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Immer wieder freue ich mich, dass Sie mich an Ihren Unternehmungen durch Ihre E-Mails teilhaben lassen und dabei auch Tipps, Anregungen und Gedanken zu unseren Themengebieten einfließen lassen. So geschehen bei unserem Seminar, „Erst das Fressen, dann die Moral“. Danke herzlich, lieber Autor!

Liebes UniWehrsEL,

das Zitat „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ ist ein Song aus der Dreigroschenoper und stellt das Finale des 1. Teils dar. Die Dreigroschenoper zeigt soziale Randgruppen wie die Titelfigur Mackie Messer, von Beruf Mörder, sowie den Bettlerkönig Jeremiah Peachum. Peachum führt seine Bettler wie ein Familienunternehmer. Er stellt Menschen ein, die elend aussehen; Krüppel, Bettler, Kriegsversehrte, und nimmt ihnen 50 % ihres Einkommen für ihre Arbeitskleidung (Lumpen) und eine Bettellizenz ab. Dem Ursprungs-Publikum müssen die Krüppel, Bettler, Kriegsversehrte sehr präsent gewesen sein, denn in den 1920er Jahren gab es viele davon auf den Straßen einer Großstadt wie Berlin zu sehen. Für diese Armen und ausgegrenzten Gruppen ging es ums Fressen (also ums nackte Überlegen). Was sie gearbeitet haben?  Vermutlich bekam diese Gruppe nur illegale Arbeit, z.B. Diebstahl, Raub, Menschenhandel. Frauen waren in dieser gezeigten Gesellschaftsschicht nur Prostituierte, die ihren Körper an Männer verkaufen mussten.  

Die Figur Peachum ist also ein böser Typus des Kapitalisten. Dagegen sieht sich der Räuber Mackie als unangepasster Freigeist, der tut was er will. Auch Mackie ist unternehmerisch tätig. Er ist Räuberhauptmann und leitet eine organisierte Gruppe. Es gibt auch bei ihm wie bei Peachum eine klare Struktur. Die Mitglieder seiner Bande müssen über 50 % der Beute an Mackie abgeben. Deshalb sind seine Leute auch bereit ihn zu stürzen. Er beherrscht seine Gruppe durch körperliche Gewalt. Wer nicht spurt bekommt Schläge oder wird von Mackie gleich ermordet. Auch in der Gruppe gilt das Recht des Fressens oder gefressen Werdens. Nur der körperlich Stärkste bekommt alles;  Beute (Geld), Macht, Status. Mit dem Status und dem Geld kann er sich Frauen (Huren) kaufen. Diese haben nach Mackies Verständnis, das zu tun, was er will. Emanzipation der Frau gibt es nicht.

Polly Peachum ist die Tochter des Bettlerkönigs Peachum. Dieser ist beleidigt, dass Mackie seinen Besitz (seine Tochter) angetastet und sogar geheiratet hat. Polly steht auf böse Buben, denn nur diese wagen sich überhaupt an sie heran – wer will sich schon freiwillig mit dem mächtigen Kapitalisten Peachum anlegen? Nur jemand, der sich selbst als Freigeist sieht (wie bereits beschrieben), aber gar kein Freigeist, sondern ebenfalls ein Unternehmer ist. Es kommt also zum Unternehmerkrieg. Räuberunternehmer gegen Bettlerunternehmer. Mackie wird vom Bettlerkönig systematisch zerstört. Alle seine Straftaten werden aktenkundig bei der Polizei binnen 24 Stunden. So muss die Polizei gegen Mackie vorgehen. Mackie bringt an den Galgen, dass er Polly geheiratet hat und gleichzeitig mit der Polizistentochter des Polizeipräsidenten Brown ein Verhältnis hat. Dadurch fühlt sich Polly betrogen und übernimmt Mackies Unternehmen. Mackie wird arm. Ohne Geld – das heißt, er kann den Henker nicht bestechen, um ihn freizulassen. Botschaft wer kein Geld hat, zählt in der Gesellschaft nichts.

