Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, war ein Mann, der in einer Zeit des Umbruchs ab 1945 lebte. Wie der UniWehrsEL Leser bereits erfahren hat, ließ der den „wunderbaren Mandarin“ von Béla Bartók verbieten. Nun begegnet dem Leser Konrad Adenauer auch als historische Figur in Cay Rademachers Buch „Nacht der Ruinen“ (Cay Rademacher auch ein Lesertipp zu „Die Passage nach Maskat“). Im Roman „Nacht der Ruinen“ wird die Frage nach der Liebe und den Grenzen, die man bereit ist zu überschreiten, eindringlich thematisiert. Wie weit sind Menschen bereit zu gehen? Was sind Menschen bereit zu tun, um ihre Liebsten zu schützen?
Liebe Blog UniWehrsEL Leser,
Im fesselnden Prolog des Kriminalromans „Nacht der Ruinen“ von Cay Rademacher entführt den Leser die Handlung in den heißen Juli des Jahres 1938. Auf der malerischen Domterrasse in Köln treffen sich die beiden 17-jährigen jüdischen Freunde Joseph und Jakub, deren innige Freundschaft von einer unbeschwerten Leichtigkeit geprägt ist. Inmitten der strahlenden Sonne und der lebhaften Atmosphäre wird die gleichaltrige Waise Hilde, mit ihrem charmanten Lächeln und der geheimnisvollen Ausstrahlung, von beiden umschwärmt. Unvermeidlich bringt sie ihren jüngeren, schüchternen Bruder Paul mit. Doch die bedrohlichen Anfeindungen gegen die jüdische Bevölkerung sind für die beiden Freunde bereits spürbar und werfen einen düsteren Schatten auf ihre unbeschwerte Jugend.
Der Kriminalfall und die Suche nach der Wahrheit

Am 2. März 1945 wird die Stadt Köln von unzähligen Bomben erschüttert, und der junge Pilot Richard Rohrer wird in seinem 31. Luftangriff zum Opfer der Zerstörung. Sein Schicksal ist tragisch: Nach dem Abschuss seiner B-17 kann er sich zwar mit dem Fallschirm in die Ruinen von St. Kolumba retten, doch dort verliert sich seine Spur. Ein Augenzeuge berichtet von einem grausamen Lynchmord, der die Schrecken des Krieges in aller Deutlichkeit offenbart. Wo ist die Leiche von Richard Rohrer?
Wie Cay Rademacher im Nachwort beschreibt, wurden über 1.000 amerikanische und britische Piloten, die abgeschossen wurden und überlebten, von der SS, der Gestapo und auch von der normalen Bevölkerung gelyncht. Das Schicksal von Richard Roherer hingegen ist fiktiv. In Wirklichkeit ist kein Pilot in den Ruinen von St. Kolumba abgestürzt.
Inmitten dieses Kriminalfalls steht Joe Salmon, ein jüdischer US-Soldat, der einst Joseph Salomon hieß und in Köln zu Hause war. Seine Familie floh 1939 vor den Nazis in die USA, und nun, in einer Stadt, die er nicht wiedererkennt, wird er mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Er möchte auch herausfinden, was aus den zwei im Prolog eingeführten Personen geworden ist: seinem besten Freund Jakub und seiner großen Liebe Hilda.
Doch das strikte Fraternisierungsverbots der US-Armee zwingt ihn, private Kontakte zu Zivilisten zu vermeiden. Gemeinsam mit dem Journalisten und Schriftsteller George Orwell, bekannt durch „Farm der Tiere“ und später auch den Roman 1984, der am Staatstheater Darmstadt in einer Bühnenfassung in dieser Spielzeit 24/25 zu sehen war, begibt sich Joe auf die Suche nach dem Mörder.
Rademacher gelingt es eindrucksvoll, die verwüstete Stadt zu schildern, in der kaum noch ein Leben möglich ist. Der Kölner Dom, der das Bombardement nahezu unbeschadet überstanden hat, steht als einsames Symbol der Hoffnung inmitten der Trümmer. Die Verunsicherung der traumatisierten Bevölkerung wird spürbar, während sie zwischen Schuld und Verleugnung laviert. Die Angst vor Repressalien der Besatzer und der verzweifelte Versuch zurechtzukommen, in einer Stadt in der „kein Stein mehr auf dem anderen steht“, sind allgegenwärtig.
Psychologische Komplexität und moralische Entscheidungen

Besonders eindringlich wird die psychologische Komplexität der Figuren deutlich. Lene Fiebig, eine Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen aus wohlhabenden Vierteln zu denunzieren, empfindet ihre Handlungen als gerecht. Sie sieht sich selbst als Stimme der Unterdrückten, während sie gleichzeitig in einem moralischen Dilemma gefangen ist.
Ihr Verhalten spiegelt die Verzweiflung und den Zorn derjenigen wider, die unter den Folgen des Krieges leiden, während andere in ihren Villen ein bequemes Leben führen. Diese Denunziation wird zu einem verzweifelten Versuch, die Ungerechtigkeiten der Welt um sie herum zu bekämpfen, auch wenn sie dabei selbst zu fiesen Methoden greifen muss. Durch seine frühere Freundschaft mit Jakub fließt auch ein Teil der Geschichte der Kölner Juden in den Roman ein. Denn dessen Schicksal als Schwarzhändler und Liebhaber von Hilde lässt Joe nicht mehr los und ist das zentrale Motiv im Roman.
Ein weiterer zentraler Charakter ist Dr. Eugen Zander – Ehemann von Hilde, der für ein dunkles Kapitel in der deutschen Medizin steht. Als erfundene Figur symbolisiert er die Verantwortungslosigkeit und die moralische Verkommenheit, die in der Gesellschaft verwurzelt sind. Bis zu 400.000 Menschen wurden ab 1934 gegen ihren Willen sterilisiert, mehr als 200.000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten ermordet – alles unter dem Deckmantel der Wissenschaft und der „Gesundheit“. Zander, ein Kinderarzt, steht stellvertretend für die Ärzte und Fachleute, die sich an diesen Verbrechen beteiligten. Ihr Verhalten ist geprägt von einer kalten Rationalität, die das menschliche Leben entwertet und die Schrecken des Krieges und der nationalsozialistischen Ideologie legitimiert.
Verwendung historischer Figuren
Rademacher verwebt geschickt historische Figuren wie den Stadtkommandant John K. Peterson, den Oberbürgermeister und späteren Kanzler Konrad Adenauer, die Schriftstellerin Irmgard Keun, dem Leser bekannt aus der Bühnenfassung von „Nach Mitternacht“ am Schauspiel Frankfurt, den Polizeichef Karl Winkler, Hermann Claasen, einen Fotografen, der das zerstörte Köln mit der Kamera dokumentiert, und den Bankier Kurt Freiherr von Schröder in die Erzählung. Diese prominenten Handlungsträger verleihen dem Roman eine besondere Tiefe und Authentizität.
Die Nacht der Ruinen schafft einen eindringlichen Rahmen, der die komplexen Grautöne menschlicher Beziehungen und moralischer Entscheidungen erkundet.
Mit besten Grüßen an die Leser vom Kulturbotschafter des UniWehrsEL und Dank für Image by Carlos Gabriel Morales Toro from Pixabay