Du betrachtest gerade Gints Zilbalodis’ Animationsparabel „Flow“ – Überlebenskampf einer Katze als Abgesang auf einen drohenden Untergang?

Dem Kulturbotschafter des UniWehrsEL ist es gelungen, den außergewöhnlichen Zeichentrickfilm Flow zu sehen. Flow wurde nicht umsonst mit einem Oscar ausgezeichnet: die Qualität der Animation, die emotionale Klarheit der Figuren und die poetische Komposition machen den Film herausragend. Für alle, die am Seminar Anima(l) teilnehmen, ist Flow ein ebenso reizvoller wie lehrreicher Anschauungsfall: Tiere spiegeln menschliche Eigenschaften, ohne je zu sprechen; sie zeigen Instinkt, Loyalität, Konflikt und Versöhnung in einer Welt, in der der Mensch nicht mehr präsent ist.

Liebes UniWehrsEL,

Stellen Sie sich eine Welt ohne uns Menschen vor, so wie sie Alan Weisman 2007 in seinem Sachbuch Die Welt ohne uns entworfen hat. Alan Weisman ist ein vielfach ausgezeichneter Professor für Journalistiv und Lateinamerikastudien, lebt in Tucson und entwirft ein Szenario um die Überreste menschlicher Zivilisation in den Städten, wie Gebäuden. Zudem den Hinterlassenschaften wie etwa den Kunststoffen. Eine Thematik, die uns in Zeiten des Klimawandels zunehmend beschäftigt.

Der totale Untergang der Zivilisation wird zwar im Moment noch als „Unkenruf“ verstanden. (dazu hatte ich mir schon bei Elfriede Jelineks Stück Sonne/Luft Gedanken gemacht). Aber schon 1978 beschrieb der bekannte Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger den als „unsinkbar“ deklarierten Untergang einer Legende. Der Untergang der Titanic am 15. April 1912 ist für ihn dem entsprechend als „ein großes symbolträchtiges Ereignis“ zu verstehen, das ihn zu einem „Versepos in 33 Gesängen“ veranlasste, über eine Katastrophe, die 1500 Menschen das Leben kostete.

Nicolas Born (Riß im Rumpf des Fortschritts im Spiegel 1978), der fünfte Stadtschreiber von Bergen, greift nicht nur die Gedankengänge Enzenbergers auf, sondern betonte noch einmal das „Komödiantische des Ganzen“. Mit dieser sarkastischen Bezeichnung, sei nicht das iliterarische Genre gemeint, sondern der „eigentlich heiter-gemütlichen Ablauf der Vor- und Nachgeschichte jeder Katastrophe, die erstaunliche Fähigkeit der Menschengesellschaft, zu lavieren, und ihre Unfähigkeit, etwas anderes auf sich zukommen zu sehen als die Hochrechnungen aus der Gegenwart.“

Es gehe um das Weitermachen, die Rückkehr zur Tagesordnung, um banale Überlebenstechniken, die auf der Titanic schon beobachtbar waren. Nach der Kollision mit dem Eisberg galt noch das Prinzip der Unerschütterlichkeit, das wohl auf die heutige Zeit nahtlos übertragbar scheint. Trotz untrüglicher Vorzeichen, dass geplante (technische) Unternehmen, wie diese Jungfernfahrt, immerhin Kandidat für das Blaue Band, für die schnellste Atlantiküberquerung, übel ausgehen könnten. „Die Gymnastik geht weiter, die Band spielt weiter, und der Passagier Jacob Astor schlitzt mit »der Nagelfeile« einen Rettungsring auf, um seiner Frau zu zeigen, was darin ist.“

Gints Zilbalodis’ faszinierenden Animationsfilm Flow bezieht sich explizit weder auf Weismanns Dystopien, noch auf die von Menschen gemachten Schiffskatastrophen, lässt sich aber durchaus in Illustration und Umsetzung als Überlegung zu solchen lesen. Zilbalodis animierter Kurzfilm Aqua aus dem Jahre 2012 wird quasi fortgesetzt, indem ein schwarzes Kätzchen sich erst durch einen märchenhaften Wald kämpfen muss, um dann auf der Flucht einer plötzlich hereinbrechenden Flut entkommen muss.

Flow zeigt eine Welt ganz ohne Menschen: möglicherweise eine postapokalyptische Landschaft, in der menschliche Bauwerke wie stumme Zeugen übriggeblieben sind. Die Menschen fehlen, ihre Sprache fehlt; stattdessen sprechen einzig tierische Laute. Das Ergebnis ist poetisch und eindringlich zugleich.

Im Zentrum steht eine kleine Katze, die nach einem fürchterlichen Unwetter zusammen mit anderen Tieren auf ein Boot flieht. Die große Sturmflut erinnert an die Arche-Noah-Erzählung — ein biblisches Motiv, das hier in eine andere Dimension versetzt erscheint, in der Tiere gelernt haben, Boote zu steuern und allein zurechtzukommen.

