Du betrachtest gerade Georg Kreisler, „Tauben vergiften“, „den Ehemann umbringen“ – eine Liebeserklärung

Bodo Wartke, dem wir im Beitrag „Ja-Sager mit Wow-Effekt“ als Klavierhumorist huldigten, hatte einen berühmten Vorgänger, den großen Georg Kreisler (1922-2011). Während Wartke sich den Männern als dem eigentlich „schwachen Geschlecht“ musikalisch annäherte, rückte Kreisler vor allem scharfe Kritik an Politik und Gesellschaft in den Fokus seiner Lieder. „Heute leider Konzert“ in den Kammerspielen des „Schauspiel Frankfurt“ wurde von einem Rezensenten für das UniWehrsEL entdeckt. Der definiert es als „eine Liebeserklärung an dem Satiriker Georg Kreisler und eine Möglichkeit, diesen vielschichtigen Künstler neu zu entdecken“.

Liebes UniWehrsEL,

Wenn etwas gut ist, dann hat sich dies durch Mund zu Mundpropaganda bereits verbreitet, so auch bei dem Liederabend „Heute leider Konzert!“ mit Liedern und Texten von Georg Kreisler. Am 18. 11. 24 waren nur Restkarten zu bekommen. So durchströmte den Rezensenten schon ein Glücksgefühl, noch bevor irgendeine Note gesungen worden war, weil dieser zu den drei (!) Glücklichen zählte, die noch eine Eintrittskarte bekommen haben. Sicherlich startet so ein Liederabend dann mit reichlich Vorschusslorbeeren.

So wie der Schauspieler Thorsten Flassig erzählte, war dieser Liederabend ihm ein Herzensanliegen. Er war nach eigener Aussage im Schauspielstudium mit Georg Kreisler-Texten in Berührung gekommen. Diese ließen ihn genauso wenig los wie den Rezensenten, der eine Sammlung mit Kreisler-Liedern in der Plattensammlung hat und der ebenso von Georg Kreisler „verzaubert“ ist. Dies teilt er sich mit dem Schauspieler Torsten Flassig. Deshalb sei hier eine Warnung für den Leser ausgesprochen: Diese Kritik ist mit den Augen des Liebenden geschrieben. Wie alle Liebenden sind diese Menschen nicht rein objektiv, sachlich, sondern emotional in Bezug auf ihre Liebe. Was den einen begeistert, kann den anderen verstören; ist dem anderen zu kopflastig, zu frech oder gar schrecklich langweilig.

Flassig nimmt im ersten Moment die Rolle des Gastes ein. Stolz „wie Oscar“, mit geschwollener Brust, frei nach den „Comedian Harmonists“ oder mit dem Gestus „Hoppla jetzt komme ich“ (Hans Albers) ,sitzt er in der ersten Reihe und wartet, brav und ordentlich im Anzug gekleidet, auf die nun eintretenden Ereignisse – und da passiert also nichts. So ergreift der als Gast getarnte Schauspieler, denn selbst die Initiative und singt den „Opernboogie“. Dort werden wichtige Fragen, die den Opernbesucher bewegen, aufgeworfen, wie etwa

„Warum, in der Zauberflöte, liebt Pamina den Tamino?

Und warum nahm Margarethe nicht den Faust einmal ins Kino?“

 „Warum sperrte Desdemona ihre Tür nicht besser zu?

Und warum ließ in Verona, Romeo Julia nicht in Ruh‘?“

Aus diesen Fragen spricht viel Wissen, schließlich muss der Fragensteller reichlich Opern besucht haben – davon gehe ich aus – um all diese Figuren zu kennen.

In seinem zweiten Lied „Weg zur Arbeit“ schlüpft Flassig in die Rolle eines Anwalts, der von seiner Wohnung in seine Kanzlei läuft. Auf dem Weg zur Arbeit trifft er allerlei Leute, wie

„die freundliche Verkäuferin der Zeitung,

sie hat einen grausigen Prozess hinter sich,

ihr Mann ist eingesperrt, wegen so mancher Überschreitung.

Sie wurde freigesprochen, denn sie war nicht in der SS.“

(Onlinemagazine gab es bei Entstehung dieser Zeilen wohl noch nicht, denn sonst wäre der Text womöglich noch schärfer ausgefallen …)

„Auf dem Weg begegnet er dem Friseurgehilfen Navratil,

der war auch in der SS oder war es die SA?“

Diese Textzeilen zeigen dem Leser auf, dass es Georg Kreisler um die Lebensläufe der Menschen ging, die nach dem zweiten Weltkrieg trotz Beteiligung an dem vorherigen System weiter ihr Leben führten. Um also den Kabarettisten Georg Kreisler und seinen schwarzen Humor besser zu verstehen und nicht einfach nur „lustige Lieder“ zu konsumieren, – das wäre ein wenig zu einfach, – lässt Flassig die Biographie von Georg Kreisler aufleben mit Videos. Die Regie führt Martha Kottwitz.

Georg Kreisler wird in Wien 1922 geboren. Er wächst in einem jüdischen Elternhaus auf. So wie bei „Der Weg zur Arbeit“, ist der Vater Rechtsanwalt und die Mutter Gehilfin in der Kanzlei. Sein Einstieg in die Musik erfolgt mit dem etwas „verhasstem“ Klavierunterricht, bei seiner Lehrerin Frau Hilde Stern. Als Wien 1938 von den Nazis übernommen wird, muss Georg Kreisler Wien verlassen. Er findet in den USA, in Hollywood, mit seinen Eltern 1938 Zuflucht. Er ist sechszehn. Er geht zur Highschool. Er trifft in den 1940er Jahren auf Jazzmusik, wird als Pianist für einen Westernfilm engagiert und verliebt sich mit 19 Jahren in Philine Hollaender. Ihr Vater, Friedrich Hollaender, war ein deutscher Revue- und Tonfilmkomponist, Kabarettist. Hollaender ist bekannt für satirische Lieder wie „Die hysterische Ziege“ oder „Raus mit den Männern aus dem Herrenhaus“, „Die Farbe Lila“ oder Marlene Dietrichs „Wenn ich mir was wünschen dürfte“.

