Shakespeares „Sommernachtstraum“: Tiere als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände
Im nächsten Wintersemester 2025/26 wird das Thema „Anima(l)“ – „Tiere als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände“ im Fokus stehen. Angeregt durch den Besuch der Vorstellung des „Sommernachtstraum“ im Staatstheater Meiningen, untersucht dieser Text unseres Kulturbotschafters des UniWehrsEL, wie Shakespeare im „Sommernachtstraum“ mit dem Thema der Verwandlung eines Menschen in ein Tier umgeht, den Handlungsort Wald als Fluchtort nutzt und wie Shakespeare das Chaos als Gegensatz einer gesellschaftlichen Ordnung inszeniert.
Liebe Leser des Seminar-Talks des UniWehrsEL,
In einer der bekanntesten Komödien von William Shakespeare (1595 uraufgeführt) spielen Liebe, Magie, Verwechslungen eine Rolle. Zwei Liebespaare aus Athen werden mit einem Zauber belegt und verlieben sich plötzlich in andere Partner. Shakespeare war auch unser Thema in unseren Beiträgen „Wer die Nachtigall stört„, wo es um das berühmte Liebespaar Romeo und Julia geht, oder in „Othello„, hier spielen Diskriminierung, Eifersucht und Rache eine Rolle.
In meinem Text möchte ich den „Sommernachtstraum“ näher beleuchten. Da ist zunächst die Verwandlung des Handwerkers Zettel in die Gestalt eines Esels. Die Feenkönigin Titania wird von ihrem eifersüchtigen Gemahl Oberon verzaubert. In ihrer Liebestollheit weiß sie noch nichts von der Demütigung, die sie nach ihrem Erwachen erwartet.
Puck, Handlanger Oberons, unterstützt seine Macht und setzt sie um. Er versieht den Handwerker Zettel mit einem Eselskopf und symbolisiert damit die animalischen Triebe des Menschen, nun auch äußerlich sichtbar. Der Zauber bewirkt, dass Titania Zettel nicht nur als ‚drollige Figur‘ wahrnimmt. Diese Verwandlung ist nicht nur komisch, sondern auch tiefgründig, zeigt sie doch, wie das Ungewöhnliche und das Animalische in der Liebe eine Rolle spielen, und dass sich auch Standesdünkel und Grenzen auflösen können. Ist es wirklich nur die Wirkung des Zauberbanns oder hat der Eselskopf tragende Mensch nicht auch etwas Erotisches, gerade durch das animalische Erscheinungsbild an sich?
Die Vorstellung einer, einen Eselskopf liebkosenden,Titania regte schon Johann Heinrich Füssli (1741-1825) an. Der Maler Füssli war nicht nur von Shakespeare begeistert, sondern interpretierte ihn auch in seinem Werk Titania liebkost Zettel mit dem Eselkopf 1793-1794 (Kunsthaus Zürich).
Füssli kennen wir bereits durch den Beitrag „Schön schaurig“ im UniWehrsEL, als Liebhaber tierisch-animalischer Szenen. Im Frankfurter Goethe-Haus findet man das Gemälde „Der Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli, den ich in der Ausstellung „Traum und Wahnsinn“ erleben durfte. Da sitzt ein gruselig-hässliches Untier auf der Brust einer schönen schlafenden Frau und nimmt ihr die Luft zum Atmen, während ein schauriges Geisterpferd mit leeren Augen durch einen Vorhang hereinglotzt. Ebenfalls ein Fantasiebild des „Wilden Schweizers“, der die englische „Gothic Novel-Bewegung“ mit schaurigen Bildern zu den großen Erzählungen von Shakespeare, Dante oder John Milton bewegte.
Zurück zum Sommernachtstraum, hier wird der vorwiegende Handlungsort Wald zum Fluchtort vor der vermeintlich grausamen Welt, in der die Paare ihre Gefühle nicht ausleben können. In der Natur, wird die Logik der gesellschaftlichen Ordnung außer Kraft gesetzt. Die Figuren handeln aus ihren Instinkten heraus, verhalten sich instinktiv „tierisch“ und werden selbst zu einem Teil der rasenden Welt, die sie umgibt. Diese Raserei ist nur von kurzer Dauer, denn auch die Glücksmomente sind flüchtig.
Die plötzliche und unberechenbare Natur der Begierde, die in Shakespeares Werk so zentral ist, spiegelt die Komplexität menschlicher Emotionen wider. Sie zeigt, wie schnell sich Gefühle ändern können und wie Menschen in ständigen Zustand der Unsicherheit leben. Diese Dynamik der Begierde ist nicht nur ein zentrales Thema im „Sommernachtstraum“, sondern z.B. auch in Romeo und Julia, wo die Liebe oft als eine Quelle von Freude, Intensität aber auch Leid und Verlust dargestellt wird.
Der Esel als Bedrohung und Verführung
Zettels Verwandlung in einen Esel hat sowohl komische als auch tiefere psychologische Implikationen. Während Oberon, der stolze und eifersüchtige Feenprinz, Titania für seine eigenen Zwecke manipuliert, wird Zettel zu einem Symbol für das Unkonventionelle und das Animalische. Die Eselsohren, die Zettel trägt, sind weich und unbedrohlich, was Titania dazu verleitet, sich ihm körperlich zu nähern. Diese körperliche Annäherung ist nicht nur eine Folge des Zaubers, sondern auch eine Reaktion auf das andere, weniger perfekte Wesen, das Zettel verkörpert.
Psychologisch betrachtet könnte man argumentieren, dass Zettel eine größere Gefahr für Oberon darstellt als das Kind, da er Titania in eine Form der Begierde und des Verlangens führt, die Oberon nicht kontrollieren kann. Während das Kind Eifersucht in Oberon weckt, entfacht Zettel in Titania eine unkonventionelle Lust, die die Machtverhältnisse zwischen den Charakteren destabilisiert.
Zum Weiterdenken:
Der „Sommernachtstraum“ zeigt, wie Liebe und Begierde in einer Welt ohne gesellschaftliche Regeln lebendig werden. Im Wald können die Figuren ihre wahren Gefühle ausleben und sich ohne Hemmungen begegnen. Doch wenn sie in die Zivilisation zurückkehren, verschwinden diese intensiven Erlebnisse oft und werden verdrängt. Die flüchtige Natur der Liebe und die Ungewissheit bei der Partnerwahl spiegeln sich nicht nur im Stück wider, sondern sind auch in der modernen Gesellschaft spürbar.
Und wo hat William Shakespeare seine heute noch gültigen Stoffe gefunden? Der Dichter Ovid wurde von ihm gelesen und rezipiert. Eine Episode aus Ovids Metamorphosen, die Geschichte von Pyramus und Thisbe, hat er in zwei seiner Dramen aufgegriffen und neu interpretiert: in der oben bereits erwähnten Geschichte von „Romeo und Julia“ (Tragödie), als unglückliche Liebe zweier Adliger. Und in „Ein Sommernachtstraum“ (Komödie). Im letzten Akt findet man ein »Spiel im Spiel« mit den Protagonisten als Zuschauern: Laien-Schauspieler spielen »Pyramus und Thisbe« in lächerlicher Weise vor. Der Maler Nicolas Poussin verschränkt tragisches Figurenerleben mit einer idealen Landschaft und der Schilderung der Naturgewaltenin „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe„, 1651, in einem Bild, das man im Städel Museum bewundern kann.
Danke an unseren Kulturbotschafter des UniWehrsEL für diesen spannenden Beitrag, an das Städel für sein Bild von Poussain, das Image by Gerd Altmann und andere Bilder von Pixabay
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.