur das Musikalische, sondern interessanter Weise das psychologisch tief Bewegende. Und für mich als Dozentin besonders erfreulich, weil er sich vor allem dezidierte Gedanken, zur Tiersymbolik und die präzise Zeichnung menschlicher Triebe und Machtspiele, passend zum Seminar Anima(l) gemacht hat.

Elke Wehrs„Anima(l)“: Tiere als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände (S)Onlineveranstaltung (Zoom)
Mi, 12:00–14:00 Uhr

Liebe Leser,

Meine Gedanken zur Tiersymbolik und die präzise Zeichnung menschlicher Triebe und Machtspiele in der Oper „Tosca“, passend zur Lesung Anima(l), leiten mich zur Ausgangsfrage:

Ist Scarpia das Alphatier: Macht, Strategie und Jagdinstinkt?

Scarpia erscheint in dieser Produktion als prototypisches Raubtier: bedrohlich, autoritär und furchteinflösend. Er ist das Leittier einer militärischen Meute, ein Wolf, der seine Stellung durch Demonstration von Gewalt und Einschüchterung sichert. Sein Auftreten ist militärisch-rudelhaft — Planung und Strategie verbinden sich mit roher Macht: Verhöre, Folter, psychologische Druckausübung.

In der Folterszene entfaltet sich Scarpias Raffinesse besonders deutlich: seine Verhörtechnik ist ein kalkuliertes Psychospiel, wendig wie ein Wiesel in seinen Taktiken, zugleich hinterhältig wie eine Schlange, die langsam und gezielt zubeißt. Er inszeniert die Machtprobe als Jagd — Cesare Angelotti wird zum gejagten politischen Opfer, Cavaradossi zum besonders verletzlichen Reh.

In dieser Schlüsselszene wird Scarpia als animalisches Raubtier inszeniert: ein Alphawolf, der seine Beute umkreist. Er sondiert Toscas Gefühle für den Maler, sucht nach Schwächen. Mit kalkulierten Reizen — dem angebotenen gemeinsamen Abendessen — und offen sichtbaren Drohgebärden — der Androhung, Cavaradossi hinrichten zu lassen — setzt er sie unter Druck.

Seine Verhörtechnik ist wie ein Beutetanz. Zuerst nähert er sich langsam und provokativ, dann packt er plötzlich zu. Er wechselt psychologische Stiche aus — gezielte Demütigungen, feine Manipulationen — mit körperlicher Präsenz. Schritt für Schritt zermürbt er Tosca durch Stress, Täuschung und Nähe, bis Panik und Erschöpfung ihre Abwehr schwächen.

Diese Choreographie offenbart die Muster seines Handelns: Jagdinstinkt, Dominanzgesten, Imponierverhalten und eine sadistische Lust an der Kontrolle. Scarpia erscheint nicht nur als skrupelloser Machthaber, sondern als primäres Raubtier. Sein geplanter krönender Abschluss wäre eine Liebesnacht mit Tosca gewesen. Mit ihrer Wehrhaftigkeit hat er jedoch nicht gerechnet: im Augenblick seiner Unaufmerksamkeit sticht Tosca zu und tötet ihn mit einem Messer.

Ist Tosca Pfau oder Raubkatze: Status, Eifersucht und Verteidigung?

Tosca selbst ist ein vielschichtiges Tierbild: divenhaft, von besonderer Schönheit, eine Künstlerin mit Spieltrieb und Instinkten. Sie ist nicht nur Verführte, sondern auch Räuberin in ihrer eigenen Weise: die sexuelle Spannung zwischen ihr und Scarpia ist ein wechselseitiges Machtspiel — wer verführt wen? Scarpias Verführung ist kalkuliert, eine Mischung aus Drohung und Komplimenten; Toscas Reaktion schwankt zwischen Furcht, gezielter Eifersucht und kalkulierter Gegenwehr.

Ihre Eifersucht richtet sich nicht auf Cavaradossi selbst, sondern auf eine vermeintliche Rivalin — ein auf dem Bild verewigtes Frauenbild, das Toscas Leitanspruch in Frage stellt. Sie toleriert keine andere Frau an der Seite ihres Geliebten; Scarpia nutzt genau diese Eifersucht gezielt aus. In der Kirche platziert er einen gefundenen Fächer und lässt ihn so wirken, dass Toscas Misstrauen und Besitzanspruch gegen die imaginäre Rivale aufflammen — ein raffinierter psychologischer Trick, mit dem er Informationen über das Verbleiben des politischen Gefangenen Angelotti erpresst.

