Du betrachtest gerade Ibsens „Nora – Ein Puppenheim“ – Loblied auf die (Not-)Lüge?

Die Notlüge – ein unverzichtbarer Pfeiler der menschlichen Gesellschaft, ein wahrhaftiges Juwel des täglichen Überlebens! Wo wäre die Gesellschaft ohne die Kunst der Improvisation? Welche Peinlichkeiten des Lebens erspart die Lüge? Lieber Leser singe ein Loblied auf die Lüge! Denn sie ist es, die den Menschen durch die schlimmsten sozialen Engpässe lotst. Ein UniWehrsEL-Leser möchte sich gerne mit anderen Bloglesern austauschen. Er hat Ibsens Stück Ein Puppenheim, in Deutschland unter dem Namen Nora bekannt geworden, das die Themen Frauenemanzipation, Lebenslügen und Scheinglück thematisch anpackt, seinen Überlegungen zugrunde gelegt.

Ibsens Puppenheim und die Lügen Noras

Puppen und Puppenhäuser spielen in vielen Inszenierungen eine Rolle, so etwa bei Ibsens „Nora„. Sie sind Seelenverwandte, anthropomorphe Wesen oder man kann sie auch wunderbar unter einen Glassturz setzen. In der Welt von „Nora oder Ein Puppenheim“, dem Theaterstück von Henrik Ibsen, ist die Lüge nicht nur ein Werkzeug, sondern eine Lebensstrategie. Gefangen im Puppenheim, in dem sie von Torvald wie eine Puppe behandelt wird – hübsch anzusehen, aber ohne eigene Stimme, – bleibt ihr kaum eine andere Wahl. Wie schon ihr Vater sieht auch Torvald sie nicht als eigenständige Person, sondern als schmückendes Beiwerk seines Lebens. Umso schwerer wiegt die Notlüge, mit der Nora ihren Mann davon überzeugt, eine Erholungsreise nach Italien anzutreten, um seine Gesundheit zu retten. Die Ärzte warnten vor Burnout, und Nora handelte aus Liebe und Fürsorge – jedoch nicht ohne Täuschung.

Die Reise, so behauptete sie, sei ein Geschenk ihres Vaters, ein Hochzeitsgeschenk für die junge Familie. Tatsächlich aber finanzierte Nora die Reise durch einen Kredit bei Krogstad, den sie mit einer gefälschten Unterschrift ihres sterbenden Vaters absicherte. Ihr Betrug flog auf, als Krogstad sie erpresste: Nora sollte Torvald dazu bringen, ihn in seiner Position zu belassen. Die Situation spitzte sich zu, als Krogstad einen Brief schrieb, der Noras Vergehen offenlegte. Nora versuchte verzweifelt, den Brief zurückzuhalten, doch Torvald las ihn. Statt Mitgefühl oder Verständnis zeigte er nur Enttäuschung über die Gefahr, die ihr Handeln für seinen Ruf darstellte.

Torvalds Haltung offenbarte die ganze Tragik ihrer Ehe. Für ihn war Nora nicht mehr als ein Schmuckstück – hübsch, aber austauschbar. Selbst als Krogstad einen weiteren Brief schreibt um Nora noch mehr unter Druck zu setzen, denkt Torvald nur an den Skandal und seinen Ruf. Aber nicht über die Frage nach, warum Nora ihre Taten beging. Er versuchte die Ereignisse zu verdrängen und einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen. Doch für Nora war alles anders. Die Lügen und Halbwahrheiten, die sie einst nutzte, um Torvalds Wohl zu sichern, wurden zu einem Symbol ihrer untergeordneten Rolle in der Ehe. Die Herablassung und der Egoismus ihres Mannes zerstörten ihre Zuneigung endgültig.

Die Halbwahrheiten der Reise und Nora als starke Persönlichkeit

Noras Entscheidung, Halbwahrheiten in Bezug auf die Reise nach Italien zu erzählen, ist ein Spiegelbild ihrer unglaublichen Stärke und ihres unerschütterlichen Willens, ihre Ehe und ihren Mann zu schützen. Sie präsentierte die Reise als großzügiges Geschenk ihres Vaters, eine Hochzeitsgabe, die den Rahmen ihrer Beziehung und den gesellschaftlichen Erwartungen entsprach. Doch hinter dieser Fassade stand Noras Tatkraft und Mut: Sie nahm einen Kredit bei Krogstad auf und fälschte eine Unterschrift – ein kalkuliertes Risiko, das sie einging, um Torvalds Gesundheit zu retten. Die Halbwahrheit war dabei ihr Rettungsanker, eine Möglichkeit, die Wahrheit zu verschleiern, um ihre auf Liebe und Fürsorge basierenden Handlungen zu rechtfertigen und die Illusion einer harmonischen Ehe aufrechtzuerhalten.

