You are currently viewing Das Monster überwinden – Dracula in Frankfurt

Unter der Fragestellung: „Was kann uns Dracula, das Wesen, welches die Zeiten überdauert, über Zeugenschaft menschlicher Grausamkeit erzählen?“ inszeniert Johanna Wehner gerade die Geschichte „Dracula“ für das Schauspiel Frankfurt. Grund genug, nach seiner Faszination zu fragen und sich einmal Gedanken zum Handlungsschema zu machen.

Ob es nun „Der weiße Hai“, oder „Dracula“ ist, ihre Gemeinsamkeit liegt im tyrannisieren der vertrauten Welt. Klar braucht es dann einen Gegenspieler, den Helden, der die Aufgabe hat, den gewohnten Frieden wieder herzustellen. Es geht leider nicht anders: Dazu muss das „Monster“ getötet werden.

Folgt man der Idee des britischen Journalisten Christopher Booker, dann liegt allen Erzählungen ein bestimmtes Muster zugrunde. Booker nutzt die Archetypenlehre C. G. Jungs und die Erkenntnisse des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campell und seiner Heldenreise. Diese immer wieder kehrende Struktur entdeckte Campell bereits in den 1940er Jahren.

In ihrer Reinform hat diese Heldenreise 12 Stationen, für Filme allerdings nutzen die meisten Drehbuchschreiber diese Stationen nur als Anregung. Auch die handelnden Personen sind eher schablonenhafte Figuren. Neben der Figur des Helden und seinen Verbündeten gibt es meistens einen weisen Mentor und einen fiesen Gegenspieler, den „Schatten“.  

Dracula verkörpert den Archetypen des lüsternen Bösen, die Personifizierung von Tod und Eros. Er ist sozusagen „Der Inbegriff des Vampirs“ wie es der Deutschlandfunk 2012 beschreit. „Dieser Vampir, der unter uns weilt, ist für sich so stark wie zwanzig Männer. Er besitzt mehr als sterbliche Schläue, denn seine Schläue ist in Jahrhunderten gewachsen.“

Um die Vampire reihen sich Legenden von Vlad, dem Pfähler, einem walachischen Prinzen des fünfzehnten Jahrhunderts, der seine Feinde auf Holzpfählen aufzuspießen pflegte über „Nosferatu“, der durch den Film von Friedrich Murnau bekannt wurde,  bis zu  „Dracula“ von Bram Stoker. Dieser Untote, der sich vom Blut der Lebenden ernähren muss und sie durch seinen Biss in den Hals zu Wesen der Schattenwelt werden lässt.

Der Held, der gegen den Fürst der Finsternis antritt, ist bei Bram Stoker der Arzt Van Helsing. Er folgt dem klassischen Muster der Heldenreise, der auf eine Abenteuerfahrt geht. Er verlässt sein gewohntes Umfeld, besteht Prüfungen und stellt sich schließlich seinem größten Gegner.

Van Helsing weiß nicht nur um das Wesen des Vampirs, die Gebissenen werden wieder zu Vampiren, sondern auch wie gegen den für übliche Vernichtungsmittel resistenten Vampir gekämpft wird. Im Showdown schließlich wird Dracula enthauptet und zerfällt zu Staub.

Unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL ist Dracula-Kenner und hat sich Dracula im Schauspiel Frankfurt angesehen und kommentiert. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Meine erste Begegnung mit Graf Dracula war in einer satirischen britischen Zeichentrickserie mit dem Titel Duckula. Aus Versehen benutzt die Dienerin des Grafen bei der Wiederbelebung des Vampirs Ketchup, weil das Blut gerade aus war. Das hat verheerende Folgen für die Dienerschaft. Es entsteht der erste „vegetarische“ Vampir.

 Die Originalgeschichte von Bram Stocker habe ich als erstes in dem überlangen Film aus 1992 von Francis Ford Coppola gesehen. Sie ist aber mächtig süßlich und zeigt Verständnis für Dracula. In der Hautrolle des Dracula glänzt Gary Oldmann und Mina wird gespielt von Winona Ryder. Die episch-lange Erzählung von Graf Dracula von Francis Ford Coppola rief den Komiker Mel Brocks auf den Plan. Mel Brocks parodierte in 1995 den Ford Coppola Film mit Leslie Nielsen als Graf Dracula in der Titelrolle. Mel Brooks spielte den Vampirjäger Dr. van Helsing.

