Am 07.08. habe ich Christopher Nolans Film „Oppenheimer“ gesehen und war tief beeindruckt. So beginnt ein Leserbrief, für den ich mich sehr bedanken möchte. Der Film passe gut zu dem im Wintersemester 24_25 von mir angebotenem Seminarthema Exzess, Rausch, weil er dieses Gebiet um einen neuen Aspekt ergänzt, der Frage: Wie weit darf persönlicher Ehrgeiz gehen und welche moralischen Verpflichtungen ergeben sich aus dem Exzess?
Liebes UniWehrsEL,
in Christopher Nolans Film „Oppenheimer“ erreicht die Spannung ihren Höhepunkt in der Szene, in der die Atombombe gezündet wird. Diese Sequenz ist ein von Christopher Nolan meisterhaft inszenierter Moment, der die Zuschauer in den Bann zieht und die verheerende Macht der Wissenschaft eindrucksvoll darstellt. Die Explosion selbst ist ein visuelles und akustisches Spektakel, das die Grenzen der Vorstellungskraft sprengt und die Zuschauer mitnimmt in die Welt des Wissenschaftlers Oppenheimer. Der sich selbst in einen Zustand des permanenten Rausches versetzt, um sein Ziel, eine außergewöhnliche wissenschaftliche Leistung zu vollbringen, hinzubekommen.
Die Zündung der Atombombe ist in Nolans Regie ein Moment des Exzesses, der die zerstörerische Kraft der menschlichen Erfindungsgabe offenbart und gleichzeitig die Wahnvorstellungen einer Kriegsära widerspiegelt. Der Filmt thematisiert das Wettrüsten und die damit verbundenen moralischen Dilemmata, die die Wissenschaftler und Politiker dieser Zeit plagen.
Der Regisseur Nolan hat den Trinity-Test am Filmset aufwendig und detailgetreu als Modell nachgebaut und den Moment nicht mit Computertechnik animieren lassen. Dies soll dem Set mehr Authentizität verleihen und an die bekannten Bilder aus Fernsehnachrichten, Zeitschriften anknüpfen. Mit dem Trinity-Test wird der Trailer zum Film beworben, was die dramatische und historische Bedeutung dieses Moments unterstreicht und die Zuschauer neugierig auf die filmische Umsetzung macht. Der Jubel des Wissenschaftsteams über den erfolgreich abgeschlossenen Atomtest steht im krassen Gegensatz zu Oppenheimers moralischen Bedenken: Soll eine Nation wie die USA in den Besitz einer Waffe gelangen, welche die Menschheit selbst vernichten kann? Oppenheimer ist ein getriebener Mann; seine moralischen Bedenken kommen ihm erst bei seinem größten Erfolg, der Zündung der Atombombe. Oppenheimer vergleicht sich mit einem modernen Prometheus. Wer war Prometheus? Prometheus ist eine Figur aus der griechischen Mythologie. Er stahl den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Zur Strafe wurde er an einen Felsen gekettet, wo ein Adler täglich seine Leber fraß, die jede Nacht wieder nachwuchs. Prometheus steht für den Mut und die Opferbereitschaft, Wissen und Fortschritt zu den Menschen zu bringen, trotz der damit verbunden Strafe.
Ähnlich wie in der „The Dark Knight-Filmreihe„ zeigt Nolan den inneren Konflikt eines Mannes, der zwischen moralischen Entscheidungen und der Notwendigkeit, das Böse zu bekämpfen, hin- und hergerissen ist. Oppenheimer ist sehr ehrgeizig. Er versammelt die besten Wissenschaftler seiner Zeit hinter sich, darunter Richard Feynman, Niels Bohr, Enrico Fermi, Leo Szilard und Hans Bethe.
Seinen Ehrgeiz, die Bombe zu entwickeln, rechtfertigt Oppenheimer vor sich selbst damit, dass die Atombombe sonst von Nazis entwickelt worden wäre. Dies hätte für die Menschheit katastrophale Folgen gehabt, da diese keine moralischen Grundsätze befolgten. Deshalb war es aus seiner Sicht unerlässlich, diesen entscheidenden Schritt selbst zu tun. Er bezeichnet es als moralische Verantwortung, selbst die Bombe zu entwickeln. Er beschreibt es als Kampf des Guten gegen das Böse. Diese Einstellung teilt Nolans Oppenheimer sicherlich mit dem dunklen Ritter aus der Comicverfilmung.
Kritisch anzumerken ist an Nolans Verfilmung, dass die Frauenrollen in Oppenheimer nur zur moralischen Unterstützung oder zur Ablenkung nach einem stressigen Arbeitstag des männlichen Hauptdarstellers dienen. Die Frauenfiguren im Film sind Sekretärinnen oder werden Mütter, nachdem Oppenheimer beschließt, die klügsten Köpfe Amerikas in einem von der Welt abgeschirmtem Camp in der Wüste solange forschen zu lassen, bis es einen wissenschaftlichen Durchbruch gibt. Dabei lässt er die Frauen der Forscher auf dem Camp zu, weil er Angst um die Geheimhaltung des Projekts zur Entwicklung der Atombombe hat. Denn Männer ohne familiäre Bindung verraten ihre Geheimnisse an Prostituierte weiter, wenn sie nicht mit ihren Frauen zusammen sein können, so die Schlussfolgerung von Oppenheimer.
