In unserem Seminar von Puppen und Menschen kommen selbstverständlich auch die Marionetten zu Wort. Der bekannte „Marionetten-Munkler“ betrachtet Marionetten als magische Wesen: „Das Theater ist ihre Welt und die ganze Welt ist ihr Theater. Sie werden zum Leben erweckt durch die wunderbare menschliche Gabe zur Phantasie … und das schon seit Tausenden von Jahren. Ganz so lange sind wir noch nicht dabei. Marionetten bauen wir seit 1991 und Theater spielen wir seit 2016“. Viele der Ausführungen in Heiner Schwens Referat beziehen sich in Definition, Bedeutung und Ursprung der Marionette auf Gottfried Munkler.
Die Marionette ist eine Unterordnung der Puppen, die über ein Drehkreuz/Spielkreuz (im Gegensatz zu Handpuppen) menschenähnliche Bewegungen, durch an Schnüren befestigte Gliedmaßen, durch einen Marionettenspieler bewegt wird.
Traditionell waren die Figuren damals aus Holz (Gliedmaßen), wegen der feinen Maserung und weil das Material leichter zu bearbeiten war und im trockenen Zustand kaum riss, wurden die Köpfe aus Lindenholz gefertigt.
Heute werden die meisten Materialien aus Schaumstoff, Latex oder Pappmaché gefertigt.
Es gibt verschiedene Deutungen der (einer) Marionette:
„Die Marionette wurde als theatrale, an vertikal verlaufenden Fäden bewegte Figur charakterisiert, die von einem Publikum als Objekt wahrgenommen wird und durch die ihr verliehene Gestalt, Bewegung, und häufig auch Sprache, das Verlangen des Publikums, sie als lebendig zu empfinden, befriedigt“.
Gottfried Munkler (Technischer Redakteur vor seiner Selbständigkeit, auch Marionetten-Munkler genannt) sieht es ähnlich: Marionette ist „etwas Lebloses, das durch Fäden, Drähte oder Stangen so bewegt wird, dass es belebt erscheint“.
„Die Marionette ist ein seltsames Ding. Steif und tot hängt sie an ihren Schnüren wie ein krankes Kind, das bedauert werden will. Sobald sie jedoch von kundiger Hand geleitet wird, verwandelt sie sich blitzschnell in ein wunderliches Wesen von magischer Ausdruckskraft, bereit zu den unwahrscheinlichsten Bewegungen, Sprüngen und Gebärden.“
Generell handelt es sich ja bei der Marionette, wie schon erwähnt, um eine Puppe, die aus mehreren Gliedern zusammengesetzt ist, und von außen bewegt wird. Dazu schreibt und illustriert Munkler:
Im Landesmuseum der Stadt Brünn (Brno) Tschechien befände sich ein einmaliger Fund. Es handele sich dabei um eine Gliederpuppe, die zurzeit als die Älteste der Welt gelte, vielleicht der Urahn aller Marionetten (Kritiker meinen allerdings, dass es nicht die älteste Marionette der Welt gibt, da diese Figuren in vielen alten Kulturen existieren). Sie ist eine männliche Figur, aus Mamut-Elfenbein geschnitzt, und ist ca. 28.000 Jahre alt, ein zeitlich weiterer Rückblick sei momentan nicht möglich.
Natürlich müsse man sich fragen, so Munkler, welche Funktion sie damals gehabt haben könnte, und ob unsere Vorfahren damit bereits Theater gespielt hätten. Sehr prosaisch fragt der Marionetten-Munkler. „Spielte ihre Verwendung etwa die Rolle, um sie im Feuerschein-Schatten lebendig werden zu lassen“?
Nachvollziehbar sei diese Meinung und sei deshalb so plausibel, weil ebenso wie bei den Höhlenmalereien, alle Kunstwerke des „frühzeitlichen Menschen immer auch als mystische, magische und religiöse Mittel gedeutet wurden.“ Über die Theaterfunktion hinaus hätten von Anbeginn die beweglichen Puppen eine Bedeutung im Bereich des religiösen Kultes.
Munkler nennt dazu einige Beispiele aus Ägypten: XI./XII Dynastie 2040-1783 v. Chr.; Griechenland (ab 700 vor Christus) und China, 107 v. Chr.. Sie reichen von einer Figur, die Getreide malt und von Schnüren bewegt wird, über Krokodilfiguren, denen mit Hilfe einer Schnur das Maul geöffnet und geschlossen werden kann, bis hin zu Gliederpuppen, die „Neurospasmata“ genannt werden. Der Begriff (altgriechisch νευρόσπασμα oder νευρόσπαστον) setzt sich aus den griechischen Worten für „Sehne, Faden“ und „ziehen“ zusammen.