Die Rettungsszene ist eine Parodie auf die klassische Oper wie etwa „Fidelio“, wo im letzten Moment eine unlösbare Situation durch göttliche Fügung aufgelöst wird. So waren Opern bis in 19. Jahrhundert gestrickt. Denke auch an „Ulisses“, der zu seiner Frau einfach zurückkehrt und wieder seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt.

Ich hoffe, diese Einordnung hat den UniWehrsEL Lesern gefallen. Und nun noch meine eigenen Eindrücke  zu einer Aufführung der Dreigroschenoper in Meiningen.

Hallo, liebe UniWehrsEL-Leser,

es gibt Musik die wirst du nie im Leben wieder vergessen. Es könnte sich an dich jemand um 3 Uhr morgens anschleichen und eine Melodie pfeifen. Du wüsstest sofort, um welche Melodie es sich dabei handelt und woher sie stammt. Bei mir ist es bei der Dreigroschenoper insbesondere die Ballade vom Räuber Mackie Messer, die ganz tief ins Hirn eingebrannt ist. Kein Wunder also, dass ich mit großer Begeisterung der gestrigen Nachmittagsvorstellung der Dreigroschenoper im Theater Meiningen beigewohnt habe. Mackie war eine Mixtur aus Harald Glööckler – also einfach „pompööös“ (keine falsche Bescheidenheit seitens der Kostümbildner) und einem Disko-King wie aus „Saturday Night Fever“.

Er trug gefährlich heiße Boots und war auch sonst durchtrainiert. Gesanglich ein zorniger junger Mann – der lauthals seine Forderungen stellte. Das Meininger Publikum sprach die ersten Zeilen des Brecht Textes mit, so wie es sich für ein Brecht affines Publikum gehört. Der Brecht‘sche Vorhang durfte ebenso wenig fehlen wie die moralin-saure-Belehrung der Figuren. Das war in Meiningen kein Theaterstück, sondern eine Predigt ohne Kanzel. Hätte ich ein Dezibel-Gerät mitgehabt – es hätte laut ausgeschlagen.

Die Musik – eine Band war ohrenbetäubend – , der Gesang war laut, schrill, frech, mit echten Schauspielern, die nicht wirklich singen können. Die Kostüme im Diskostyle, nicht nur das des Räuberhauptmanns, sondern auch seiner Bande, einfach ein Hingucker. Auf der Bühne ein Totenkopf mit Dollarzeichen – für „fuck the capitalismn“ – er raubt uns die Sinne und macht die Menschen Plemplem. Ein Ballett mit falschen Brüsten, schlechtem Makeup und einer „Bad Bitch“. Diese Huren haben Mackie bekanntlich verraten; und das in schrillen Kleidern, als Männer-Frauen-Diverses Ballett. Doch warum muss er da auch dreimal hin, fragt sich der Zuschauer? Antwort: die sexuelle Hörigkeit des Mackie, also wird der Galgen gerichtet und Mackie beklagt sich über die Ungerechtigkeit der Welt. Lautes Stampfen, Murren, Lärmen.

Natürlich wird er errettet wie einst „Fidelio“ – durch einen reitenden Boten der Queen. Fazit Mackie ist ein Egoist und Kapitalismus ist Mist, Alternative fällt uns nicht ein. Die Kanonen der Soldaten schießen wieder – bei der Nummer wurde es ruhig, geradezu andächtig wie in der Kirche. Insgesamt großartige Stimmung – ein tolles Publikum und Brecht wäre mit der Inszenierung zufrieden gewesen.

PS: Im Programmheft steht ab 2027 wird die Dreigroschenoper erst gemeinfrei. Bis dahin haben die Brechterben ein Auge auf jede Inszenierung und verklagen die Zerstörer der Brecht‘schen Botschaft gnadenlos, und es klingelt die Erbenkasse. Drei Stunden Brecht und das Gehirn ist wieder durchgespült mit allen Songs – alle gehen pfeifend aus dem Theater und der Räuber ist ein Edelmann geworden. Schönes Märchen!

Danke für das Räuberbild von Lilly Cantabile auf Pixabay