Du betrachtest gerade „La Juive“, Ketzer, Juden und Exzesse

Im Feuilleton Frankfurt wurde  „La Juive“ Oper von Fromental Halévy in Frankfurt, die Geschichte von Judenhass, während des Kirchenkonzils in Konstanz, als von bedrückender Aktualität bezeichnet. Bereits bei ihrer Uraufführung in Paris 1835 sei die Reaktion sehr gespalten gewesen. In der Oper Frankfurt im Juni 2024 sei die Inszenierung gar lautstark ausgebuht worden. Lag es an der herrschenden aktuellen Situation, die Tatjana Gürbaca durch ihre Neuinszenierung wieder in den Fokus rückt? Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL hat die Oper besucht und für uns kommentiert. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

eine der ungewöhnlichsten Opern der abgelaufenen Spielzeit war „La Juive“, zu Deutsch die Jüdin, von Jacques François Fromental Élie Halévy, eine Oper in fünf Akten, in französischer Sprache.

Zum Inhalt: Die Oper spielt in Konstanz. Die christliche Bevölkerung  freut sich auf die Eröffnung des Kirchenkonzils. Fürst Leopold ist als oberster Feldherr der Christen gerade siegreich aus dem Kampf gegen die Hussiten zurückgekehrt. Andersdenkende sind zu diesem Festtag unerwünscht. Der Bürgermeister Ruggiero eröffnet eine „Hetzjagd“ gegen den jüdischen Goldschmied Eléazar und dessen Tochter Rachel. Der Kardinal Brogni greift ein und beruhigt die Situation. Eléazar ist wütend auf den Kardinal, weil dieser einst in Rom seine zwei Söhne hinrichten ließ. Der Kardinal bittet Eléazar um Vergebung. Eléazar nimmt diese nicht an.

Leopold hat sich gegenüber Rachel als ein jüdischer Student ausgeben. Die beiden führen heimlich eine Liebesbeziehung. Rachel lädt Leopold ein, zusammen mit ihrem Vater das Pessach-Mahl zu feiern. Ruggiero heizt die Stimmung weiter an und bringt die Stadtbevölkerung dazu, Rachel und Eléazar zu bedrohen, sie im See zu ertränken. Leopold kann die wütende Menge besänftigen. Nun feiern Rachel, Leopold und der Vater das Pessachfest gemeinsam. Da taucht die Prinzessin Eudoxie, Leopolds Ehefrau, auf. Sie will ein Schmuckstück vom Goldschmied Eléazar angefertigt bekommen.

Rachel hegt Zweifel an der jüdischen Identität von Leopold und stellt ihn zur Rede. Er gibt zu, Christ zu sein. Sie träumen von einer Flucht. Das Paar weiß, dass es zwischen Juden und Christen keine Liebesbeziehung geben darf. So eine Beziehung wird mit dem Tod bestraft. Auch dem Goldschmid kommen Zweifel an der Identität von Leopold. Er ist aber bereit, den potentiellen Schwiegersohn im jüdischen Glauben zu unterrichten. Leopold flieht vor Rachel und ihrem Vater. Er kehrt zurück zu seiner Familie. Rachel ist ihm gefolgt und bietet sich Eudoxie als Sklavin an.

Leopold soll für seine Teilnahme am Kreuzzug geehrt werden. Da verkündet Rachel, dass er mit ihr eine Liebesbeziehung eingegangen war. Der Kardinal verhängt über Leopold den Kirchenbann. Rachel und Eléazar werden zum Tode verurteilt. Nach weiteren Wendungen kommt es am Ende der Oper zu einer großen Exekutionsszene. Rachel und Eléazar kommen auf den Scheiterhaufen. Der Kardinal erfährt, dass Rachel seine uneheliche Tochter ist und versucht sie zu retten. Sie hört aber auf den Goldschmied, der ihr vorenthält, dass sie die Tochter des Kardinals ist. Beide sterben den Märtyrertod.