Nora zeigt in dieser Situation eine bemerkenswerte Resilienz und Entschlossenheit. Anstatt sich passiv den Umständen hinzugeben, handelt sie aktiv – auch wenn es bedeutet, Regeln zu brechen und Risiken einzugehen. Ihre Stärke liegt darin, dass sie ihre eigenen Ängste und Zweifel überwindet, um das Wohl ihres Mannes und ihrer Familie zu sichern. Das Puppenheim, in dem sie lebt, mag sie äußerlich beschränken, doch innerlich ist Nora eine Frau mit einer kraftvollen Persönlichkeit und einem scharfen Verstand, die sich nicht einfach in ihre vorgegebene Rolle fügen will.

Torvalds vermeintliche Stärke und die Wahrheit seiner Schwäche

Im Gegensatz zu Nora hält Torvald sich selbst für eine starke Persönlichkeit – den souveränen Haushaltsvorstand, der die Zügel in der Hand hält. Doch diese Selbsteinschätzung entlarvt sich als Illusion, denn Torvalds vermeintliche Stärke basiert auf einem oberflächlichen Verständnis von Macht und Kontrolle. Sein Unvermögen, für seine Gesundheit kürzerzutreten und sich seiner Arbeitswut zu stellen, zeigt seine innere Schwäche. Statt auf die Warnungen der Ärzte zu hören, klammert er sich an seine Karriere und den gesellschaftlichen Status, den er durch sie erreicht hat. Seine Arbeitswut ist weniger ein Zeichen von Disziplin als ein Ausdruck seiner Abhängigkeit von äußerer Bestätigung.

Torvald erzählt sich selbst eine Lüge, wenn er Nora als zerbrechliche Puppe behandelt. Durch seine herablassende Haltung und seine mangelnde Bereitschaft, sie als gleichberechtigte Partnerin wahrzunehmen, schützt er sich vor der Erkenntnis, dass ihre Ehe auf ungleichen Fundamenten gebaut ist. Diese Selbsttäuschung erlaubt es ihm, seine eigene Unsicherheit und seinen Egoismus zu verdrängen.

Die Lüge als Rettungsanker? und der Feminismus im Stück

Für Nora wird die Lüge zu einem Rettungsanker, weil sie hofft, damit ihre Ehe zu bewahren und Torvalds Wohl zu sichern. Anstatt nach der Diagnose der Ärzte sofort aus der Beziehung auszusteigen, bleibt sie, weil sie noch an das Versprechen von Liebe und Partnerschaft glaubt.

Henrik Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“ bleibt heute genauso relevant wie damals, weil es grundlegende Fragen über Geschlechterrollen, Macht und Gleichberechtigung aufwirft. Noras Kampf für ihre Selbstbestimmung und die Erkenntnis, dass sie in ihrer Ehe nicht als gleichwertig betrachtet wird, sprechen die Themen an, die der Feminismus immer wieder thematisiert: die Notwendigkeit, Frauen als eigenständige, vollwertige Individuen zu respektieren. Das Stück zeigt, wie gesellschaftliche Erwartungen Frauen in Rollen zwingen, die ihnen nicht gerecht werden, und wie Männer wie Torvald durch diese Strukturen ebenfalls in Selbsttäuschungen gefangen bleiben.

Fazit: Der Bruch mit der Lüge

Doch am Ende, so faszinierend die Lüge auch sein mag, bleibt sie ein Werkzeug mit Verfallsdatum. Nora erkannte, dass die Illusion nicht ausreicht, um die Mauern ihres Puppenhauses niederzureißen. Sie verlässt Mann und Kinder. Ihre Lügen dienten der Liebe, doch sie zeigten auch, wie wenig Platz ihre eigene Identität in diesem Puppenhaus hatte. Der Bruch mit Torvald war unvermeidlich – nicht nur wegen seiner herablassenden Haltung, sondern auch, weil Nora nach etwas suchte, das in ihrer Ehe nie existiert hatte: Respekt und Gleichberechtigung. Am Ende verlässt Nora das Puppenhaus und damit die Welt der Notlügen und Halbwahrheiten. Es ist ein Abschied von einer Ehe, die sie nicht als Mensch gesehen hat, und ein Beginn eines neuen Lebens, in dem sie für sich selbst einsteht. Hat Nora richtig gehandelt?

Danke für Bilder und Image by Stefan Schweihofer from Pixabay