Du betrachtest gerade Todessehnsucht als zentrales Motiv – nicht nur bei Klaus Mann oder Thomas Mann

Es war schon ein besonderes Erlebnis, in unserer letzten Seminarstunde den wunderbaren Beitrag von Heiner Schwens, der uns schon öfters im UniWehrsEL spannende Beiträge lieferte, nachzuerleben. Er spannte für uns den weiten Bogen vom Tod aus Erlösung, bis zu Klaus Manns ‚Tod als Selbsterlösung‚, weiter zu Begegnungen zwischen Christopher Isherwoood und Klaus Mann. Und dazu dann noch der berühmte Ausspruch „Sterben, um sich zu gehören“ von Jean Améry, der in seinem Essay von 1976 die Annäherung an einen frei gewählten Tod illustriert; „frei, weil mit ultimativer Konsequenz und aus der Unfreiheit heraus handelnd“. Für einen Seminarteilnehmenden Grund genug, um die Todessehnsucht als zentrales Motiv nicht nur bei Klaus Mann oder seinem berühmten Vater näher zu betrachten.

Liebe UniWehrsEL Seminar-Talk Leser,

In Mozarts bewegender Arie „Zuletzt befreit mich doch der Tod“, gesungen von Konstanze in der Oper „Die Entführung aus dem Serail“, wird die Sehnsucht nach dem Tod als eine Art Erlösung und Befreiung thematisiert. Konstanze drückt in diesem Lied eine tiefe Verzweiflung und den Wunsch aus, dem Leiden und der Qual des Lebens zu entkommen. Diese literarische Darstellung der Todessehnsucht spiegelt nicht nur die individuelle Angst vor dem Sterben wider, sondern auch den Wunsch nach Frieden. Mozarts Tod in frühen Jahren gab auch jahrelang Anlass zu Spekulationen.

Ähnlich wie in Mozarts Werk findet sich die Todessehnsucht auch in den Romanen von Thomas Mann. Er thematisiert in seinen Werken die komplexen Beziehungen zwischen Leben und Tod und nutzt die Todessehnsucht als zentrales Motiv, um die menschliche Existenz und die Suche nach dem Lebenssinn zu erforschen. In seinen Romanen wird der Tod oft als unausweichliche Realität dargestellt, die den Titelhelden dazu zwingt, sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen.

In Manns Roman „Der Tod in Venedig“ (dazu auch Beitrag im UniWehrsEL zu Melancholie und Unendlichkeit) wird die Todessehnsucht durch die Figur des Gustav von Aschenbach verkörpert, der sich in eine obsessive Liebe zu einem jungen Jungen, Tadzio, verliebt. Die Thematik des Todes und der Sehnsucht nach Erlösung wird nicht nur in Manns Roman erzählt, sondern auch in Benjamin Brittens Oper „Death in Venice“ aufgegriffen, die auf Manns Novelle basiert (dazu auch im UniWehrsEL Dankeschön und nochmal Tod in Venedig). Britten interpretiert die Geschichte neu und verstärkt die emotionale Intensität der Charaktere, zudem die musikalische Sprache nutzt, um die innere Zerrissenheit und die Todessehnsucht Aschenbachs zu verdeutlichen. Die Oper bringt die Themen von Liebe, Verlust und der unausweichlichen Konfrontation mit dem Tod auf eine eindringliche Weise zum Ausdruck und zeigt, wie tief die menschliche Sehnsucht nach einem Sinn im Angesicht des Todes verwurzelt ist.

In Venedig angekommen, dauert es nicht lange, bis die eingängige Vibraphon-Melodie den jungen Tadzio einführt, dessen Anmut und jugendliche Schönheit den Schriftsteller sofort in den Bann ziehen. Die mythologischen Rationalisierungen des immer besessener werdenden Aschenbachs, der fortan in der ständigen Verfolgung des Jungen seinen Lebensinhalt sieht, kann nicht über den großen Altersunterschied hinwegtäuschen: ein 50-jähriger Künstler hat sich in einen 14-jährigen Jungen verliebt. Diese Liebe wird zum Symbol für die Sehnsucht nach dem Unvergänglichen, während Aschenbach gleichzeitig mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird. Der Tod wird hier nicht nur als Ende, sondern auch als eine Art Erlösung und Befreiung von den Fesseln des Lebens dargestellt (vgl. dazu auch Morphomata; Band 15, herausgegeben von günter Blamberger und Dietrich Boschung „Auf schwankendem Grund. Dekadenz und Tod im Venedig der Moderne“.

Ein ähnliches Motiv der Todessehnsucht und der Suche nach Erlösung findet sich in Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ (dazu auch unser Beitrag „Ich weiß nicht, warum ich so traurig bin„). Der fliegende Holländer, ist dazu verflucht, endlos über die Meere zu streifen, bis er die wahre Liebe findet, die ihn von seinem Fluch erlösen kann. Wie Aschenbach ist auch der Holländer in einem Zustand der inneren Zerrissenheit gefangen. Beide Figuren sind auf der Suche nach Erlösung, die sie aus ihrem unerträglichen Dasein befreien soll. Die Sehnsüchte des Holländers und des alterden Schriftstellers führen beide Figuren in eine tiefe Isolation.

Die Verbindung von Kunst und Tod

In Manns Roman „Der Zauberberg“ (dazu auch UniWehrsEL Leben und Lieben in Zeiten der Krankheit) wird die Todessehnsucht durch die sanatoriumsartige Umgebung des Berghotels verstärkt, wo die Charaktere in einem Zustand der Lethargie und des Wartens auf den Tod leben. Hans Castorp wird in eine Welt der Krankheit und des Todes hineingezogen, die ihn dazu bringt, über die Bedeutung seines Lebens zu reflektieren. Die ständige Präsenz des Todes im Sanatorium führt zu einem Nachdenken über die menschliche Existenz und die Rolle der Kunst als Flucht vor der Vergänglichkeit, aber auch zu der vor der Realität.

