Du betrachtest gerade Städelführung mit Pfarrer David Schnell

Ins „Frankfurter Städel“ zu gehen ist immer eine gute Erfahrung. Noch besser wird es, wenn dies unter einer kompetenten Führung geschieht. Wer am 21.12.23 bei der von Herrn Brinkmeyer organisierten und von Pfarrer David Schnell durchgeführten Führung zu speziell ausgewählten Bildern dabei sein konnte, der hat wirklich einen großen Gewinn erzielt. Pfarrer Schnell vermittelte unserer Seminargruppe kenntnisreich und unterhaltsam spannende Beiträge zu Bildern, die er im Kontext von Traum, Schweigen und Stille interpretierte. Dazu nochmals meinen allerherzlichen Dank und die unbedingte Weiterempfehlung!

Mehr als ein kurzer Bericht darüber, was den Zauber einer solchen Führung ausmacht, kann natürlich hier schwerlich geleistet werden. Aber eine kleine Vorstellung von den gezeigten Bildern möchte ich den UniWehrsEL-Lesern doch gerne geben. Und klar kommen da auch meine eigenen Assoziationen mit ins Spiel …

Schläft sie oder sind dies Bilder, die an einen Menschen erinnern, der die ewige Ruhe gefunden hat? So könnte man das erste gezeigte Bild frei nach Pfarrer Schnell interpretieren. Wir sind in der aktuellen Ausstellung „Victor Man. Die Linien des Lebens (wir berichtetet hier bereits darüber). Das Bild einer hingestreckten Nackten erinnert an Füsslis „Nachtmahr“, auch dann, wenn kein Mahr auf ihrer Brust hockt und kein Pferd die ganze Szene lüstern beobachtet – on y soit qui mal y pense.

Zwischen den Bildern und der Person zu Füssli und Man ranken sich etliche Geschichten. Der Eine macht sich völlig rar, ist rätselhaft und taucht doch zuweilen unverhofft in seinen eigenen Ausstellungen auf, so erfahren wir von Pfarrer Schnell. Der andere, so kann man nachlesen, „fluche unverständlich mit Schweizer Akzent und verderbe die Moral mit seinem ominösen Okkultismus. Vor dem Schlafengehen äße er blutiges Schweinefleisch und oft konsumiere er Opium, um seine düsteren Visionen heraufzubeschwören.“ (Städel Stories, Schwerdtfeger 2012)

Könnte das Bild der schönen Nackten tatsächlich eine Zweideutigkeit sein? Zwischen Schlaf und Tod besteht durchaus ein Zusammenhang: Der Schlaf wird auch „des Todes kleiner Bruder“ genannt, denn wie sagt schon der Philosoph Murat Ates: „Wir kosten jedes Mal, wenn wir tief schlafen das, was eigentlich den Tod bedeutet. Nämlich die absolute Abwesenheit gegenüber der Welt“, sagt Philosoph Murat Ates. Ob daraus nun ein Lust- oder Alptraum wird, das liegt im Auge des Betrachters.

Viktor Man´s Bilder hängen zwischen den alten Meistern und enthalten oft im Bildtitel kleine Anspielungen auf diese. Es erscheint irgendwie ganz logisch, sich auch den alten Meistern zuzuwenden. Albrecht Dürer ist es, auf den nun geführt unsere Betrachtung fällt. Der Gegensatz könnte kaum größer sein. Da ist Einer doch recht verzweifelt und mit Unglück geschlagen, ob seines Glaubens auf die Probe gestellt. Er erträgt schweigend alles, was Gott sich für ihn ausgedacht hat.

Ein Bild, das an die Thematik des Theodizee anknüpft, erläutert Schnell. Übersetzt bedeutet dies „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“. Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) stellte die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen in der Welt. Und wieviel mehr Böses kann man sich denken, wenn „Hiob auf dem Misthaufen“ (1505) nach brennendem Haus und dem Tod der Kinder immer noch nicht zweifeln darf und schweigt, statt anzuklagen. Frau und Freunde versuchen den armen Hiob aufzumuntern, seine Gattin verabreicht ihm einen Wasserguss. Wieviel Leid kann ein Mensch eigentlich ertragen, ohne aufzubegehren?

