Musik und Rausch gehören einfach zusammen. Nachvollziehen kann man das, wenn man die Medien durchforstet. Wie aber unterscheiden sich Rockmusik und Klassik in Punkto Rausch und Schall? „Ist ein Musikstück unter drei Minuten lang, ist es Rockmusik. Länger als drei Minuten, ist es Klassik,“ so definiert der US-Komponist Robert Ashley. Seine Klangerlebnisse sind experimentell und gehören somit wie etwa John Cage, dem „Revolutionär in Klang und Stille“, zu den bedeutendsten Komponisten der Avantgarde. Das Neuköllner «Schall & Rausch»-Festival wirbt damit, das Berliner Musiktheater gehörig aufzumischen. Die Komische Oper Berlin will im Februar 2025 mit Beats, Stroboskopen, Pop rauschhafte Performances und Konzerte von Kunstschaffenden aus der ganzen Welt anbieten. Last but not least hat sich auch ein Rezensent, hier im UniWehrsEL zu dem Thema des „Rausches in der Oper“ Gedanken gemacht.
Hallo liebe UniWehrsEL-Leser,
Der Rausch durch Alkohol kann zu fürchterlichen Szenen führen wie es in Verdis Othello (auch zum Thema Rache) und Richard Strauß Daphne (siehe auch Artikel über ihr eskapistsches Verhalten) inachzuerleben ist. Manchmal sorgt er auch für Lacher wie in Mozarts Entführung aus dem Serail (Vivat Bacchus!), dem Barbier von Sevilla oder in Cenerentola von Rossini (auch hier nachzulesen der Cenerentola-Komplex).
In der Oper spielt der Rausch neben dem Klang eine bedeutende Rolle, vor allem der Einsatz von Alkohol, der in Strömen fließt. In Mozarts Entführung aus dem Serail wird der Wächter Osmin in einen (Alkohol)-Rausch versetzt, um die im Serail gefangen Mädels zu befreien. Der Wächter bescheinigt dem Wein ein „schönes“ Getränk zu sein. Er lebt seinen Rausch übermütig wie ein Kind aus. Der Kater ist anschließend sehr hart. Die Mädels haben einen Fluchtversuch hinter sich. Die vermeintlich neuen Männerkumpels entpuppen sich als Entführer.
Kein Wunder also, dass Herr Osmin die Anstifter zum Trinken beschimpft und sie im wörtlichen Sinn einen Kopf kürzer machen will. „Erst geköpft, dann gehangen“, so heißt seine viel zitierte und interpretierte Rachearie. Wobei bei seinem Wüten nicht so klar ist, auf wen Osmin mehr wütend ist: die Verführer zum Alkohol oder durch seine Pflichtvergessenheit auf sich selbst. Der Zuschauer hat an diesem musikalischen Wutausbruch sichtlich seine Freude. Wer hat nicht schon einmal einen Alkoholrausch mit Anschlusskater hinterher erlebt.
Einen vorgetäuschten Alkoholrausch erlebt der Zuschauer im Babier von Sevilla mit dem Grafen Almaviva. Der schlaue Barbier Figaro hatte seinem Auftraggeber, dem Grafen Almaviva geraten, sich betrunken zu stellen, um so unaufgefordert ins Haus von Doktor Bartolo eindringen zu können. Doktor Bartolo bewacht bekanntlich sein Mündel Rosina mit Argusaugen. Schließlich will Doktor Bartholomäus sein reiches Mündel selbst heiraten. Er verschließt die Dame vor neugierigen Blicken potentieller Verehrer. Die Maßnahme hatte jedoch offenkundig keinen Erfolg. Dem jungen lüsternen Grafen ist Rosina dennoch nicht entgangen. Deshalb entwirft der Graf diesen promillestarken Plan mit dem scheinbar betrunkenen Soldaten, der um Einquartierung bittet. Sie haben es sicher gleich erraten; die kluge Rosina hat den potentiellen Liebhaber und sein strategisches Trinken sofort erkannt und ihn durchschaut.
Ein Alkoholrausch der einprägsamen Art hinterlässt Don Magnifico. Er ist der einfältige Stiefvater in der italienischen Version von „Aschenputtel“. Für einen Tag wird er zum Herrn über den königlichen Weinkeller ernannt. Dieses neue Amt nutzt der vorwitzige Don Magnifico um den Weinkeller zu plündern. Als eine Art selbsternannten bzw. selbstermächtigter Gott Bacchus mit Weinlaub im Haar und auf einem Weinfass sitzend erlebt Don Magnifico den Alkoholrausch seines Lebens. Da ist es für ihn letztlich unerheblich, dass der echte Prinz nicht eine seiner Töchter heiratet, sondern die tugendhafte Cenerentola.
