Aufnehmen – Innehalten – Entspannen
David Duchemin schreibt in seinem Buch: „Die Seele der Kamera: … und die Rolle des Fotografen“: “ In der Menge fotografischer Bilder, die uns Tag für Tag begegnen, sind es nur wenige, die uns wirklich erreichen, die wir nicht nur wahrnehmen, sondern die uns berühren, packen, faszinieren“. Interessanterweise erwähnt weder er noch die genannten Verfasser nicht die Notwendigkeit, auch mit der technisch notwendigen Ausrüstung zurecht zu kommen, um ebenso unter Zuhilfenahme der Technik eindrucksvolle Bilder zu kreieren, die ein Staunen hervorrufen, einen WOW-Effekt generieren. Um mit dem Traumforscher Kelly Bulkeley von der Universität im kalifornischen Berkeley zu sprechen: „Staunen ist die Begegnung mit etwas Neuem und Unerwartetem, das eine Person als ausgesprochen wahr, real und/oder schön beeindruckt“.
Dies kann auch auf das Fotografieren angewandt werden. Ein Foto kann unsere Sinne herausfordern, Beispiel: Ein Flugzeug wird beim Starten fotografiert (das Foto kann dann durchaus neben dem Betrachten später zusätzlich auch den Lärm und den Geruch nach Kerosin hervorrufen). Oder das Foto eines gut angerichteten Essens kann später die Geschmacksnerven herausfordern. Es ist bekannt, dass die Sinnesorgane Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut Reize aufnehmen und sie ans Gehirns weiterleiten.
Sehen und Wahrnehmen sind allerdings zwei verschiedene Dinge, denn ein Großteil der Informationen, die permanent von den Sinnesorganen ins Gehirn strömen, wird nicht bewusst verarbeitet. Wie das Gehirn entscheidet und was wir wahrnehmen haben Forscher des Max-Plank-Institus herausgefunden. Komplexe Mechanismen filtern die eingehende Sinnesinformation und gestalten das Bild, das in unseren Köpfen entsteht. Der präfrontale Cortex reguliert, welche Informationen ins Bewusstsein dringen. Der Fotograf hält eine Situation bildhaft fest, kann den Bildern allerdings auch über entsprechende Bearbeitungsschritte eine völlig andere Bedeutung verleihen.
Fotos und Videos begleiten unseren Alltag, es gibt kaum noch Informationen, die ohne Bild auskommen, dabei müssen allerdings bestimmte Regeln und Gesetze beachtet werden. Interessant ist in diesem Kontext folgender Vorfall: „Als Mitglieder eines indigen Volkes zum ersten Mal das Bild von sich selbst sahen waren sie erstaunt, dann jedoch hatten sie Angst, dass dadurch ihre Person ins Foto entführt worden war, sie fühlten sich ihrer Persönlichkeit beraubt, und es bedurfte viel Mühe, das Vertrauen zurückzugewinnen“, berichtet Jimmi Nelson, englischer Fotograf.
Richtungen innerhalb der Fotografie, die unterschiedliche „WOW“ Effekte auslösen
Marcel Chassot stellt in seinem Buch: Architektur und Fotografie – Staunen als visuelle Kultur, Bauten moderner Stararchitekten (Tadao Ando, Peter Zumthor) vor und schreibt dazu: „Jedes Foto trifft ein prototypisches Motiv. Farbgebung, Linienführung, Lichtregie – die fotografischen Mittel sind bei jedem Bild so präzise eingesetzt, dass der Betrachter sich in ein visuelles Labor versetzt fühlt, indem Fotografie Architektur in ihrer Sprache interpretiert“. Der Autor Wolfgang Meisenheimer spürt im Text den Grundlagen von Chassot´s fotografischem Weltbild nach und unterscheidet drei Schichten des Denkens, in denen das Werk wurzelt: Die euklidischen Ordnungen die Orientierung an der modernen Leib-Philosophie und das Erbe des Kubismus aus den Anfängen der modernen Malerei. Was versteht man darunter: Die euklidische Ordnung beschäftigt sich mit der Geometrie der Flächen. Leib Philosophie: Der Mensch ist Angelpunkt der Perspektiven, mit denen er die reale Welt und alle Gegenstände wahrnimmt. Kubismus: „Beim Kubismus wird künstlerisch die Reduzierung eines Objektes auf geometrische Figuren wie Würfel, eine Kugel oder Pyramiden vollzogen“.