Otto Scholderer (1861) hat mit einem „Fensterbild“ das Innenleben und die Sehnsucht nach draußen auf seinem Gemälde dargestellt. Auch hier lässt sich an einen Traum denken, denn „Der Geiger am Fenster“ blickt so sehnsuchtsvoll in die Ferne, dass man sich gut vorstellen könnte, er hinge einem Traum nach. Wie konnte man schon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ 2006 nachlesen:

„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was der Mann am Fenster mit der Geige leidet. Zwar ist das Zeitalter der Romantik in der bildenden Kunst eigentlich schon vorüber, als Otto Scholderer ihn malt. Aber in diesem Bild klingen viele Töne nach, die in der romantischen Malerei, aber auch in der Literatur angeschlagen und harmonisch vereinigt wurden. Hier wird in Szene gesetzt, was genau genommen mit den Mitteln des Realismus gar nicht darstellbar ist. Die Innerlichkeit. Der Tagtraum. Wie die Saiten des Instruments sind die des Gemüts gestimmt, gespannt, darauf vorbereitet, daß der Violinist, daß der Geist auf ihnen spielt.“

Der mir weniger bekannte Maler Fernand Knopff (1883), Pfarrer Schnells nächstes ausgesuchtes Museumsbild, bevorzugt offensichtlich enigmatische Allegorien, melancholische Landschaften und führt sie in Öl aus. Auch Buchillustrationen, Skulpturen sowie Bühnenbilder und Kostüme für das Brüsseler Théâtre royale de la Monnaie soll er geschaffen haben. Seine im Frankfurter Städel gezeigte Landschaft im Bild „Der Jagdaufseher“ (1883) ist menschenleer und wirkt leblos, schweigsam, seltsam steif, steht die Figur des Jagdaufsehers im Bildzentrum.   

Schattenlos auf einer Wiese stehend erscheint die äußere Darstellung des Mannes auf den Betrachter fast unwirklich. Fragt man sich doch, ob dieses Bild nicht ganz auf die gemalte Figur verzichten könne. Und doch wirkt er bedrohlich, ob seiner über die Schulter gehängten Flinte. Abwartend – die Zeit scheint still zu stehen.

Last but not least gelangen wir zu unserer letzten Station „Zirkuswagen“ von Max Beckmann.  Die Stadt Frankfurt hat im Jahr 1951 mit dem Zirkuswagen (1940) den ersten Ankauf eines Beckmann Gemäldes in der Nachkriegszeit realisiert und das Städel Museum verfügt heute über eine der größten Beckmann-Bestände weltweit. So gibt es einen eigens eingerichteten  Beckmann-Raum im Sammlungsbereich Moderne.

Wir erfahren: Beckmann war traumatisiert von seinen Erlebnissen als Sanitätshelfer im Ersten Weltkrieg und landete in Frankfurt. Dort übertrug ihm 1925 die Stadt die Leitung einer Meisterklasse an der Kunstgewerbeschule. Es entstanden zahlreiche Frankfurt-Ansichten, Selbstbildnisse und Porträts von Freunden und Bekannten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde er aus seiner Lehrtätigkeit entlassen und musste Frankfurt verlassen. 1937 floh Beckmann, als „entartet“ diffamiert, nach Amsterdam. 1950 starb er in New York.

Zirkus und Bühne als Symbole der menschlichen Existenz werden von Beckmann wie ein großes „Theater“ des Lebens inszeniert. Über die Werkbeschreibung lässt uns Pfarrer Schnell wissen, dass neben Schauspielern, Gauklern und Artisten Beckmann wiederholt auch selbst auf seinen Bildern erscheine. Der Zeitung lesende Zirkusdirektor sei er selbst. Vor ihm liege seine Frau Mathilde als Wahrsagerin auf einem Sofa. Das Gemälde spiegele wortlos die bedrückenden Verhältnisse des Amsterdamer Exils wider.

Gerne würde ich etwas zu Ihren Erfahrungen und weiterführenden Gedanken zu dieser wunderbaren Ausstellungsführung wissen. Schreiben Sie mir bitte unter Kontakt.