Es lässt sich vermuten, dass der Komponist Rossini sich mit den Don Magnifico sich stark selbst identifizieren konnte. So war der Komponist für seine großen Feste bekannt. Er hat ein Kochbuch herausgebracht nachdem er sich als Opernkomponist zur Ruhe gesetzt hatte.
Der wohl berühmteste Trinker in der Opernliteratur ist sicherlich Sir John Falstaff. Dieser Typ hat sein Gewicht bereits einem Weinfass angepasst. Unwürdig für einen edlen Ritter residiert Falstaff nicht in einer steinernen Burg, sondern hat es sich in einem Wirtshaus gemütlich gemacht. Leider ist der Alkoholgenuss teuer, und der Geldbeutel des Herrn Falstaff vergleichsweise leer. So hat er einen tollkühnen Plan entwickelt, um wieder „flüssig“ zu werden. Er dient sich zwei verheirateten Frauen als Liebhaber an. Dies empört die Damen und sorgt dafür, dass Falstaff in einem Korb mit Wäsche im Fluss landet. Nur sein extremer, durch reichlich Alkohol erworbener, Bauch rettet den Falstaff nach eigener Aussage vor dem Ertrinken.
Mit Wasser hatte der Weinfreund nicht gerechnet. Als nasser Hund kehrt er in die warme Stube des Wirtshauses zurück. Die Wirtin hält schon den Humpen Bier zum Trocknen des Herrn Falstaff bereit.
In Mozarts Don Giovanni feiert dieser Frauenverführer eine rauschende Party am Ende des 1. Aktes. Mit einem Toast auf die Freiheit und einem Glas Wein in der Hand könnte das Fest enden, würde nicht der Gastgeber als „Hinterzimmer-Casanova“ enttarnt. Während seine Gäste dem Rausch des Alkohols frönten, wollte dieser Lüstling im Hinterzimmer die Braut des Bauern Masetto verführen. Durch das tollkühne Eingreifen eines musikalischen Trios konnte diese Hinterzimmer-Liebelei im letzten Moment abgewendet werden. So endet das Fest mit der Enttarnung eines Fieslings, der im Rausch des Weines eine junge Braut vom Pfad der Tugend abbringen wollte.
In Richard Strauß Daphne geht es um ein junges Mädchen, welches Angst vor einem rauschenden Festritus hat, welcher zur Einführung in das Erwachsensein gefeiert wird. Sie erhält ein Glas Wein um locker zu werden. Doch das Fest endet für Daphne anders als geplant. Sie wird zum Spielball zwischen zwei Männern, ihrem Jugendfreund und dem Gott Apoll. Statt mit Alkohol erste Erfahrungen zu sammeln, erlebt Daphne, wie ihr Jugendfreund vom eifersüchtigen Gott Apoll erschlagen wird. Statt eines Alkoholrausches gibt es den Blutrausch, wenn zwei angetrunke rauschgetriebene Männer sich bekriegen. Im Kater bereut der Gott seine Bluttat und nimmt den Jungen in den Kreis der Götter auf. Daphne wird in einen Lorbeerbaum verwandelt.
In Verdis Othello macht der trickreiche, intrigante Jago den Offizier Cassio betrunken. Mit einer großen Arie fordert Jago den anderen Mann auf, sich dem Rausch des Alkohols hinzugeben. Dies hat für Cassio unangenehme Konsequenzen. Er stört den Schlaf Othellos und wird degradiert, wegen schlechten Benehmens. Um Cassio spinnt Jago nun eine Intrige die dazu führt, dass Jago aus Eifersucht seine Ehefrau Desdemona umbringt. Der Alkoholrausch ist der Ausgangspunkt für diese Intrige des Jago.
Liebe Grüße vom Opernkenner I. Burn
Lieber I. Burn,
es freut mich, hier einen Kenner begrüßen zu dürfen. Ihren interessanten und amüsanten Ausführungen darf ich noch ein besonderes erweiterndens Werk für alle Menschen, die Musik berauscht, ans Herz legen. Der Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt (1922-2000) hat zu Schall, Rausch und Klang Mystiker und Ethnologen sowie zahlreiche Musiker befragt. Er konzipierte daraus Radiosendungen. Für Berendt war das Ohr ein wesentlicher Weg nach innen. Die Welt ist Klang / Vom Hören der Welt / Muscheln in meinem Ohr möchte ich Ihnen darum besonders ans Herz legen.
Mit besten Grüßen Ihr UniWehrsEL
Danke auch an Musik, Welle, Klang im Bild von Gordon Johnson auf Pixabay