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Liebe Anne,

heute Nacht habe ich von Deinem „Koffer in Berlin“ geträumt. Genauer gesagt, ich fing an, den meinen zu packen, um zum Bahnhof zu fahren. Da überkam mich plötzlich das ganz zwingende Gefühl, etwas vergessen zu haben. Da es schon später war als ich dachte, hastete ich mit dem halb gepackten Koffer zum Bahnhof. Aber dann träumte ich weiter, den Zug verpasst zu haben und zudem das erschreckende Gefühl, ich sei schuld daran, dass alle Leute im Zug auf mich hätten warten müssen.

Schweißgebadet wache ich auf und mir schießt Franz Kafkas „Gib‘s auf!“ durch den Kopf. Die Parallele zu meinem Traum: ein Mann, der zum Bahnhof hastet, den Weg nicht findet und von einem lachenden Schutzmann bei der Suche nach dem richtigen Weg abgewiesen wird.

Nun überkommt mich der Gedanke, ich müsse bei etwas nachhaken, irgendwo anrufen, etwas dringend abliefern. Diese unerledigte Aufgabe rotiert wie eine Zentrifuge in meinem Kopf. Weit davon entfernt wieder einschlafen zu können, lese ich eine ganze Weile in dem Buch auf meinem Nachttisch „So wie Du mich kennst“, einem Roman von Anika Landsteiner. In dem Buch geht es um die Thematik, nicht wirklich etwas über den Menschen zu wissen, den man am meisten liebt oder die Frage „Warum reden wir den ganzen Tag und erzählen uns doch so wenig?“.

Langsam falle ich wieder in einen unruhigen Schlaf. Im Traum will ich nun wieder unbedingt nach Berlin, diesmal erstaunlicherweise per Flugzeug. Wieder beginne ich alle meine Sachen zusammenzusuchen. Mein Plan ist es, alle Sachen in zwei Koffer zu packen. Wieder gelingt es nicht. Wie festgefroren stehe ich zwischen Bürsten, Kämmen, Dosen, Tiegeln und Kleidungsstücken – ohne jede Orientierung. Mir ergeht es wie dem Esel zwischen zwei Heuhaufen. Unfähig sich für einen zu entscheiden, verhungert er schließlich. Also fange ich an, im Traum zu überlegen, was ich für Berlin unbedingt brauchen werde. Und dann beginnt die Suche nach den Konzertkarten für Eric Clapton.  Auf der Waldbühne wird er seine „Layla“ ekstatisch hinausschreien. Im Traum steigere ich mich zu Höchstleistungen, wühle und durchwühle, stapele und verwerfe, fange von vorne an, stelle fest, dass das Chaos um mich herum immer größer wird und der entstandene Kleiderberg unüberwindlich…

Es wird langsam hell. Ich stehe am Fenster und schaue in die Natur. Ich bleibe auf der Stelle und doch bin ich pünktlich und mit gut gepacktem Koffer mitten in Berlin angelangt.

Danke, liebe Anne, für das Stichwort „Berlin“ als Auslöser für Gedanken über das Suchen und Nicht-finden-Können, eine Reflektion zu einer Situation, die ich noch immer nicht verstehen kann.

Es grüßt Dich herzlich
Elke