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Von einem sehr unterhaltsamen Abend in den Kammerspielen in Frankfurt erzählt ein Leserbrief, für den ich mich sehr bedanke, denn Tipps werden im UniWehrsEL immer gerne genommen. Beschrieben wird da ein Stück namens „Onkelchens Traum“, das Dostojewski 1859 in der sibirischen Verbannung mit Angst vor der Zensur geschrieben hat.  Unter dem Titel “Life Is But A Dream” hat die Regisseurin Barbara Bürk die Satire inszeniert. Als “mehr Späßchen als Spaß, aber virtuos”, empfindet es Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (22.1.23). Als “ein Riesenspaß, dem durchweg konzentriert überdreht agierenden Ensemble” in dieser “rasant unterhaltsamen Inszenierung” zuzuschauen, schreibt Matthias Bischoff in der FAZ (22.1.23).

Liebes UniWehrsEL,

am 26.02. habe ich mir das Stück „Life is but a dream“ in der Kammer des Schauspiel Frankfurt angesehen. Es gibt das Sprichwort Lügen haben kurze Beine. Im Programmheft zum Stück erfährt der Käufer, dass einer aktuellen Studie zufolge wir (die Gesellschaft) vier Mal am Tag lügen. Rund 37 % der Befragten gab von sich an, dass sie nie lügen.

Begrifflich unterscheidet die Statistik zwischen schwarzen Lügen und weißen Lügen. Schwarze Lügen sind solche, die dazu dienen, sich einen (oft wirtschaftlichen) Vorteil zu verschaffen. Weiße Lügen sind dagegen solche, die man ausspricht, um den sozialen Frieden zu erhalten oder dem Gegenüber zu nutzen (soziale Lügen). Was schließen wir nun daraus für das Stück „Life but a dream“? Nun das ist ganz klar, dass es um das Thema Lügen geht.

Die Geschichte nach dem Roman „Onkelchens Traum“ von Fjodor Dostojewski ist jedoch nach einem einfachen Schnittmuster gestrickt. Eine ehrgeizige Mutter möchte gesellschaftlich aufsteigen. Ein Fürst, im heutigen Sinne eher ein reicher, alter Promi, besucht die Familie. So kommt die Mutter auf die logische Idee, ihre pubertierende Tochter an den alten Typen zu verschachern.

Also eine klassische Konstellation wie der Zuschauer sie auch in Don Giovanni vorfindet, wo Don Giovanni dem Bauernmädchen Zerlina eine Heirat in Aussicht stellt, um sie zu verführen. Ein ähnliches Muster finden wir auch bei Woyzeck vor, wo der Tambourmajor Marie einen gesellschaftlichen Aufstieg in Aussicht stellt, wenn sie sich mit ihm einlässt.

Wieso kann ein solches Stück dann noch für den heutigen Zuschauer interessant sein, wo es heute gesellschaftliche Übereinstimmung ist, dass jeder seinen Partner frei selbst auswählen kann? Zwar haben wir die klassischen adligen Fürsten wie Don Giovanni mit der französischen Revolution und seit dem Ende des ersten Weltkrieg auch in Deutschland zum Teufel gejagt, doch dass es heute überaus reiche Menschen gibt, die wie Fürsten leben und genauso weniger Reiche, die von ihnen in irgend einer Form profitieren wollen, lässt sich nicht verleugnen.

In Russland nennt man solche Leute Oligarchen. Die westliche Welt bezeichnet solche Leute in modernem ‚deutsch-american-englisch‘ als“ Influencer“. Die Regiesseurin Barbara Bürk hat den Roman „Onkelchens Traum“ aufmerksam gelesen, und laut dem Podcast des Schauspiel Frankfur,t herzhaft über ihn gelacht. So erinnert der Fürst in dieser Darstellung einem ‚berufsmäßig Jugendlichen‘ wie Dieter Bohlen. Eine besonders sportliche Kleidung und eine groteske Maske mit Schminke lassen die Figur absurd lächerlich wirken.

Zurück vom äußeren Schein zur Lüge. Die Mutter argumentiert gegenüber der heiratsunwilligen, bockigen Tochter sie könne, wenn sie die Ehe mit dem alten Sack eingehen würde, danach endlich ihren geliebten Lehrer heiraten, der vorher eigentlich nicht ‚standesgemäß‘ war, aber durch das Geld des Bohlentyps könne sie dann selbst, den Wunschpartner aussuchen.  Auf die Tochter ist auch ein potentieller Erbe eines riesigen Vermögens scharf. Er ist sowohl in Lauerstellung auf das Erbe eines Onkels, als auch auf die Tochter. Die hatte ihn vertröstet, auf später.

Da er nun motiviert durch die Haushaltshilfe, die ebenfalls gerne den Fürsten heiraten würde, an der Türe lauscht, erfährt er dass er ausgebotet werden soll. So begeht er ebenfalls eine Lüge, indem er dem Fürsten einredet, er habe den Heiratsantrag an die Tochter nicht wirklich ausgesprochen, sondern dieses Vorhaben nur geträumt. Daher der Titel „Onkelchens Traum“.

Der neue Titel des Stücks bezieht sich auf den Song „Life is but a dream“ von der amerikanischen Band „Harptones“ aus den 1950ern. Diesen Song gibt die Tochter zum Besten, um den Fürsten für sich zu gewinnen. Die Lügen der Mutter haben tatsächlich, wie Eingangs angedeutet, kurze Beine. Sie werden enttarnt und der schöne Plan der Mutter misslingt.

Der Fürst stirbt unverheiratet an der Aufregung über die Intrige der Mutter. Doch anscheinend gab es einen weiteren Versuch und die Tochter wird doch noch reich verheiratet, so erzählt es zumindest der ausgebootete Verehrer.

Er begegnet der Tochter mit Mutter zu einem späteren Zeitpunkt erneut. Das Ende erinnert also an den Schluss der Oper „Eugen Onegin“, auch dort hat Tatjana sich einen reichen Fürsten geangelt und Eugen Onegin schaut in die Röhre.

Die turbulente Inszenierung über das Wesen der Lüge ist äußerst lustig. Wähnt sich der lachende Zuschauer doch stets in seinem Lachen in der moralisch überlegenen Position. Die, welche am lautesten lachen, gehören bestimmt zu den oben erwähnten 37 % der Leute, die angegeben haben, nie zu lügen. Damit schließt sich der Kreis zum Thema Lügen. Im Heft erwähnt sind ebenfalls berühmte Hochstapler. Denn dies lernt der Zuschauer auch an dem Stück. Alles ist mehr Schein als Sein oder musikalisch ausgedrückt „Life is but a dream“.

Übrigens gab es schon im Januar 2013 von US-Superstar Beyoncé Knowles im US-Fernsehen eine Dokumentation mit dem gleichen Titel: „Life Is But A Dream“, der dem Pay-TV-Sender mit 1,8 Millionen Zuschauern die höchsten Doku-Einschaltquoten des Jahrzehnts bescherte. Das Leben kann also manchmal durchaus mehr als nur ein Traum sein.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:2. März 2023
  • Lesedauer:7 min Lesezeit