Foto: Heiner Schwens
Der irische Streetart-Künstler präsentiert ein OP-ART-Labyrinth, „das durch das Zusammenspiel von begehbaren Ebenen und streng geometrischen, grafischen Motiven ein geradezu sinnestäuschendes, hypervisuelles Erlebnis ermöglicht“. Unter OP-Art versteht man eine Stilrichtung der bildenden Kunst der 1960 iger Jahre, bei der mit Hilfe präziser abstrakter Formmuster und geometrischer Farbfiguren beim Betrachter überraschende oder irritierende optische Effekte erzeugt werden.
Beim Fotografieren ist jedes Bild der Ausdruck des Versuchs, das Wesentliche zu erfassen. Jedes Bild hat zwar eine andere Geschichte, doch jedes ist auch ein Teil des Betrachters. Manchmal spricht man vom Handwerk des „Staunen – Machens“. Ungewöhnliches soll wahrgenommen werden, es wird auch als „Staun – Effekt“ bezeichnet. Fotografieren „on demand“ ist der Versuch, Staunen zu erzeugen (siehe Werbung), ist auch der Versuch, vorgegebene Inhalte fotografisch auszudrücken (Realität/Fake). Mehr denn je müssen offizielle Bilder heute auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
Beispiele für Gestaltungsmöglichkeiten
- Lifestyle – fokussierte Fotos
- Kommerzielle Fotos
- Personenfokussierte Fotos
- Naturbezogene Fotos
- Von Menschenhand geschaffene Strukturen
- Künstlerische Fotos
Achtung: Personenbezogene Fotos dürfen nicht ohne Einwilligung gemacht werden §201/201a StGB. In vielen Ländern stellen bestimmte Arten der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke keinen Verstoß gegen die Rechte der Urheberrechtsinhaber dar. So können die Urheberrechte beispielsweise durch den Grundsatz des „Fair Use“, also der angemessenen Verwendung, oder des „Fair Dealing“ (angemessene Handlungsweise) begrenzt werden. Nach diesen Grundsätzen gelten bestimmte Arten der Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material, etwa im Rahmen einer Kritik, eines Kommentars, eines Zeitungsberichts, zu Bildungs-, Wissenschafts- oder Forschungszwecken, als „Fair“, also als angemessen. So die hier gezeigten Bilder nicht von mir aufgenommen wurden, habe ich bei der Präsentation nach diesem Grundsatz gehandelt.
Bilder erzählen häufig Geschichten, manchmal kommen sie ohne aus.
Die „Sony World Photography Awards” sind jedes Jahr Anlaufpunkt für viele Fotografen mit der Chance, sich einem breiten Publikum zu stellen. Den begehrten „L Íris d Ór – Preis erhielt am 11. Juni 2010 der italienische Fotograf Tomaso Ausili mit seiner Einsendung „Das Staunen der Lämmer“. Entnommen seiner Bildserie „The Hidden Death“ (der verborgene Tod), (Vorsicht – nichts für schwache Nerven). Es werden Bilder aus Schlachthöfen gezeigt.
Sein Kommentar zu diesem Bild (auf Deutsch übersetzt): Der Weg an die Spitze der Nahrungskette ist ein langer Prozess, der mit einem Ende beginnt – dem Ende eines Tierlebens. Zwischen einem lebenden Tier und einem Stück Fleisch, ob schön verpackt oder hinter einer Glastheke ausgestellt, liegt der Schlachthof. Diese Art von Fließbandabfertigung ist in anonymen, von hohen Zäunen umgebenen Gebäuden versteckt, meist weit weg vom Zentrum und außerordentlich still…….
Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs:
Auch interessant „Photovoice“: „Kulturanthropologisch forscht das Institut für empirische Kulturwissenschaft an der Uni Freiburg mit dieser Methode. Dabei soll die Bioökonomie beispielsweise in der Landwirtschaft ins rechte Bild gerückt werden. Diese Methode verfolgt die Idee, dass die Forschungspartner/innen ihren Alltag in der Landwirtschaft fotografieren und in Gesprächen mit Studierenden mit Bedeutung versehen. Auf Basis der Fotos und Gespräche erarbeiten die Studierenden Kulturanalysen der Gegenwart, in denen sie aktuelle gesellschaftliche Probleme (Klima & Umweltschutz, Ökonomie und Wachstum, Rolle und Potentiale der Landwirtschaft) kritisch diskutieren“.