Die Oper wurde 1835 in Paris uraufgeführt und schildert einen Religionskonflikt zu Zeiten des Konstanzer Konzils. Die Oper beleuchtet das Thema Antisemitismus und zwar in vielschichtiger Weise. In seinem Stück stellt Halévy interessante Grundsatzfragen bei einem Konflikt zwischen zwei Kulturen. Wie entstehen Vorurteile? Welche Macht haben sie, und wie beeinflussen Vorurteile die Rollen in der Gesellschaft? Warum kommt es zu einer Eskalation von Gewalt?

Das Konstanzer Konzil muss bei dieser Oper richtig eingeordnet werden. Die katholische Kirche des 15. Jahrhunderts war tief gespalten und drei Päpste regierten gleichzeitig. Die Gesellschaft befand sich in einem tiefgreifenden Umbauprozess und musste neu verhandeln, wie die Zukunft aussehen könnte. Eine innere Einigung fand statt, indem sich die Gesellschaft von den „Anderen“ abgrenzte bzw. überhaupt definierte, wer diese „Anderen“ sein sollten.

Durch La Juive ziehen sich mehrere Konflikte. Der Kampf zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, die Rivalitäten innerhalb der katholischen Kirche, die gefühlte Bedrohungslage der Christen durch einen äußeren Feind.

Das Konzil ist Auslöser des Konflikts. Während seiner vierjährigen Dauer war Konstanz mit Besuchern aus unterschiedlichen Ständen, Interessengruppen und Kulturgreisen geeint. Es wurde diskutiert, gefeiert und gehurt. Zur Belustigung, aber auch aus politischen Gründen, fanden in dieser Zeit des Konzils Ketzerverbrennungen statt.

Es gab immer aber wieder sich entzündende Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten. Nach dem Konzil ließ der Kaiser Sigismund die Stadt als riesige Müllkippe und die Bewohner mit einem großen Schuldenberg zurück. Die Juden durften damals in kaum einer anderen Branche als dem Geldverleih tätig sein. Darin waren sie sehr erfolgreich, deshalb entlud die christliche Bevölkerung ihren Frust in antisemitischen Pogromen.

Das Bühnenbild greift diese toxische, spannungsgeladene Atmosphäre des Konzils auf. Auf der Bühne ist eine turmartige Architektur zu sehen, die noch nicht fertig gebaut ist bzw. bereits wieder verfällt. Auf der Kuppel blickt der Zuschauer in ein schwarzes Loch – eine Leere. Durch die kirchliche Bauweise sind die Figuren immer der Gefahr ausgesetzt, beobachtet oder gestört zu werden. Dies gilt im Besonderen, wenn die kleine jüdische Gemeinde um Eleazar im zweiten Akt zusammenkommt. Niemandem gelingt es dauerhaft sich der Öffentlichkeit zu entziehen.

Das Schlussbild der Inszenierung von Tatjana Gürbaca ist sehr spektakulär. Rachel stürzt wie ein Komet vom Himmel, während der Goldschmied wie ein Untergangsprophet auf Rachel deutet. In La Juive wird der Exzess der Menge ziemlich deutlich aufgezeigt. Die Menge der Bürger will ihre Wut auf die anderen irgendwie entladen. Dabei werden sie vom Bürgermeister aufgehetzt und angestachelt. Rachels Enthüllung, mit einem Christen eine Liebesbeziehung eingegangen zu sein, führt endlich zu der von den Bürgern gewünschten Tat. Die Juden werden hingerichtet. Die Ordnung wieder hergestellt. Aber bevor die Ordnung wieder hergestellt ist und Ruhe einkehrt, dürfen die Bürger noch einmal den Exzess, die Ekstase ausleben.

Das Konzil stellt ein außergewöhnliches Ereignis für die Bürger von Konstanz dar. Es ist vergleichbar mit der Fußball- WM in Deutschland. Auch bei der WM treffen unterschiedliche Nationen aufeinander und entladen ihre Emotionen. Sowohl das Konzil als auch die Fußball-WM sind Ausnahmesituationen, bei denen sich der Bürger austoben soll, bevor er wieder den grauen Alltag erlebt. Solche Situationen sind der Boden auf dem Ekstase kontrolliert entstehen darf, während sie in anderen Situationen eskalieren.

Über Kommentare freut sich Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL

Danke für das Bild „Figuren Blau Konstanz“ von Wolfgang Appel auf Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:6. September 2024
  • Lesedauer:8 min Lesezeit