Du betrachtest gerade „Der wunderbare Mandarin“ von Béla Bartók, ein Skandal in Tönen?

Vor kurzem veröffentlichten wir im UniWehrsEL einen Beitrag zur Städelausstellung „Unzensiert. Annegret Soltau – Eine Retrospektive“. Der Körper wurde dabei, so das Städel Frankfurt“, als „politisch“ verstanden, denn die Künstlerin wollte in den 70er Jahren mit ihrer Kunst Aufsehen erregen. Soltau hat sich allen Widerständen gegen ihre „radikal feministische Bildsprache“ zum Trotz in der Gegenwartskultur etabliert. Um „Hässlichkeit und Widerlichkeit der zivilisierten Welt“ ging es auch in Béla Bartóks Ballett „Der wunderbare Mandarin“. Das Stück schockierte und musste sofort nach der Uraufführung wieder abgesetzt werden. Am 26. Mai 2025 erlebte das Publikum im Staatstheater Darmstadt ein dazu passendes außergewöhnliches Sinfoniekonzert, das nicht nur musikalisch, sondern auch historisch interessant ist. Danke an den Kulturbotschafter des UniWehrsEL, der uns darüber berichtet!

Liebe Leser des UniWehrsEL,

die Aufführung von Béla Bartóks „Der wunderbare Mandarin“ zeigt sich als ein faszinierendes, aber auch kontroverses Werk, das bereits bei seiner Uraufführung im Jahr 1926 für einen handfesten Skandal sorgte. Was macht diese Tanzpantomime, die von der düsteren Geschichte dreier Zuhälter und einem reichen Chinesen handelt, so provokant? Warum können Menschen an solch einer Handlung Anstoß nehmen?

Bartóks „Der wunderbare Mandarin“ ist nicht nur ein musikalisch spannendes Werk des 20ten Jahrhunderts, sondern auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Normen und Tabus der „wilden“ 1920er. Die Story stammt vom ungarischen Dramatiker Menyhert Lengyel (1880 -1974). Der Inhalt dreht sich um drei Zuhälter, die ein junges Mädchen beschäftigen, um ihre Freier auszurauben. Nach zwei „Gästen“ erscheint als dritter der Titelheld „Der wunderbare Mandarin“. Diesen reichen Chinesen wollen die Räuber ermorden. Er kämpft um sein Leben. Erst in dem Moment, in dem das Mädchen ihn umarmt, ist er am verbluten.

Die Handlung, die sich um die Ausbeutung eines jungen Mädchens durch drei skrupellose Zuhälter dreht, ist von einer brutalen Realität geprägt, die viele (damalige) Zuschauer vor den Kopf stößt. Die Darstellung von Gewalt, Sexualität und moralischen Dilemmata in der Musik und der Choreografie ist für viele Zuschauer schwer verdaulich. In den 1920er Jahren, in der gesellschaftliche Konventionen und moralische Werte noch stärker ausgeprägt waren, stellte Bartók mit seiner Pantomime ein Hassobjekt dar, welches nicht nur die konservativen Kritiker verärgerte, sondern auch die politischen Instanzen der Stadt Köln auf den Plan rief.

Bartók hatte seine Pantomime bereits 1924 abgeschlossen. Zu der Zeit waren solche Stücke gerade in Mode. Igor Stravinsky brachte sein Skandalstück „Sacre du Printemps“ 1913 heraus, welches ebenfalls für einen großen Skandal sorgte. Bei der Uraufführung zu Stravinskys Ballett kam es zu einer Schlägerei. Es kam es zu Tumulten, die die Musik kaum hörbar machten, und die Polizei registrierte 27 Verletzte. Die Gründe für die Empörung sind vielschichtig: War es die als „hässlich“ empfundene Musik, die Choreografie von Vaslav Nijinsky oder die Bühnenbilder von Nicholas Roerich? Auch die Opern von Alban Berg, wie „Lulu“ oder „Wozzeck“, sorgten für großes Aufsehen bei der Uraufführung, und Lulu wurde schnell verboten.

Die Uraufführung des Mandarin in Köln wurde von Teilen der Öffentlichkeit mit Unverständnis und Ablehnung aufgenommen. Die Rheinländer, die Bartók als besonders tolerant einschätzte, reagierten mit harschen Kritiken auf die „Bruegelsche Höllenphantastik“, ob der Musik und er derben Handlung. Diese Reaktionen zeigen, wie tief verwurzelt gesellschaftlichen Normen sind, und wie sie die Wahrnehmung von Kunst beeinflussen können. Die Tatsache, dass Konrad Adenauer, der spätere Bundeskanzler, die Aufführung aufgrund der „unmoralischen Handlung“ verbot, verdeutlicht, wie sehr Kunst und Politik miteinander verwoben sind und wie Kunst oft als Spiegel der gesellschaftlichen Werte angesehen wird. Der Oberbürgermeister sah sich genötigt einzuschreiten und die weiteren Aufführungen zu verbieten. Nicht nur auf späteren Wahlplakaten hieß es für Konrad Adenauer „keine Experimente.“

Was machte nun der Komponist Béla Bartók nach dem Verbot der weiteren Aufführungen? Er ließ die Tanzpantomime weg und arbeitete das Stück zu einer Konzertsuite um. An seinen Verleger schrieb er mit Stolz: „Meiner Ansicht nach das beste Werk, was ich bisher für Orchester geschrieben habe.“ „Und es wäre wirklich schade, dasselbe jahrelang begraben liegen zu lassen.“ Die Handlung wird für die Konzertfassung reduziert, aber soll nicht verheimlicht werden. „Der wunderbare Mandarin“ konnte nun in der Konzertfassung am Staatstheater Darmstadt beim Sinfoniekonzert in seiner 20 Minuten langen Fassung angehört werden.

Ob Konrad Adenauer im Himmel über die Aufführung wütend mit dem Fuß aufstampfte, bleibt ungewiss, doch eines ist sicher: Die Musik von Bartók wird weiterhin die Gemüter der Zuhörer erregen.

Danke für die Impressionen auf Pixabay!