Teil IX Schreibwerkstatt „Tatort Frankfurt – Welche Rolle spielt die Magie der Musik?“ Kommissar Ritters innerer Monolog
Im Teil VIII unserer Schreibwerkstatt traf die Klatschreporterin Paula Pechstein im Struwwelpetermuseum auf Kommissar Ritter, um ihm Misstrauen gegenüber seinem Mitstreiter im Opernmordfall einzuflüstern : „… Die Stadt ist ein großes Theater, Herr Kommissar. Und Sie, Sie sind der Hauptdarsteller. Aber ich sehe da einen Nebencharakter, der mehr sein könnte – Ivo Burn. Ein Opern‑Fan, der zu viel weiß? Vielleicht ein Bösewicht wie Jago, der im Schatten wartet.“ In Ritter erwachen Zweifel, vielleicht sollte er I. Burn näher unter die Lupe nehmen?
Eingefügte Szene K. B.: Innerer Monolog Kommissar Ritter – Verlassen des Struwwelpeter‑Museums
Ich schließe die schwere Glastür hinter mir, das leise Quietschen klingt wie ein letztes Wort in einem unvollendeten Satz.: „„Ich werde prüfen, was ich kann. Aber ich warne Sie, Frau Pechstein – die Wahrheit ist nicht immer das, was die Presse will … „Das Museum hat mich mehr erschüttert, als ich erwartet hatte – nicht nur wegen Paula Pechsteins Fragen, sondern wegen der düsteren Atmosphäre, die von Heinrich Hoffmanns „Erziehungs“‑ bzw. „Lehrmethoden“ ausgeht.
Heinrich Hoffmann – ein Arzt, der Kinder mit Strafen und Schockbildern erziehen wollte – Das Buch, das ich als Jugendlicher aus der Stadtbibliothek ausgeliehen hatte, war ein grausamer Spiegel der damaligen Pädagogik. Die Geschichten, in denen Kinder für ihr Fehlverhalten mit grotesken Konsequenzen bestraft werden, wirken heute noch verstörend. Besonders der Titel‑„Struwwelpeter“ mit seinen extra langen Fingernägeln, die wie Klauen aus den Seiten hervorschnellen, bleibt in meinem Gedächtnis haften.
Ich erinnere mich, wie ich damals das Buch aus Neugier geöffnet habe, die Bilder sah und das leise Kichern der Erwachsenen hörte, die dachten, das sei nur ein harmloses Kinderbuch. In Wahrheit war es ein Werkzeug, um Angst zu schüren – ein Ansatz, den ich heute als völlig unvereinbar mit einer gesunden Erziehung empfinde.
Doch ein Gedanke zieht mich zurück in die Gegenwart:The Tiger Lilies – meine Lieblingsband aus England. Während ich durch die Hallen ging, hörte ich im Hinterkopf die schrillen Gitarrenriffs und den schrägen Humor der Band. Sie hatten ein Musical mit dem Titel „Shockheaded Peter“ produziert – eine moderne, musikalische Neuinterpretation von Hoffmanns düsteren Geschichten.
Ich musste ans Staatstheater Wiesbaden fahren, um die Aufführung zu sehen. Die Bühne war ein Kaleidoskop aus Licht, Schatten und verzerrten Puppen, die die Schrecken des Struwwelpeter in ein pulsierendes Klanggewand hüllten. Die Musik war laut, provokativ und gleichzeitig tief berührend – sie brachte das Grauen zum Tanzen.
Der Klang der Tiger Lilies hat mich damals völlig aus den Socken gehauen. – Ich erinnere mich, wie ich nach der Show noch lange im Foyer stand, das Adrenalin noch in den Adern, und mir dachte, dass ich vielleicht doch ein wenig mehr Kunst in mein sonst so nüchternes Leben lassen könnte.
Jetzt, beim Verlassen des Museums, frage ich mich, warum ich überhaupt hier war. Richtig, dieser verflixte Fehlalarm im Museum. Ohne die Erinnerung an die Tiger Lilies hätte ich das Museum als unangenehm empfunden – die düsteren Bilder hätten mich nur noch mehr verunsichert.
Der kalte Hallenwind schleicht durch die Tür, während ich die schweren Stufen hinabsteige. Paula Pechstein hat mich mit ihren Fragen wie ein Sturm durch das Museum gerüttelt. Ihre Stimme hallt noch in meinem Kopf, ein schriller Ton, der nicht zu überhören ist.
Kann ich Ivo Burn noch vertrauen? – Der Gedanke wirbelt wie ein lose sitzender Vorhang. Ivo, der Opernkenner, hat mir bisher mehr geholfen, als ich zugeben will. Doch jetzt, nach Paulas Aufdringlichkeit, fühlt sich jede seiner Bemerkungen wie ein möglicher Köder an.
Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Ivo traf – ein Gespräch über die Aida‑Melodie, die ich nur aus dem Sportstadion kannte. Er erklärte mir die Szene, ich summte die Triumpfmelodie nach, und er nickte, als hätte er einen Verbündeten gefunden. Jetzt frage ich mich, ob er das nur spielte, um mich zu manipulieren.