Figuren wie die Ehefrau Kitty Oppenheimer und seine Geliebte Jean Tatlock sind vor allem dazu da, die inneren Konflikte und moralischen Dilemmata von Robert Oppenheimer zu beleuchten. Wobei die Rolle der Geliebten Jean Tatlock darauf abzielt, dass Oppenheimer auch in seinem Privatleben mit exzessiven Verhalten auffällig geworden ist, indem er wilden Sex mit Jack Tatlock hat. Kitty Oppenheimer hat sich dagegen das Genie Oppenheimer ‚erobert‘, weil sie denkt, er würde etwas Großes zu Stande bringen. Dies stellt die weiblichen Charaktere sehr eindimensional dar und reduziert ihre Bedeutung auf die Unterstützung der männlichen Hauptfigur. Dies ist eine weitere Gemeinsamkeit der Figur Oppenheimer mit dem Dark-Night-Helden. Batman muss die Welt retten. Batgirl taucht aus dem nichts auf, um ihm am Ende von the Dark Night Rises zu unterstützen. Da folgt Nolans Oppenheimer ganz offensichtlich der Superheldenlogik. Diese Art der Darstellung holt Frauen, die sich für wissenschaftliche Themen wie den Bau der Atombombe interessieren, nur wenig ab. Sie haben keine Identifikationsfiguren. Ganz nach dem Motto Frauen sollen sich lieber den Barbie Film anschauen. Dies zeigt ein traditionelles Frauenbild.
Eine zentrale Szene des Films ist ein Gespräch zwischen Oppenheimer und Albert Einstein. Es geht um die Frage, ob durch das erste Zünden der Bombe, im Rahmen des Trinitiy-Tests, die ganze Welt am Ende explodieren könnte. Diese Diskussion hat Oppenheimer nie mit Albert Einstein geführt, sondern mit dem Wissenschaftler Arthur Compton. Dieser war für Nolan zu unbekannt beim Publikum. Deshalb wurde er durch Albert Einstein ausgetauscht, weil dies eine Person ist, die dem breiten Publikum ein Begriff ist. Albert Einstein sagt auch, er wolle nicht für die Atombombe verantwortlich sein, denn jede Zeit hätte ihre eigenen Helden und seine Relativitätstheorie sei bereits 30 Jahre her. Er wolle für die Atombombe keine Verantwortung übernehmen. Dies müsse Oppenheimer schon selbst.
In den 1950er Jahren muss sich Oppenheimer einem Untersuchungsausschuss stellen, der ihm unterstellt, er habe die Seiten gewechselt und kämpfe nun für die UdSSR, also den systemischen Gegner der USA. Der Untersuchungsausschuss zeigt den Wahn, den das Wettrüsten in den Köpfen der Menschen auslöst. Freunde werden zu Feinden, Helden stürzen, so auch Oppenheimer. Das ist eine weitere eindeutige Parallele zu „The Dark Knight“. Batman wird vom Heldenthron gestoßen und soll in der Öffentlichkeit durch die Presse fertig gemacht werden. Das gleiche passiert auch dem Helden Oppenheimer. Wahnvorstellungen in einer Gesellschaft verleiten oft dazu, dass rationale Entscheidungen durch Angst und Misstrauen ersetzt werden, was zu tragischen Konsequenzen führt. Oppenheimer verliert seinen Posten in der Atomforschung nach dem Krieg. Er darf dort nicht mehr tätig sein. Der Film basiert auf der Biographie „American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ und hat sieben Oscars gewonnen, weil er große Fragen unserer Zeit aufwirft und den menschlichen Exzess, das Machstreben und den Wahn beleuchtet.
Nolans „Oppenheimer“ zeigt eindrucksvoll, dass der Exzess in der Wissenschaft nicht nur Fortschritt, sondern auch Zerstörung bringen kann. Der Film lehrt uns, dass die unkontrollierte Jagd nach Wissen oft in einem Rausch endet, der die moralischen und ethischen Grenzen verwischt. Nolans Werk ist eine Mahnung, die Balance zwischen wissenschaftlichem Ehrgeiz und menschlicher Verantwortung zu wahren. Ehrgeiz kann Menschen zu außergewöhnlichen Leistungen antreiben, ihre persönlichen Grenzen zu überschreiten und Großes zu erreichen. Doch Ehrgeiz kann auch gefährlich sein: Er kann zu Exzess und Wahn führen, wie im Fall von Oppenheimer, dessen Streben nach Erfolg letztlich moralische Dilemmata und zerstörerische Waffen wie die Atombombe mit sich brachte.