Beim Wort Warten kommt dem theateraffinen Leser sofort Samuel Becketts „Warten auf Godot“ von Samuel Becket in den Sinn. In diesem Stück wird das Warten selbst zum zentralen Motiv. Das Stück thematisiert die Absurdität des Lebens und die Ungewissheit über den eigenen Todeszeitpunkt. Wladimir und Estragon warten vergeblich auf Godot, der nie erscheint. Hans Castorp wartet auf seinen Tod. Dieser taucht ebenfalls nicht auf wie Godot. Castorp ist in einer Art Schwebezustand gefangen, in dem er zwischen der Welt der Gesunden und der Kranken hin- und herpendelt. Im Gegensatz dazu sind Wladimir und Estragon in „Warten auf Godot“ in einem noch radikaleren Zustand des Wartens gefangen. Sie warten vergeblich auf Godot, der nie erscheint, und verbringen ihre Zeit mit absurden Gesprächen. Während Castorp in den Gesprächen und Gedanken der Sanatoriumsinsassen nach Antworten sucht, sind Wladimir und Estragon in ihrer absurden Wartehaltung gefangen, welche die Unausweichlichkeit des Todes verdeutlicht. In „Der Zauberberg“ wird der Tod als ständige Präsenz im Sanatorium dargestellt, die Castorp dazu zwingt, sich mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. In „Warten auf Godot“ wird der Tod zwar nicht direkt thematisiert, ist jedoch als unausweichliches Ende präsent.

Philosophische Auseinandersetzung

Mann nutzt die Todessehnsucht nicht nur als literarisches Motiv, sondern auch als philosophisches Konzept. In seinen Essays und Romanen reflektiert er über die Dualität von Leben und Tod, die oft in einem Spannungsfeld zwischen Vitalität und Nihilismus dargestellt wird. Diese Auseinandersetzung zeigt sich besonders in „Doktor Faustus“ (Thomas Mann, 1947), wo die Figur des Adrian Leverkühn mit dem Pakt des Künstlers mit dem Teufel ringt. Hier wird der Tod als Preis für künstlerische Schöpfung und als unvermeidlicher Teil des Lebens betrachtet. Leverkühns Pakt mit dem Teufel ist eine zentrale Handlung in „Doktor Faustus“. Er opfert seine Seele im Austausch für außergewöhnliche Fähigkeiten auf dem Gebiet der Musik. Er hat nicht nur großen künstlerischen Ehrgeiz, sondern will mit seinen Meisterwerken die Unsterblichkeit erringen.

Im Vergleich dazu thematisiert Goethes „Faust“ ebenfalls den Pakt mit dem Teufel, jedoch mit einem anderen Fokus. Faust, ein Gelehrter, der mit seinem Wissen unzufrieden ist, schließt einen Pakt mit Mephistopheles, um die Grenzen des menschlichen Wissens und der Erfahrung zu überschreiten. Während Leverkühn seine Seele für künstlerische Inspiration opfert, sucht Faust nach einem tieferen Verständnis des Lebens.

Die Rolle der Gesellschaft

Mann thematisiert auch die gesellschaftlichen Aspekte der Todessehnsucht. In den

Buddenbrooks“ (Thomas Mann 1901) wird der Verfall einer wohlhabenden Familie dargestellt, die durch den Druck der gesellschaftlichen Erwartungen und den Verlust von Werten in den Abgrund führt. Der Urgroßvater Johann Buddenbrook repräsentiert ein noch unerschüttertes Lebensgefühl und baut sich aus ungebrochenem Lebenswillen heraus selbstsicher, tatkräftig und in klugem Unternehmergeist Besitz auf. Seinem Sohn, Konsul Johann Buddenbrook, gelten diese Prinzipien einer disziplinierten bürgerlichen Lebensführung unverändert, doch unbekümmerte Lebensbejahung ist einem pietistischen Arbeitsethos gewichen. Leider ist Johann Buddenbrock als Kaufmann – nach einem Verlust durch den betrügerischen Schwiegersohn – nicht erfolgreich. Dies bedeutet eine große Wende im Leben der Familie Buddenbrook.

In seinen Kindern deuten sich bereits verschiedene Formen des gesellschaftlichen Abstiegs der Familie an: Thomas Buddenbrook ist ein „moderner Charakter“ im Sinne einer „nervösen“ Persöhnlichkeit. Schon als Kind hat er neurotische Züge. Christian Buddenbrook führt das Leben eines Künstlers und macht sich selbst dabei zum „Clown“. Mann beschreibt seine Figur als exzentrischen, verschuldeten Lebemann. Die naive Schwester Tony stellt Thomas Mann dar, als Figur mit kindlicher Unreife und dass, obwohl sie zwei gescheiterte Ehen hinter sich bringt und dadurch ihre Persönlichkeit verändern könnte. Die Figur des Hanno Buddenbrook, des einzigen potentiellen Nachfolgers der Dynasie, verkörpert diese Todessehnsucht besonders eindringlich. Hannos Krankheit und sein Tod stehen im Kontrast zu den gesellschaftlichen Ambitionen der Buddenbrooks und verdeutlichen die Kluft zwischen äußerem Erfolg und innerem Unglück.

Herzlichen Dank für den reflektierenden Beitrag und die inspirierenden Bilder auf Pixabay. Ein Kommenatr wäre schön!