In einer deutschen Universitätsstadt bemüht sich 1933 der berühmte jüdische Arzt Professor Mamlock seine Arbeit, seine Klinik, seine Familie von allen politischen Auseinandersetzungen fernzuhalten. Er setzt auf den Staat und auf humanistische Prinzipien und arbeitet weiter unter den rassistischen Machthabern. Seinem Sohn Rolf weist er die Tür, als er in den kommunistischen Untergrund geht. Auch seine Frau und Tochter verstehen seine Haltung nicht mehr. Am Ende sieht Mamlock keinen Ausweg mehr für sich. Das Drama von Friedrich Wolf mit dem Schauspieler Gustav Peter Wöhler zeigt sich in den Pressebesprechungen als brandaktuelle Warnung vor einer Wiederholung politischer Ereignisse. Dazu ein kritischer Leserbrief, mit herzlichem Dank dafür!
Liebes UniWehrsEL,
Friedrich Wolfs Stück ist 1933 geschrieben. Es beschreibt die beginnende Verfolgung der Juden im Nazireich. Das Stück ist schon 1938 in der Sowjetunion verfilmt worden, in der DDR ein zweites Mal 1961, und zwar durch einen der wohl wichtigsten und einflussreichsten Filmemacher der DDR, Konrad Wolf. Gustav Peter Wöhler tourt 2024 als Professor Mamlock mit dem gleichnamigen Theaterstück von Regisseur Aron H. Matthiasson mit dem Schauspielensemble „Sprechwerk Hamburg“. Da taucht die Frage für mich auf: ein nicht mehr zeitgemäßes Stück aus der Mottenkiste „reloaded“ oder eine brandaktuelle Warnung an die Verletzlichkeit des Menschen bzw. der Demokratie?
Im November 2024 erlebte ich einen denkwürdigen Theaterabend mit „Professor Mamlock“. Das Publikum war wie erstarrt; in einer Art Schockstarre. Das Schauspiel „Professor Mamlock“ war bislang in der Bundesrepublik Deutschland ein wenig bekanntes Stück. Der Schriftsteller und Arzt Friedrich Wolf hat Professor Mamlock 1933 im Exil als Lehrstück geschrieben. In der DDR war der Stoff Pflichtlektüre in der Schule.
Das Team rund um den Schauspieler Gustav Peter Wöhler hat das Stück wiederentdeckt und teilweise neu gedeutet. Die Regie führt Aaron Matthiasson. Wöhler übernimmt die Titelrolle des Professors. Die Figur hat etwas naives. Er verschließt die Augen vor der Realität. Diese lautet, dass er als jüdischer Arzt an einer deutschen Klinik in den 1930er Jahren keine Chance hat, sein gewohnt bürgerliches Leben fortzusetzen. Seine Qualifikation und Verdienste als Arzt spielen für die Nazis keine Rolle. Das ist bitter und sehr schonungslos für den Zuschauer mitanzusehen. Er hat die falschen Wurzeln, und so ist sein Leben und das seiner Familie nichts mehr wert, in den Augen der Nationalsozialisten.
Mamlock scheitert nicht nur als Mensch, sondern auch an seiner Überzeugung, an seinem Glauben an das Gute. Als Intellektueller glaubt Professor Mamlock, dass er sich schon mit den Nationalsozialisten arrangieren oder sie mit Argumenten schlagen kann. Dies ist eine Selbsttäuschung. Seine Tochter berichtete in einer Szene von Gräueltaten an Juden und fordert Professor Mamlock auf, das Land zu verlassen. Er bezichtigt die eigene Tochter als Lügnerin. Sie verlässt ohne die Eltern und den Bruder das Land, um sich zu retten.
Seine guten Absichten werden missverstanden und als bösartige Ideen, von dem neuen von den Nazis eingesetztem Klinikleiter, verdreht. Das Böse kann niemals gut sein; und dafür stehen die Nazis für den Autor Wolf nun einmal. Grautöne von Menschen gibt es in dem Stück nicht. Nazis sind böse. Mamlock ist der Gute. Zwischentöne gibt es nicht.
Der neue Chef von Professor Mamlock ist skrupellos und verschlagen. Das Stück soll aufzeigen, dass der Einzelne gegen ein skrupelloses System keine Chance hat. Es zeigt, wie eine aufgeheizte politische Stimmung die Herzen einer Familie vergiften und zerstören kann.
Hier kommt auch die Meinung des Autors zum Tragen. Der Autor Friedrich Wolf war stark mit der Deutschen Demokratischen Republik verbunden. Sein Sohn Konrad Wolf war ein berühmter Regisseur in der DDR, der das Stück 1961 für einen Film adaptiert hat. Sein Protagonist Professor Mamlock wendet sich stark gegen den Nationalsozialismus.