 Den Stummfilm Nosferatu von 1922 habe ich mal am Staatstheater Darmstadt bei einer Filmnacht live angesehen. Spannender als den Film von 1922 fand ich allerdings die Neuverfilmung von Nosferatu in der Rolle des Grafen schlüpfte damals Klaus Kinski. Natürlich kenne ich auch die Dracula Verfilmung von 1958 mit Christopher Lee als Graf Dracula. Dies war der Auftakt für wohl zehn weitere Vampirfilme in denen der Schauspieler als Dracula auftauchte. Regie führte bei diesen Filmen Francisco Salamanca.

In 1994 kam dann der Horrorfilm Interview mit einem Vampir heraus von der Schriftstellerin Anne Rice. Als Vampire glänzen Tom Cruise und Brad Pitt. Erst im Jahr 2002 wurde der Nachfolgeroman von Anne Rice Königin der Verdammten verfilmt. Im Gegensatz zu Interview mit einem Vampir ist dieser Film ein schlecht gedrehter B-Movie.

In 2004 wurde die Geschichte von Graf Dracula aus Sicht des Vampirjägers Van Helsing neu erzählt. Ab 2008 kam dann die Twilight Reihe in die Kinos, in der es um die komplizierte Liebesbeziehung zwischen dem Vampir Edward und der Sterblichen Bella ging. Nach dieser Reihe kam dann der Film Dracula Untold in 2014 heraus, der versucht zu beleuchten wie aus dem Fürsten Vlad der Graf Dracula wurde.

 In 2020 schaffte es Dracula auch zum Streamingdienst Netflix. In einer dreiteiligen Mini-Serie werden dem Zuschauer die Verbrechen des Graf Dracula neu erzählt. Neben Graf Dracula bekam auch der Vampirjäger Van Helsing seine eigene Netflix-Serie mit immerhin 4 Staffeln.

 Dieses Jahr 2023 kam in die Kinos der ironische Dracula-Film „Renfield“.  Renfield ist der Assistent von Graf Dracula. In dieser Verfilmung hat Renfield die Arbeit für Dracula satt und probt die Emanzipation vom Grafen. In die Rolle des fiesen Arbeitgebers Dracula schlüpft der Schauspieler Nicolas Cage.

Morgen schaue ich mir Dracula im Schauspiel Frankfurt an, ich bin gespannt!

Liebes UniWehrsEL,

Stelle dir vor du schaust ein Theaterstück, dass den Titel Dracula trägt und Dracula wäre nur eine Nebenfigur. Würde dich das verblüffen? Bei dem Stichwort Dracula setzt beim geneigten Zuschauer eine bestimmte Erwartung ein. Ein mehr oder weniger gu tausehender Mann mit irrem Blick, mit einem schwarzen Cape gekleidet, verbeißt sich in die Hälse vorzugsweise junger Mädchen. Dabei fließt Blut. Diese gebissenen Mädchen verändern darauf ihre Persönlichkeit und werden von vorzugsweise schüchternen Frauen zu wilden sexuell-verführerischen Partymäusen, welche die Herren des Victorianischen Zeitalters mächtig mit ihrer (sexuellen) Freizügigkeit schocken.

Wer dieses Bild von Dracula im Kopf hat, wird mächtig enttäuscht sein von der Frankfurter Dracula Aufführung. Es fließt kein Blut, Gebissen wird auch nicht. Die Story von Dracula wird im Gehen, mehr oder weniger gepflegt, erzählt. Die Inszenierung ist ein wenig wie ein Hörbuch über Dracula nur mit Bild.