Die kleine Katze ist die Heldin dieser Odyssee: unschuldig, sympathisch, eigenwillig und eigenständig. Sie sucht Schutz in einem leerstehenden Haus, offenbar einst gestaltet von einem katzenliebenden Künstler (das erinnert an die Welt des Louis Wayne). Geschnitzte Katzen und liebevolle Details verraten, dass dieses Gebäude einst ihr Zuhause war. Doch auch dieses Refugium wird von den Fluten umspült. Für sie bleibt nur der lebensrettende Ausweg: ein Boot, das sie mit wenigen anderen Tieren in Sicherheit bringt.

Die tierischen Begleiter sind eindrucksvolle Charaktere: ein treu ergebener Golden Retriever, der naiv wirkt; ein majestätischer Sekretär-Vogel, der die Katze in einer Szene vor seiner Meute verteidigt und daraufhin von dieser ausgeschlossen wird; ein praktisch veranlagtes Wasserschwein (Capybara), das als Ruhepol und Vermittler fungiert; ein hyperaktiver, besitzergreifender Lemur. Diese Figuren stehen sinnbildlich für menschliche Eigenschaften — Treue, Pragmatismus, Neugier — ohne jemals vermenschlicht zu wirken. Dialoge fehlen völlig; die Handlung entfaltet sich allein durch Gestik, Mimik und Bewegungen der Tiere. So braucht der Film keine Erklärungen: der Zuschauer versteht durch Beobachtung.

Die Landschaftsbilder wechseln zwischen bedrohlicher Wildnis und atemberaubender Schönheit, oft fotorealistisch, oft traumhaft überhöht. Die Atmosphäre schwankt beständig zwischen Traum und Wirklichkeit. Die ausdrucksstarken Tieranimationen und die stimmungsvolle Inszenierung erinnern bisweilen an filmisch umgesetzte Videospiele — ein erzählerischer Fluss, der zugleich introspektiv und episch wirkt. Regisseur Zilbalodis schafft eine Kraft der Zusammenarbeit im Bild: jede Figur, jede Geste trägt zur gemeinsamen Reise bei. Am Anfang wird die Katze von einem Hunderudel gejagt — eine spannende, beinahe panische Verfolgung, die durch die gewaltige Flutwelle abrupt unterbrochen wird und den Ton der gesamten Erzählung setzt.

Psychologisch gesehen liest sich Flow wie eine Spiegelung innerer Zustände: Traum und Überleben, Verlust und Zusammenhalt. Sigmund Freud schrieb über den Traum: „Der Traum ist der Königsweg zur Erforschung des Unbewußten“. Dieses Zitat passt hier, weil der Film ohne Worte tief in archaische Bilder eindringt und dem Zuschauer Zugang zu verborgenen Ängsten und Sehnsüchten eröffnet. (zum weiterlesen UniWehrsEL zu „Traum und Film psychoanalytisch betrachtet“)

Dass ein Mensch gemeinsam mit Tieren ums Überleben kämpft, kennt man aus dem Film „Schiffbruch mit Tiger original Life of Pi) Auch hier fand der Regisseur Ang Lee märchenhafte Bilder, um eine tragische Geschichte zu erzählen (UniWehrsEL Beitrag „Auf den Tiger gekommen„). „Mut bedeutet, sich dem Raubtier, das am Rande der Wahrnehmung herumstreift, zuzuwenden“, ist da die Kernaussage. Auf einem Boot mit Tieren eingeschlossen, bedeuten diese für den Schiffbrüchigen die letzte Verbindung zwischen Leben und Sterben. Auch hier ein Unglück, das aus dem Alltag reißt und in dem sich Tiere sowohl als Verbündete, als auch als Gegner erweisen, denn auf einem Ruderboot sind drei Raubtiere. Eines davon ist Pi, der Vegetarier.

Mein Fazit: Ich bin noch immer bewegt von der Bildsprache, der Stimmung und der seltsamen, fast mythischen Erzählung! Flow ist ein zutiefst berührender, bildgewaltiger Film — eine stille, poetische Odyssee aus der Perspektive einer kleinen Katze, die in einer menschenleeren, flutgezeichneten Welt ums Überleben kämpft. Er erzählt ohne Worte, bewegt durch Animation, Atmosphäre und symbolische Kraft, und bleibt lange im Gedächtnis.

Gedanken macht mir auch der Name der Katze „Flow“. Hat dies etwa etwas mit einem bestimmten Erleben zu tun? Flow ist ein spezielles Phänomen der intrinsischen Motivation, das vor allem von Csikszentimihályi (1975, 1992) untersucht wurde. Bezeichnet wird damit der Zustand des reflexionsfreien gänzlichen Aufgehens in einer glatt laufenden Tätigkeit, die als angenehm erlebt wird und zu Zufriedenheit und freudvollem Erleben führt. (Stangl, 2025).

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