You are currently viewing Zumutungen des Alltags

Mit dem Ausdruck der Gefühle ist das so eine Sache. Langsam beginne ich zu verstehen, dass man zwar recht gut deutsch sprechen und schreiben kann, ohne wirklich etwas über die deutsche Sprache zu wissen. Das hat schon Paul Watzlawick in seiner „Menschlichen Kommunikation“ trefflich erkannt. Was sind dann also die geeigneten Mittel, um meine Empfindungen Ihnen hier zu vermitteln? Zwischen gewünschtem und tatsächlich geführtem Leben klafft oft eine riesige Lücke. Suche ich das, was ich in mir selbst nicht finden kann, in anderen Menschen? Können meine Mitmenschen meine Erwartungen, die ich in sie setze, nachempfinden, und ich die ihren?

Vom Scheitern einer „zartbeseiteten Seele“ erzählt schon 2009 Wilhelm Genazinos Roman „Glück in glücksfernen Zeiten“. Da ist ein Mensch, der ein gänzlich unspektakuläres Leben führt. Zutiefst unglücklich öffnet sich plötzlich eine Tür in ihm durch die Idee, einer „Schule der Besänftigung“.

In die würde ich auch gerne gehen, die würde mir beibringen, was ich wirklich bräuchte: „Enttäuschungspraxis, Sehnsuchtsabbau, Fremdheitsüberlistung, Hoffnungsclownerie“, so schreibt Genazino selbst in seiner Dankesrede zum Büchner-Preis. Sinngemäß beschreibt er weiter, was ich nicht wie er auszudrücken vermag: Schreibende und Betende würden die metaphysische Zuversicht teilen durch ein Schweigen hindurch dennoch gehört und verstanden zu werden. Seien ihre Anstrengungen auch vergeblich, so träumten sie doch weiter…

Ich habe es in den letzten eineinhalb Jahren verstanden. Man muss hin und wieder lieb gewordene ausgetretene Pfade verlassen. Die erzwungenen Veränderungen waren für mich persönlich vielleicht überfällig. Es wird Zeit, ein bisschen aufzuräumen. Wie gerne würde ich endlich meine „aristotelische Mitte“ finden können zwischen dem ‚Zuviel‘ und dem ‚Zuwenig‘“ wie es Alain Ehrenberg in „Das erschöpfte Selbst“ beschreibt. Wie viele Menschen sind in den letzten eineinhalb Jahren an Schwermut erkrankt? Das Streben nach Glück, die Leere und Antriebslosigkeit, die Angst vor dem Versagen und die Flucht in die Sucht – Krankheiten als „Folge einer institutionellen Überforderung“ wie es Axel Honeth ausdrückte.

Oder auch ganz aktuell die „Soziale Anhedomie“?  Bin ich in einer Gesellschaft mit „Cave-Syndrom“ gefangen? Wenigstens wäre ich damit nicht ganz alleine…

Mein Blog-Beitrag wurde durch einen Artikel im Main-Echo angestoßen.

  • Beitrags-Kategorie:Alltagskultur / Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:19. Oktober 2021
  • Lesedauer:4 min Lesezeit