Man fand, so Munkler, in China eine Grabbeigabe in Form einer 1,93 cm großen Marionette, die eine traditonell bedeutende Rolle spielte. Die eines Schamanen, „der als Fangxiang verkleidet in das Grab hinabsteigt und dort den bösen Geist Fangliang vertreibt, bevor der Leichnam hinabgelassen wird“. Damit, so erklärt Munkler, führte die Marionette im ursprünglichen Sinne einen Exorzismus aus.
Spannend sind auch seine Ausführungen zu dem chinesischen Wort für Marionette. „kuilei“ bedeute, wörtlich übersetzt „sehr hässliches Ding“.
In Spanien dürfe schon seit dem 16.Jahrhundert eine Figur nicht zu kurz kommen. Das sei der berühmte Miguel de Cervantes, sowie sein Held Don Quijote, auch er sei auf allen Marionettenbühnen Spaniens bekannt gewesen.(wer mehr über diesen Helden wissen möchte, dem empfehlen wir den Beitrag im UniWehrsEL über Don Quijote). Der „Antiheld“ Don Quijote und sein Kampf gegen Windmühlen, die er für feindliche Riesen hält, führte zur Redewendung „gegen Windmühlen kämpfen“, um etwas zu beschreiben, was nie zum Erfolg führen wird.
Auch nach Frankreich hat Munkler einen Blick geworfen und herausgefunden, dass der Begriff der Marionette für Puppen an Fäden wahrscheinlich erstmals im 17. Jahrhundert aufgetaucht sei. Er stamme vom französischen Wort marionnette und sei eine Verkleinerungsform des Frauennamens Marion.
Im Ethymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache findet man einen interesssanten Eintrag: Er schreibt schon in der 1. Auflage 1881, „dass das französische marionnette auf altfranzösisch mariolette zurückgeht, was wiederum von mariole (deutsch: Figürchen) kommt“.
Interessant ist auch die Verbindung zu Draht:
Draht m. Mhd. ahd. drät, as. thräd ‚Faden‘ aus g. *prâdu- m. ‚Draht‘, auch in anord. präör ‚Faden, Leine‘, ae. prâd, afr. thrëd, eigentlich ‚der Gedrehte‘ (/«-Abstraktum zu drehen, s. d.). Der gezogene Metallfaden ist nach dem gedrehten Zwirn benannt. Draht ist seit dem 19. Jh. Ersatzwort für Telegraph (Drahtantwort usw.) nach den Verbindungsdrähten. Vielleicht hierzu auf Draht sein ’schnell, geschäftstüchtig sein‘. …
Drahtzieher seit dem 18. Jh. für ‚Hintermann‘ — gemeint ist derjenige, der die Marionetten an Drähten bewegt.
Dass ein Wort im Laufe der Zeit eine andere oder mehrere Bedeutungen bekommt, erscheint als ganz normal. So weitet sich neben der Bedeutung des „Drahtziehers“ als Hintergrundfigur der Marionette, die Symbolik auch auf die Traumdeutung aus. Kurz zusammengefasst steht sie mit ihren Fäden in Zusammenhang mit dem Begriff der „Abhängigkeit“. Etwas kann „am seidenen Faden hängen“ oder der „(Gedulds)faden“ kann reißen. Was dies bedeutet, kann sich Jeder selber erklären.
Interessant ist auch Munklers Erläuterung zu Tai -Chi, auch Taijiquan (Schattenboxen) und der Marionette als Ideal: Bei Taijiquan „soll der Kopf wie an einem Seiden-Faden von oben gehalten sein“. Dabei wird die Haltung der Marionette als Vorbild genommen: „Wir sind entspannt und stellen uns vor, wie wir an den Ohren nach oben gezogen werden.“ Die Bewegungen aber hätten sich losgelöst von den starren Vorgaben einer Marionette.
Sie sind langsam und fließend, sie werden in einer festgelegten Reihenfolge traditionell unter freiem Himmel ausgeführt.
Tai- Chi und Marionette, Parallelen und Metaphern
Es besteht kein direkter Zusammenhang, „aber die Vorstellung einer Marionette kann beim Erlernen der Haltung und Körperkontrolle im Tai-Chi hilfreich sein“.
Warum ist dies so? „Tai- Chi unterstreicht die Idee von aufrechten, aber geschmeidigen Bewegungen, die an einem unsichtbaren Faden nach oben gezogen werden“.
Herzlichen Dank für diese spannenden Ausführungen auf der Grundlage des Experten Gottfried Munkler (2021) und die Bereicherung durch die Images von Pixabay!
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