Du betrachtest gerade Persische Märchenwelt – ein Beitrag von Nahid Ensafpour, Teil I

Wer Freude daran hat durch den Märchenwald zu flanieren, landet irgendwann auch einmal bei anderen Kulturen. Wer kennt sie nicht, die wunderbaren Märchen aus Persien, den Zauber von Tausenundeiner Nacht. Wenn dazu noch ein, aus verschiedenen Quellen schöpfendes und auch aus eigener Erfahrung stammendes, Hintergrundwissen kommt, landet man bei diesem Beitrag der iranischen Poetin Nahid Ensafpour. Herzlichen Dank, liebe Nahid, für Deine wunderbaren Ausführungen hier im UniWehrsEL, die sich über zwei Teile erstrecken.

Der Ausgang der persischen Märchenliteratur führt uns in die Avesta, die Heilige Schrift der zarathustrischen Religion „Zarathustrismus (Arthur Christensen, Persische Märchen). Die epischen Erzählungen der alt Avestischen Sprache gehören zum größten Teil der Kategorie der Heldensagen an, begleitet von märchenhaften Zügen, wie Kämpfe mit Drachen, Riesen und Hexen. (ebd.). Im alt Avestischen lassen sich schriftliche Quellen, insbesondere der frühen iranischen Mythologie, finden.

Die persischen Märchen können, wie folgt, in drei Genres eingestuft werden:

  • Volkstümliche Märchen „Tausendundeine Nacht
  • Fabeln „Kalilla wa Dimna (In Form von Gleichnissen und Parabeln) 
  • HeldensagenŠāhnāma, (Herrscher- oder Königbuch), eine Sammlung und Bearbeitung von Mythen und Sagen in Form von Königs- und Heldensagen.

Tausendundeine Nacht هزار و یک شب

Eine Sammlung von Märchen, Romanen und Novellen, Sagen, Legenden, Humoresken und Anekdoten, mehr als 300 Erzählungen von König Schehrijar und der klugen Schehrezad, die tausendundein Nächte um ihr Leben erzählt. Entstanden vermutlich etwa im Jahr 500 n. Chr in Indien und im Iran (Dieter Frechl). Die populärsten Geschichten sind verschachtelte Erzählungen, mehrere Geschichten in einer Geschichte (Aladin und die Wunderlampe, Sindbad der Seefahrer, Ali Baba und die vierzig Räuber).

Auch wenn die Sammlung Tausendundeine Nacht für uns heutige Mitteleuropäer nahezu als Synonym für »orientalische Märchen« steht, lässt sich allenfalls ein Teil der Geschichten wirklich als Märchen bezeichnen. Ganz besonders dann nicht, wenn man Märchen mit Gutenachtgeschichten für Kinder gleichsetzt. Schon die Rahmenhandlung ist eindeutig sexuell motiviert und würde ohne dieses Motiv ihren Zusammenhang verlieren. Explizite Erotik, vorgetragen in blumiger Sprache, findet sich in etlichen Binnenerzählungen, während andere Geschichten, wie Anekdoten und wieder andere, wie historische Erzählungen wirken — beides ebenfalls nicht gerade märchentypisch. Die Geschichten von Tausendundeiner Nacht reflektieren das Frauenbild im Orient während der Blütezeit der islamischen Kultur, parallel zum europäischen Mittelalter, ein Bild der klugen weiblichen Frauen aus allen Gesellschaftsschichten.

In Europa wurden Teile des Werkes ab 1400 bekannt, der Siegeszug von Tausendundeiner Nacht im Westen begann Anfang des 18. Jahrhunderts mit der ersten umfangreichen Ausgabe des französischen Orientalisten Antoine Galland. Die ersten deutschen Übersetzungen (nach Galland) besorgten August Zinserling (1823/24) sowie Max Habicht, Friedrich Heinrich von der Hagen und Karl Schall (1825).

Tausendundeine Nacht. Illustration Virginia Frances Sterrett (The Arabian Nights, 1928)

Kalīla wa Dimna کلیلہ و دمنہ

Eine zeitlose Sammlung von Tierfabeln und moralischen Geschichten. Der Name des Buches leitet sich von den beiden Hauptfiguren, zwei Schakalen, ab. Diese Sammlung von Fabeln, Märchen und Geschichten wurde im indoiranischen Kulturkreis als Segment für die Erziehung am Hof gebraucht, zumal mit Panchatantra „Fünf Sinne“ oder „Fünf Musen“ gemeint sein kann. Die Prosafassung der Tiergeschichten, die inzwischen in über sechzig Sprachen der Welt übersetzt wurden, gehört schlechthin zur Weltliteratur.

Die Erzählungen basieren auf der Dichtung des Panchatantra (Gewebe, Sinn), einer Geschichtensammlung, mit deren Hilfe Prinzen am Hof lernen sollten, wie sich ein guter Herrscher zu verhalten hat.

Was macht die Tiererzählungen so bedeutsam, dass sie über Jahrhunderte hinweg weitergetragen wurden? Es geht also um wichtige Ethik- und Moralvorstellungen, die uns Menschen schon immer beschäftigt haben. Außerdem seien die Erzählungen unterhaltsam und – durch das für Fabeln typische Vorkommen von Tieren, die menschliche Eigenschaften verkörpern – leicht verständlich. Tiere statt Menschen sprechen zu lassen, sei zudem eine gute Möglichkeit gewesen, Kritik an Herrschenden zu äußern.

Im Online-Magazin der Freien Universität Berlin kann man unter der Überschrift “Zwei Schakale reisen um die Welt” nachlesen, dass Forschende seit zehn Jahren die transkulturelle Geschichte uralter arabischer Fabeln untersuchen.

Die Wildhunde Kalīla und Dimna sind die Hauptcharaktere einer gleichnamigen Fabelsammlung, deren Ursprünge bis ins Jahr 300 nach Christus zurückreichen.

Bildquelle: Paris, Bibliothèque nationale de France Ar. 3465, folio 48 recto