Professor Mamlock ist ein ehrenwerter Fachmann, Arzt, der seinen Beruf nicht mehr ausüben darf, weil er Jude ist. Sein Sohn ist überzeugter Kommunist und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er verteilt auch noch Flugblätter gegen die Nazis, als es für ihn lebensgefährlich wird. Professor Mamlock steht für den bürgerlichen Typ, der sich versucht anzupassen, bis es zu spät ist. Der Sohn gerät mit seinen Eltern aneinander. Der Vater verbietet dem Sohn die politische Beteiligung bei den Kommunisten. Der Sohn hält sich nicht daran. Daran zerbricht die Familie.
Am Ende geht Professor Mamlock trotz Arbeitsverbot zur Klinik. So glaubt Professor Mamlock ein Schlupfloch gefunden zu haben, seinen Beruf weiter auszuüben. Beim Gespräch mit der nationalistischen Leitung erkennt er spät seine Fehleinschätzung und solidarisiert sich mit einem einfachen Krankenpfleger, der wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen wird. Dieses Ende betont die Solidarität der Menschen und hält so die Ideale der DDR hoch.
Problematisch erscheint mir die Verquickung des Stückes mit aktuelleren Ereignissen, wie dem Anschlag auf die jüdische Synagoge in Halle 2023 oder einer Schändung von jüdischen Gräbern in den 1990ern – fremde Texte, die mit dem Originalstück über einen entlassen Professoren nicht in direkter gedanklicher Verbindung stehen. Alle Taten verbindet der Hass auf Juden.
Aber es ist für mich ein Unterschied, ob eine Regierung ein Gesetz gegen eine religiöse Gruppe erlässt und diese Gruppe systematisch ausgrenzt, oder ob einzelne Menschen andere Menschen wegen ihrer Religion bedrohen bzw. schädigen. Dies kann nicht so einfach gleichgesetzt bzw. vermischt werden. Vielleicht wollte man mit diesen fremden Texten einen aktuellen Bezug herstellen. Dies erscheint mir aber misslungen. Da man nicht einfach Ereignisse aufgreifen kann und Vergleiche zwischen 1933 und 2024 aus der Luft ziehen kann. Deuten kann die Regie diese Ereignisse als Vorzeichen, dass sich die Lage für jüdische Bürger verändert hat.
Ob es den stolzen kommunistischen Kämpfer, im Stück in Gestalt des jungen Sohnes gegen Nazis, heute wieder in der BRD gibt, sei dahingestellt. Die DDR ist untergegangen und kommt hoffentlich in dieser Form in absehbarer Zeit nicht mehr zurück. Die Solidarität zwischen den Ständen Arzt als Mittelschicht und dem, im Stück genannten, „einfachem“ Fabrikarbeiter bzw. „einfachem“ Krankenpfleger gibt als Idealbild, fraglich ist, ob dies heute wirklich noch Bestand hat.
Der Nazi (sehr plakativ!) trägt in dieser Hamburger Aufführung Nadelstreifen statt Uniform. Er kommt mehr als neudeutscher, blinder Technokrat, denn als überzeugter Nazi rüber. Den offenen, offiziellen Nazi in Uniform sucht der Zuschauer in dieser Inszenierung vergeblich. Ist das eine Anspielung auf die gegenwärtige Realität (die Nazis sind heute Männer in Nadelstreifen?). Wird der Zuschauer absichtlich über die Zeit, in der das Stück spielt, im Unklaren gelassen? Soll hier allgemeine zeitlose Gültigkeit angedeutet werden (nach dem Motto: das Böse ist immer und überall)? Der Raum ist ein Bürogebäude. Ebenfalls zeitlos angelegt. Genannt wird der Anschlag auf den Reichstag. Dies muss zur zeitlichen Einordnung ausreichen. Oder steht das Wort Anschlag im Fokus?
Es spielt auch ein Pressevertreter mit. Dieser wird als eingeschüchterte Person dargestellt, die sich schnell an die neue Regierung anpasst. Auf eine wirklich existierende „freie“ Presse lenkt der Autor Wolf (oder auch der Regisseur Matthiasson im aktuellen Stück) keinen Blick, sondern behauptet, diese sei leicht zu manipulieren. Dieser Umgang mit der Presse wird mit den neuen Medien wie Internet verknüpft, die Hass und Hetze verbreiten. Das ist für mich zu pauschal. Nicht jedes Pressemedium berichtet gleich über Vorgänge und nicht jeder Journalist ist ein Angepasster. Das macht das Stück schwierig, weil es mich als Zuschauer in kognitive Dissonanz bringt. Ob die Solidarität mit schlummernden Kräften im Volk, wie es sich der Kommunist im Stück vorstellt, heute noch als besserer Weg für eine Demokratie angesehen werden darf, muss meiner Meinung nach kritisch hinterfragt werden.
Die Demokratie zu erhalten, scheint mir eine zeitlose Botschaft des Stücks zu sein. Das Stück wirft Fragen auf wie: wann ist Untätigkeit schlecht? Wie verletzlich ist die Demokratie? Wie wirkt sich Politik auf den Alltag der Menschen aus? Für einen Kommentar wäre ich dankbar!
Danke für das Umarmen der Demokratie auf dem Bild von Gerd Altmann auf Pixabay