Insgesamt sieben Schauspieler erzählen in ständiger Bewegung die Originalstory von Bram Stoker nach. Die Schauspieler befinden sich in einem verfallenen Haus, welches irgendwann mal ein schönes Heim für jemanden war, nun aber nur noch eine Ruine ist. Seit Jahren wurde in dieses Haus nichts investiert. Daher ist es sehr marode und verfallen. Im Mittelpunkt der Story steht Jonathan Harker, ein junger Mann, der gerade seine Anwaltszulassung bestanden hat und nun für einen reichen Mann, den Grafen Dracula, in London und Umgebung alte Grundstücke erwerben soll. Für diese Transaktion reist er mit der Bahn – damals gab es noch keinen GDL-Streik und Baustellen – nach Transsilvanien. Seine Eindrücke hält er in einem Tagebuch fest. Aus heutiger Sicht tut Jonathan Harker dies mit den Blick eines Kolonialisten des 19. Jahrhunderts. Für diesen Typ Mensch ist alles außerhalb von England, genauer gesagt von London, wilde Barbarei.

Während in England die Zivilisation wohnt, lebt in Transsilvanien das Mittelalter. Die Menschen sind rückschrittlich, voll Aberglauben und nicht rational. So rät die Bevölkerung Jonathan ab, den Grafen aufzusuchen. Der Graf spricht bei der ersten Begegnung mit Jonathan fast besser English, als er selbst. Dennoch fühlt er sich unsicher, und bittet den gebürtigen Englänger, seine Sprachkenntnisse zu perfektionieren. Dabei hat der Graf im jahrelangen Selbststudium diese bereits perfektioniert.

Als Zuschauer stellt man sich die Frage, warum das Schauspiel Frankfurt Dracula auf den Spielplan bringt? Eine mögliche Erklärung dafür findet sich im Programmheft. Der Text von Bram Stocker zeigt die Angst des Westens vor dem Osten auf. So kann sich der Graf noch so sehr darum bemühen, aufzutreten wie ein alter englischer Adliger – er bleibt doch ein Außenseiter und Fremder.

Der Graf Dracula verkörpert in der Vorstellungswelt der Engländer um Jonathan Harker, seine Verlobte Mina, deren Freundin Lucy und in der wissenschaftlich-forschenden Vorstellungswelt von Abraham van Helsing und des Leiters der Nervenheilanstalt John Seward, einen “parasitären” Einwanderer von dem sich das gehobene britische Bürgertum abheben und sogar schützen muss, weil der Graf sonst Verderben, z.B. fremdländische Sitten und Barbarei ins schöne, geordnete England bringt. In dieser Deutung der Regie von Johanna Werner gibt es keine Bedrohung durch den Grafen, sondern nur Vorteile, die in den Köpfen der britischen Adligen über den Fremden stecken. Daher lässt die Regie alle Grusel- und übersinnlichen Momente weg, sondern zeigt, wie sich die Gruppe durch die vermeintliche Expertise von Dr. van Helsing selbst radikalisiert und am Ende den vermeintlichen bösen Fremden für alle zwischenmenschlichen Probleme der Gruppe verantwortlich macht.

Am Ende dieser Deutung steht nicht die Vernichtung von Dracula, sondern das Unter-den- Teppich-kehren der eigenen Probleme. Wenn die Gruppe nicht mehr weiter weiß, wird gesungen: Das Lied „Froh zu sein bedarf es wenig“.

Interessant im Zusammenspiel mit dem Fremden Dracula ist auch der Umgang mit dem vermeintlich verrücken R.M. Renfield. Einem Insassen der Nevenheilanstalt, welche von John Seward geleitet wird. Er behandelt Renflield ähnlich herabfällig wie der Doktor das Versuchskaninchen Wozzeck behandelt. Also mit größtmöglicher Distanz zwischen sich und dem vermeintlich verrücken Subjekt.

Statt eines Vampirs wird der Zuschauer also mit seinen eigenen Vorurteilen gegenüber Fremden konfrontiert. Ob dies so die Erwartungen der Zuschauer erfüllt. Neben mir saßen Jugendliche und diese konnten aufgrund der doch starren Bühnenregie nicht den ein oder anderen Blick aufs Smartphone bzw. die Uhrzeit unterlassen. Sprich so ein Abend kann sich ganz schön hinziehen.

Danke für den attraktiven Dracula auf Pixabay an Julia Zimmel!

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:25. November 2023
  • Lesedauer:11 min Lesezeit