Zurück zu Kreisler. Als er versuchte, als Dirigent durchzustarten, erreichte ihn der Zweite Weltkrieg. Er wurde zum Militärdienst eingezogen, wo er zu einem Verhörspezialisten in „Camp Ritchie“ ausgebildet wurde. In Großbritannien verbrachte er seine Zeit, nach eigener Aussage, mehr als Entertainer, denn als Soldat, mit den mit ihm stationierten Soldaten. Nach Kriegsende kommt Kreisler nach Deutschland, als Übersetzer. Er trifft dort auf einige der grausamsten Kriegsverbrecher der Nationalsozialisten. Diese Erfahrung prägt seine Haltung und führt zu seiner Art des Spottens über die Leute. Gerne hätte die amerikanische Armee ihn als Dolmetscher in den Nürnberger Prozessen eingesetzt. Dieses Angebot lehnt Kreisler ab. Zurück in den USA leiht er dem Komiker Charlie Chaplin in einer Filmaufnahme seine klavierspielenden Hände. Eine Filmkarriere ergibt sich für ihn trotzdem nicht.

Er landet in der New Yorker „Monkey Bar“ und spielt dort eigene Songs in englischer Sprache für ein amerikanisches Publikum. Thorsten Flassig gibt denn auch den Song von 1947, mit dem vielsagenden Titel „Please, Shoot your Husband“ (Bitte, bring‘ deinen Ehemann um). Diese sehr direkte Aufforderung an eine Frau sorgt für große Heiterkeit im Publikum.

1955 kehrt Kreisler nach Wien zurück. Dort tauscht er die „Monkey Bar“ gegen die Wiener „Maretta Bar“. Seine Lieder sind umstritten. Die einen lieben sie. Bei den anderen ecken sie an. Kreisler erwirbt sich einen Namen als Satiriker. Seine Lieder sind im österreichischen Rundfunk eine Zeitlang verboten. Er versucht sich in anderen Textformen wie Essays, Kurzgeschichten, Theaterkritiken, Romanen. Aber er findet keinen Verlag oder Theater, welches seine Stücke oder Texte gedruckt hätte.

1968 bekommt er, zusammen mit seiner dritten Ehefrau Topsy Küppers, (Lola Blau – Musical) eine Kabarettsendung „Die heiße Viertelstunde“. Sie wird von den Kritikern zerrissen und bald wieder eingestellt. So ist der Song über den Musikkritiker, der total unmusikalisch ist und alles im Theater niederschreibt, auch eine unverhohlene Abrechnung mit seinen Kritikern und dem Kunstbetrieb insgesamt.

In dem Lied „Der Furz“ widmet er sich der Entstehung von Gesetztestexten fürs Volk. In dem Song „Meine Freiheit, deine Freiheit“ geht es um das Abhängigkeitsverhältnis von Angestellten zum Boss. In „Das Triangel“ dreht es sich um den einsamen Musiker, der auf seinen Einsatz im Orchester wartet, bis er die Triangel spielen darf. Wer einmal einen Kurs über „Orffsche Instrumentenkunde“ besucht hat, weiß sehr genau wovon Kreisler hier spricht.

Eines seiner seltenen Liebeslieder heißt „Barbara“ und ist seiner letzten Partnerin der Schauspielerin Barbara Peters gewidmet, mit der er sein Leben bis zu seinem Tod 2011 gemeinsam verbringt. Gemeinsam treten Peters und Kreisler in Chanson-Abenden auf und wechseln mehrfach die Wohnorte Berlin, Salzburg, Basel.

Auch Thorsten Flassig rockt den Abend nicht alleine, sondern steht mit dem Pianisten Yuriy Sych auf der Bühne und versucht, sich der Kunstfigur Georg Kreisler zu nähern.

Haben Sie diesen Artikel wirklich bis hierhin gelesen? Respekt! Sicherlich wollen Sie nun wissen, ob Herr Flassig auch Georg Kreislers berühmtesten Song – es ist nicht die zungenbrecherische Telefonbuch-Polka, sondern der Hit Taubenvergiften im Park. Flassig lässt den Song nur anklingen. Denn für Georg Kreisler war der Song Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite machte der Hit ihn bekannt, anderseits lauerten die Leute wie die Geier auf diesen Titel. So entwickelte Georg Kreisler eine kleine Aversion gegen seinen größten Hit, wie Flassig dem überraschten Publikum mitteilte.

Doch wie beendet ein Rezensent am besten einen Artikel über Georg Kreisler? Irgendwelche Ideen? Wie wäre es mit einem Zitat von Georg Kreisler: „Wenn man mir eines Tages erzählt „den Kreisler gibt´s gar nicht, wir haben ihn nur geträumt“, werde ich mich nicht wundern, sondern sagen: „dacht´ ich´s doch!“.

PS: Falls es einen zweiten Abend mit Kreislerliedern geben sollte, bitte den Song „Also geben Sie acht“ in die Titelauswahl aufnehmen. Der Song handelt von einer Person, die mit ihren Träumen andere Leute, welche sie im Leben ärgern, im Schlaf töten kann. Dann erblickt sich die Person eines Tages im Spiegel und hat nun Angst, von sich selbst nachts zu träumen…

Danke für den Klavierpieler im Bild von Mohamed Hassan auf Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:22. November 2024
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