Tanzperformance „Abschied“ – wenn Ballett auf Mahlers „Lied von der Erde“ trifft
Einen packenden Saisonauftakt im Bockenheimer Depot durfte eine Leserin des UniWehrsEL erleben. Der israelisch-französische Choreograph Emmanuel Gat hat mit der Dresden Frankfurt Dance Company einen naturgewaltigen Gustav Mahler inszeniert. Als Mahlers 1911 „Lied von der Erde“ zum ersten Mal erklang, war sein Komponist Gustav Mahler kurz zuvor gestorben. Er spürte, er würde bald nicht mehr da sein und verarbeitete das kompositorisch, Gats Inszenierung von Mahlers Gesangszyklus „Das Lied von der Erde“ überzeugte im Bockenheimer Depot nicht zuletzt durch die Tänzer der Dresden Frankfurt Dance Company.
Liebes UniWehrsEL,
Bis zum 02. 11. 2025 war die Frankfurt Dance Company mit „Abschied“ im Frankfurter Depot zu sehen. Welch ein Glück, dass ich am 31.10.2025 ganz ungeplant ins Bockenheimer Depot kam und mich von überraschen ließ. Ohne Vorwissen, ohne klare Vorstellung davon, was sich hinter dem Wort künstlerisch verbergen könnte, entschied ich mich spontan für den Ballettabend mit dem Titel „Abschied“.
(die Oper „Blühen„, von der wir berichteten, fand ebenfalls im Bockenheimer Depot statt.Es ist heute nicht nur Spielstätte von Oper und Schauspiel Frankfurt, sondern auch von der Dresden Frankfurt Dance Company (früher: The Forsythe Company).
Mit jeder Vorstellung von Emanuel Gats „Abschied“ erlebt man ein atemberaubendes Spiel aus Klang, Körper und Sinnlichkeit, das die Grenzen zwischen Tanz und Erzählung verschwimmen lässt.
Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ ist ein Zyklus von sechs Liedern, die chinesische Gedichte mit westlicher Orchestrierung verbinden und Themen wie Vergänglichkeit, Sehnsucht und das Aufeinandertreffen von Leben und Tod behandeln. In Gats Ballett werden die beiden ausgewählten Lieder zu mehr als bloßer Begleitung: Sie bilden ein emotionales Gerüst, das die Tänzer*innen nutzen, um einen sinnlichen Spannungsbogen beim Publikum aufzubauen.
Die Aufführung mit der Dresden Frankfurt Dance Company nutzt zwei Stücke aus Gustav Mahlers Liederzyklus Das Lied von der Erde – „Der Einsame im Herbst“ und das Schlussstück „Der Abschied“ – und umrahmt einen dritten, völlig instrumentalen Teil, in dem Menschen in Bewegung allein das Geschehen bestimmen.
Nach einer Aufwärmphase in Jogginganzügen zu Mahlers Musik wird die erotische Spannung im zweiten Teil spürbar, wenn trainierte Körper in fließenden Linien über die Bühne gleiten. Die Tänzer*innen, darunter Männer in Röcken, brechen mit konventionellen Rollenbildern und erzeugen ein Verwischen der Geschlechter, das das Publikum gleichzeitig zum Nachdenken anregt und faszinierend ist. Die Choreografie lässt keinen Raum für ein festes „WAS“ oder „WARUM“ – genau wie ein Fußballspiel, dessen Ergebnis erst am Ende klar wird. Was bleibt, ist das WIE, das Gat mit jeder neuen Aufführung neu definiert.
Die gefühlvolle Verbindung von Mahlers Melancholie und Gats minimalistischer Lichtgestaltung schafft einen Raum, in dem das Publikum das Bewegte fast körperlich spüren kann. Jeder Schritt, jede Drehung ist ein Dialog zwischen Klang und Körper, ein bewegender Moment, der mehr sagt, als Worte es je könnten. Vielleicht kann man ein choreografisches Werk nicht sprachlich erklären – und das sollte es auch nicht sein. Die Frage, worum es geht, bleibt offen: „Nun, ich habe keine Ahnung, wir müssen abwarten und werden es sehen.“ Genau diese Ungewissheit macht das Erlebnis so fesselnd.
Gats Werdegang – geboren 1969 in Israel, seit 1994 unabhängiger Choreograf, Gründer der Emanuel Gat Dance Company 2004 – hat ihn zu einem der innovativsten Stimmen des zeitgenössischen Tanzes gemacht. Seine Arbeiten, die in den letzten 25 Jahren an führenden Tanztheatern und Festivals weltweit präsentiert wurden, zeichnen sich durch ein reichhaltiges methodisches Instrumentarium und eine originelle pädagogische Herangehensweise an das Thema „Abschied“. Die Tatsache, dass er selbst die Beleuchtung seiner Stücke gestaltet, unterstreicht, wie sehr er jedes Detail als integralen Teil seiner künstlerischen Vision versteht.
„Abschied“ ist mehr als einfach nur ein Ballettabend mit Tanzchoreographie; es ist ein sinnliches Erlebnis, das die Zuschauer in einen Zustand zwischen Erwartung und Überraschung versetzt. Die Kombination aus Mahlers neu gedachtem, in einen anderen Konzept gestellten Soundtrack, der erotischen Spannung der Tänzer*innen und der ständigen Neuentdeckung des WIE (tänzerische Umsetzung) macht diese Aufführung zu einem bewegenden Höhepunkt zeitgenössischer Tanzkunst. Das Stück ist eine Eventprogrammierung für das Bockenheimer Depot. Ich hoffe, dass möglichst viele Besucher dieses atemberaubende Zusammenspiel von Klang, Körper und Gefühl erleben werden.
Einen Kontrast zu dem Ballett‑Erlebnis bildeten die vielen verkleideten Menschen, die ich auf dem Heimweg traf.
Halloween hat Frankfurt am 31.10. fest im Griff. Ich stieß auf Draculas, Zombies und andere unnatürliche Wesen. Auch Halloween ist eine Art mit den Themen dem Tod und dem Leben auf spielerische Weise umzugehen. Ohne es zu ahnen passten die Halloweengestalten sehr gut zum Tanzabend Abschied (dazu auch unser Halloween Beitrag).
Herzlichen Dank für den Beitrag, die Bilder und die Impression von Pete Linforth auf Pixabay
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