Paula will die Story, ich will die Wahrheit. – Ihre Fragen nach den Morden, nach den Opfern, nach den Motiven dringen tiefer, als sie es vielleicht beabsichtigt. Sie ist nicht nur Reporterin, sie ist ein Messer, das im Licht der Scheinwerfer glänzt.
Der Klang meiner eigenen Schritte hallt in der leeren Halle. Ich spüre das Gewicht der Verantwortung, das mich seit dem ersten Mord in Frankfurt begleitet. Jeder Hinweis, jede Begegnung könnte ein falscher Pfad sein.
Ich muss Klarheit finden, bevor ich weiter in das Netz aus Lügen und Halbwahrheiten trete. – Das führt mich zum Nebbienschen Gartenhaus, wo heute der Frankfurter Künstlerclub tagt, meinem Rückzugsort, wo ich die Gedanken ordnen kann.
Innerer Monolog – Auf dem Weg zum Nebbienschen Gartenhaus
Der Weg durch die Bockenheimer Anlage ist von herbstlichen Blättern bedeckt, das Rascheln unter meinen Schuhen klingt wie ein leises Flüstern. Jeder Schritt führt mich tiefer in die Stille, die ich nach dem Lärm des Museums so dringend brauche.
Der Renaissance‑Brunnen, den ich vom Gartenhaus aus sehe, ist ein Symbol für Beständigkeit. – Wasser, das vielen Jahren über die Skulpturen fließt, während Menschen kommen und gehen, Geheimnisse teilen und vergessen.
Ich denke zurück an das eine Mal, das ich im Schauspielhaus Frankfurt war. Die Band The Tiger Lilies spielte „The Story of Franz Biberkopf“ – ein schräger, britischer Humor, der mich völlig aus der Komfortzone gerissen hat. Ich hatte die CD im Wolkenfoyer gekauft, ein seltenes Andenken, das jetzt in meiner Schublade liegt, verstaubt, aber immer noch ein Beweis dafür, dass ich einmal etwas anderes war als der harte Kommissar. Franz Biberkopf – ein kleiner Krimineller in der Weimarer Republik. – Die Geschichte blieb mir haften, weil sie das Bild eines Mannes zeigte, der zwischen Recht und Unrecht schwankt – genau wie ich jetzt.
Ivo Burn, der gebildete Opernkenner, hat mir die Aida‑Melodie erklärt. Ich habe sie gesummt, ohne zu wissen, dass es die Triumpfsequenz aus Verdis Oper ist. Das war ein kleiner Lichtblick in meinem sonst so grauen Alltag. Er erzählte mir auch von der Inszenierung „Aida in der Puppenhölle“, wie er sie nannte. Auch Aida, die (Kriegs-)Gefangene der Ägypter. geriet in eine missliche Lage , weil sie in eine ihr unliebsame, Rolle gedrängt wurde. Ging es Burn vielleicht genauso? Die Regisseurin Lydia Steier hatte in der Oper Frankfurt den ägyptischen Palast in ein Puppenhaus verwandelt. Die Befreiung aus einem Puppenhaus bedeutet den Wunsch nach Gleichbehandlung . An wen hatte er gedacht bei dem Thema der Unfreiheit? – an eine Frau, an eine Rolle, an eine Musik, mit Bezug zu sich selbst?
Meine Gedanken schweifen zu weit ab … Das alles wegen dieser kleinen Paula Pechstein – was will sie wirklich, was weiß sie, hört sie wirklich? – Vielleicht ist ihr Lieblingssong etwas völlig Banales, wie ein Britney‑Spears‑Hit, der im Radio läuft, während sie ihre Fragen stellt. Das würde erklären, warum sie so hartnäckig ist – sie sucht das Rampenlicht, das gleiche, das ein Popstar sucht. Warum klagt sie Burn an, denkt sie dabei an vergangene Zeiten, etwa an den Schwanengesang einer Anna R., die auch viel zu früh sterben musste? Gibt es da vielleicht einen Hinweis auf den noch nicht aufgeklärt Mord der verkleideten Carmen? (Schreibwerkstatt IV)
Der Weg führt mich schließlich zum Gartenhaus. Ich sehe die Parkbank, die ich immer wieder wähle, um nachzudenken. Der Brunnen vor mir glitzert im schwachen Licht, das durch die Bäume fällt. Ich setze mich, atme tief ein und lasse die Gedanken schweifen.
Ich muss entscheiden, wem ich vertraue – Ivo, Paula oder meinem eigenen Instinkt. – Der Klang des Wassers erinnert mich daran, dass selbst das stetige Fließen nicht immer klar ist; es trägt Schmutz, aber auch Reinheit.
Velleicht ist das hier der Moment, an dem ich die Wahrheit finde – nicht in den Notizen eines Reporters, nicht in den Melodien einer Oper, sondern in dem leisen Plätschern des Brunnens, das mir sagt, dass jede Geschichte, so verworren sie auch sein mag, irgendwann ihren Lauf findet.
Danke für den besinnlichen Beitrag und Bilder von Pixabay
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