Cavaradossi tritt als treuer Freund und Maler auf — treuherzig, verliebt in Tosca, zugleich menschlich verwundbar. Seine emotionale Offenheit macht ihn zur Schwachstelle beim Verhör; seine fingierte Erschießung inszeniert er dramatisch, doch wird die Realität noch brutaler, als Spoletta nach der simulierten Hinrichtung hinterrücks auf ihn schießt — eine perfide Machtdemonstration, die die Unberechenbarkeit des Rudelapparats zeigt.

Die Regie von Kriegenburg legt besonderen Fokus auf das Te Deum: hier kulminiert die musikalische und psychologische Spannung. Scarpia stilisiert sich fast zum Jago: in der Szene vergleicht er sich selbst — ein deutlicher Verweis auf intriganter Boshaftigkeit, wie sie auch Verdis Othello charakterisiert. Das Te Deum wird zur Bühne seines Triumphes und zugleich der Seelenverstörung, auf der sich religiöse Frömmigkeit und zynische Macht überschneiden.

Ein reiches Netz von Tiergleichnissen durchzieht die Aufführung: Scarpia als Wolf, der das Rudel kommandiert; sein Apparat als Hyäne, die von Aas und Angst profitiert; seine List wendig wie ein Wiesel, seine Hinterhältigkeit schleichend wie eine Schlange. Tosca erscheint als Raubkatze und Pfau zugleich — eine prachtvolle Jägerin und divenhafte Schau, deren Schönheit zur Waffe wird; sie ist auch eine Bienenkönigin

im sozialen Anspruch: sie duldet keine Rivalin in ihrem Reich. Cavaradossi als Reh oder Lamm — sanft, anhänglich, verletzlich; Angelotti als verängstigter Hirsch, gehetzt durch politische Wälder. Spoletta ähnelt einem kleinen Mungo — flink, opportunistisch, hinterhältig; Scarpias Vertraute agieren wie Hyänen, die insgeheim auf den Fall des Alphatiers warten und ihren Vorteil suchen.

Sind Rudel, Rivalen und Fluchttiere die sozialen Hierarchien im Tierreich?

In der Oper Tosca werden soziale Instinkte und ökologische Rollen auf Menschen projiziert — Rangordnung, Balz, Revierverteidigung, Jagd und Fürsorge. Scarpias autoritäres Verhalten spiegelt den Selektionsdruck in Rudeln: Dominanz wird durch Gewalt und Einschüchterung etabliert. Sein Hofstaat (Soldaten, Spoletta) sind Rudelmitglieder: Untergebene, die vom Status des Alphatiers profitieren wie Hyänen, die Aas und Machtvorteile abgreifen.

Toscas Besitzdrang erinnert an Balzriten, in denen Höherstufige Rivalen ausschließen, um Paarbindung und Fortpflanzungschancen zu sichern. Die Folterszene ist eine Hetzjagd, in der Predation, Stress und Fluchtreflexe offengelegt werden; die Machtspiele funktionieren wie Signale im Tierreich — Drohgebärden, Imponierverhalten und Täuschung. Auch Moral und Kultur erscheinen als Schichten über biologischen Trieben: Kunst (Toscas Gesang, Cavaradossis Malerei) sind wie auffällige Ruf- oder Farbzeichen, die sozialen Status markieren. Ihr Status beruht auf Statussignalen (Stimme, Schönheit, Bühnenpräsenz) und auf Besitzansprüchen gegenüber Cavaradossi; sie verteidigt ihn aggressiv wie eine Löwin ihr Junges oder ein Revierweichchen seine Partnerin.

Aus psychologischer Perspektive ist das Drama ein Lehrstück über Macht, Sexualität und narzisstische Zerstörungsabsicht: Tosca nutzt sexuelle Anziehungskraft als Waffe um Cavardossi frei zu bekommen; Scarpia instrumentalisiert sein Begehren, um Gehorsam zu erzwingen. Tosca, in ihrer Mischung aus Bühnenhaftigkeit, Eifersucht und künstlerischer Sensibilität, reagiert mit einer fatalen Synthese aus Angst und Entschlossenheit — bis hin zur überraschenden Gewalt, mit der sie die Schlange tötet. Ihr Mord ist nicht nur Rache, sondern auch Selbstbehauptung: eine Jägerin, die ihr Paradies verteidigt. Sie glaubt an eine Zukunft mit dem Maler.

Die Frankfurter Inszenierung macht diese animalische Dimension sichtbar und psychologisch nachvollziehbar. Die vielen Tierbilder (hier die Hyäne)

— Wolf, Schlange, Wiesel, Raubkatze, Reh, Hyäne, Pfau, Biene, Hirsch, Mungo, Fuchs — helfen, die Triebe hinter den Figuren zu begreifen: Aggression, Jagdinstinkt, Dominanz, Verführung und Schutz. So wird Tosca nicht nur als Diva und Künstlerin gezeigt, sondern als komplexes Tierwesen, das zwischen Opfer- und Täterrolle pendelt.

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