Im Moment bietet das Städel in Frankfurt eine Ausstellung, die sehr beeindruckt. Es geht um den geheimnisvollen Viktor Man, dessen Bilder Rekordpreise erzielen. Der Künstler gibt keine Interviews, sein Portrait erscheint nur von ihm selbst portraitiert und das ist wohl das ganz besondere an ihm, ohne jeglichen Vermarktungsrummel erzielen seine Bilder Höchstpreise. Spätestens mit der Auszeichnung des visionären „Artist of the Year-Preis`“ der Deutschen Bank 2014 ist er von der internationalen Landkarte der Malerei nicht mehr wegzudenken. So kann man es beim Städel nachlesen.
Der Untertitel der Ausstellung „Die Linien des Lebens“ verrate Mans Nähe zur Literatur und Poesie. Es drehe sich um ein Zitat aus Friedrich Hölderlins Gedicht An Zimmern aus dem Jahr 1812 das quasi als „Resonanzkörper“ der Ausstellung fungiere.
Die Linien des Lebens sind Verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was Hir wir sind, kan dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
Wir flanieren im Frankfurter Städel. Die Bilder des rumänischen Künstlers Victor Man (*1974, Cluj) muten auf den ersten Blick melancholisch an. Zwischen den alten Meistern lugt ein Selbstportrait hervor. Offensichtlich sind wir hier richtig. Weitere Bilder hängen in separaten Räumen, erinnern auf den ersten Blick an die Vorrenaissance, begeistern durch den Symbolismus, der sich erst auf den zweiten Blick dem Kenner erschließt.
Beeindruckend sind die Farben seiner Bilder. Mit ihrem Dunkelgrün, Blau und Schwarz entfalten sie eine rätselhafte Wirkung auf uns, der wir uns schwer entziehen können. Ein bereitgelegtes Buch hilft mehr über Künstler und Werk zu erfahren:
Wir lesen: Seine vorrangig kleinformatige und der Zeit scheinbar entrückten Gemälde zeichnen sein Schaffen aus. Auf die rund 20 Werke von 13 internationalen Leihgebern ist das Frankfurter Städel sehr stolz und präsentiert zweiteilig angelegt einen künstlerischen Schwerpunkt Mans; im ersten Teil die Portraits. „Tranceartig schauen sie aus meist dunklen, schemenhaft Szenerien am Betrachter vorbei. Die sanfte und doch überwältigende Dunkelheit erweckt Assoziationen an jahrhundertealte nachgedunkelte Ölbilder, die sich aufgrund der Spuren der Zeit den Blicken des Betrachters entziehen …
„The Chandler“, das ist die in eine lange Traditionslinie eingebundene Gattung des Portraits. Sie dekonstruiere, eröffne die Möglichkeit für eine neue Lesart, lese ich. So verweise der Titel „The Chandler“ auf das mittelalterliche Berufsbild des „Chandler“ (dt. Kerzenmacher), der für die Instandhaltung von Kerzen in wohlhabenden Häusern verantwortlich war. „Dazu gehörte das Abschneiden der Dochte, um die vermehrte Bildung von Ruß zu vermeiden. Es ist eine subtile Anspielung Mans auf die Begrenzung des Bildfeldes unterhalb des Kopfes, die zu einer malerischen ‚Enthauptung‘ der Dargestellten führt.“
The Chandler, das sind acht Bilder, die alle ein bestimmtes Motiv enthalten. Dort sitzt eine Figur auf einem Holzstuhl vor einem kahlen Hintergrund. Der Bildrand lässt den Kopf der Figur nicht erkennen. Das Bild ist um ein wiedererkennbares Abbild eines Menschen beraubt. Damit legt Man den Fokus wie in der abstrakten Malerei mehr auf die Form, als auf die dargestellte Person.
Ein Kopf liegt auf dem Schoß der jeweils sitzenden Gestalt. Ihr Kopf oder der einer anderen Person? An der Kleidung erkennt man, dass es sich um eine Frau handelt. Besonders beeindruckend für mich, eine Frau mit blauen Strümpfen, klar die Assoziation zu „Blaustrumpf“ oder auch „alter Jungfer“. Der Kopf im Schoß hingegen scheint androgyn und enthält keine Hinweise auf sein Geschlecht.
Rund um diese Serie spanne sich ein Netz an literarischen, historischen wie kunsthistorischen Bezügen. Für mich schwer erkennbar, aber beim Nachlesen doch zu dechiffrieren: Motive wie die der Enthauptung in der christlichen Bildtradition, über Mythologische Fabelwesen bis hin zu Kunst- und Literaturszenen liegen darin verborgen.
Im Titel der jeweiligen Bilder ergibt sich ein Hinweis zu den Bezügen wie beispielsweise „The Chandler with Gaugin`s Evil Spirit 2014“.
Gauguin, so erklärt das MOMA, wie ich später recherchiere, verwandelte In der Tahitian Woman with Evil Spirit zum Beispiel eine detaillierte Bleistiftzeichnung auf der einen Seite des Papiers in einen seltsam atmosphärischen Druck (oder Transferzeichnung) auf der anderen. Bei Bildern in den 1890er Jahren als er in Tahiti lebte, kombinierte er ein Motiv aus einem früheren Werk (eine gehörnte männliche Skulptur) mit einem Detail aus einem Foto eines “exotischen” Ortes, das den Europäern dieser Ära nicht vertraut ist (in diesem Fall eine Postkarte mit einem spitzhaarigen Tonga). Durch die Manipulation solcher Bilder verdrängte Gauguin die Realität des zeitgenössischen Tahiti, dessen Kultur von Jahrzehnten der französischen Kolonialherrschaft geschändet worden war, mit einer Vision, die auf die ursprüngliche Welt hindeutet, die er dort sehnte.
Der Titel „with Gaugin´s Evil Spirit“, so erklärt das Städel-Museum, versteht sich als eine Anspielung auf die Grimasse des gehörntes Kopfes, der uns aus dem Spiegel hinter der Figur entgegenblickt. Gleich in mehreren Bildern Gaugins tritt ein solcher Kopf als teuflischer Geist hinter einer Frau hervor. Bei der Betrachtung blicken wir in den Spiegel und verwandeln uns dabei selbst in diese nebulöse Figur.
Es sind dann doch die Suchspiele, die uns dazu einladen, die Bilder in einer zweiten Runde nochmals im Detail anzuschauen und weiter zu recherchieren, was darüber zu lesen sein wird. Es gilt vielleicht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, die Details zu entdecken, ihnen über die nachgelesenen Angaben hinaus einen Sinn zu verleihen.