Wenn es im Sommersemester um die Thematik „Sehnsucht“ gehen wird, so fragt das UniWehrsEL schon heute danach: woran denken Sie als erstes beim Seminarthema „Nur wer die Sehnsucht kennt (Goethe). Sehnen und Suchen im Wandel der Zeiten“? Und zu unser aller großen Freude gibt es darauf schon die ersten Antworten. So möchte uns ein Rezensent auf eine gedankliche Reise zu Carl Spitzwegs Kunst mitnehmen. Er bittet uns: „Tauchen Sie ein in die Welt des Biedermeiers, in der scheinbare Idylle, humorvolle Szenen und subtile Ironie in uns die Sehnsucht nach einer heilen Welt wachrufen“. Begleiten wir also den Rezensenten auf seiner faszinierenden Entdeckungstour durch einige ausgewählte Meisterwerke des Malers Carl Spitzweg und erleben die feine Balance zwischen Romantik und Gesellschaftskritik. Wir danken ihm und freuen uns darauf!
Sehnsucht und Spitzwegs Kunst: Ein Blick auf das Biedermeier
Das erste Mal mit dem Maler Carl Spitzweg in Berührung gekommen ist der Rezensent im Deutschunterricht. In seinem Schulbuch war sein wohlbekanntestes Werk abgedruckt: Der arme Poet. Das Bild zeigt einen alten Mann, der in einem armseligen Dachzimmer auf einem Strohsack liegt und dichtet. Das undichte Dach ist mit einem aufgespannten Regenschirm notdürftig repariert, und der Dichter trägt einen Schlafrock und eine Schlafmütze. Inmitten dieser einfachen und fast schon erbärmlichen Umgebung strahlt der Dichter eine gewisse Ruhe und Zufriedenheit aus, die den Betrachter in ihren Bann zieht. Dieses Bild weckte in mir eine tiefe Sehnsucht nach einer Welt, in der materielle Dinge nebensächlich sind und wahre Erfüllung im kreativen Schaffen gefunden wird.

Kürzlich hat der Rezensent im Schlussverkauf im Februar 2025 einen Kunstkalender über den Maler Carl Spitzweg entdeckt. Das hat ihn sofort an das Schulbuch mit dem Bild des Armen Poeten erinnert. Während der Rezensent die Bilder aus dem Kunstkalender betrachtet, driften seine Gedanken in verschiedene Richtungen: von der Sehnsucht nach einer heilen Welt bis hin zu den satirischen Motiven, die Spitzwegs Werk durchziehen. Der Begriff “Sehnsucht“ beschreibt ein tiefes, oft schmerzhaftes Verlangen nach etwas Unerreichbarem oder Vergangenem. In der Kunst ist Sehnsucht oft ein zentrales Thema, da sie den Betrachter dazu anregt, seine eigenen Wünsche und Träume zu reflektieren.
Spitzwegs scheinbare Idylle und die Sehnsucht nach einer heilen Welt
Carl Spitzweg war ein Meister darin, die Sehnsucht nach einer idyllischen Welt zu wecken, in der alles in Ordnung scheint. Seine Werke sind geprägt von einer heilen Welt, die insbesondere während des Biedermeiers im 19. Jahrhundert idealisiert wurde. Diese Epoche war eine Zeit der Rückbesinnung auf das Private und Häusliche, weit weg von politischen und sozialen Umwälzungen.

Ein besonderes Beispiel für Spitzwegs Meisterschaft in der Darstellung scheinbarer Idylle ist das Gemälde Der Rosenfreund, das im Frankfurter Städel hängt. Zunächst erkennt der Betrachter einen jungen Mann in einer idyllischen Landschaft. Scheinbar schnuppert er sorglos an einer Rose, und der Moment scheint weltvergessen. Der junge Mann wirkt in sich selbst versunken, als ob er die Welt um sich herum völlig ausgeblendet hat. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt der Betrachter einen Wendepunkt: Im Schatten der Landschaft sieht man ein kuschelndes Liebespaar. Plötzlich wird klar, dass der Jüngling vielleicht doch nicht so selbstlos und selbstvergessen ist, wie man am Anfang annahm. Diese subtile Ironie führt uns zurück zur Erkenntnis, dass selbst in der schönsten Idylle oft mehr steckt, als es auf den ersten Blick scheint.
Der Beobachter des Liebespaars könnte seinerseits eine Sehnsucht danach haben, Liebe zu erfahren. Vielleicht kann er dies nur durch das Beobachten des Liebespaars erreichen. Indem er sich ganz in den Duft der Rose vertieft und sich von der Welt abkapselt, könnte er seine eigenen Sehnsüchte nach Nähe und Zuneigung verdrängen. Oder sehnt sich der Rosenfreund möglicherweise danach, selbst Teil eines solchen romantischen Moments zu sein? Könnte es sein, dass er sich vorstellt, wie es wäre, ein aktiver Teil eines heißblütigen Liebespaars zu sein?

Ein weiteres Beispiel für eine scheinbare Idylle ist das Bild Der Gartenfreund, welches in Görlitz in der Städtischen Sammlung zu sehen ist. Es zeigt im Vordergrund einen aufmerksamen jungen Gärtner. Liebevoll widmet er sich einem Rosenstrauch. Durch seinen Einsatz ist der Strauch in voller Blüte. Nun schweift der Blick des Betrachters ab und entdeckt einen anderen Gärtner. Dieser mittelalte Mann hält eine Rose für eine junge Frau bereit. Sie ist am Überlegen, wie sie mit dem frechen Werber um ihre Gunst umgehen soll. Einerseits ist sie von seinem Werben angetan, andererseits zeigt ihre Hand eine Abwehrhaltung. Kann das Mädchen dem Werber vertrauen? Ist der junge Gärtner sehnsüchtig danach, einen blühenden Rosenstrauch zu betrachten? Ist der Werber um das junge Mädchen voller Sehnsucht nach einer großen Liebe? Welche Gefühle löst ein schöner Garten im Herzen des Betrachters aus? Hier können wir einen Vergleich zwischen den beiden Männern ziehen: Während der Gartenfreund sich liebevoll um den Rosenstrauch kümmert, sucht der andere Mann die Pflanze der Liebe bei der jungen Frau. Das ironische Fazit: Beide Gärtner sind bemüht, eine Rose zum Blühen zu bringen – der eine im Garten, der andere im Herzen der jungen Frau. Die scheinbare Idylle dieser Szenen verbirgt oft komplexe menschliche Interaktionen und Emotionen.
Ein Besuch im Georg-Schäfer-Museum in Schweinfurt

Bereits mehrfach besuchte der Rezensent (9 Euro-Ticket und ein Tag im Museum) das Georg-Schäfer-Museum in Schweinfurt, das eine beeindruckende Sammlung von Spitzwegs Werken beherbergt. Ein berühmtes Gemälde aus dem Georg-Schäfer-Museum heißt Der Bücherwurm. Es zeigt einen älteren Mann auf einer Leiter stehend, vertieft in die Lektüre eines Buches. Weitere Bücher hat er unter dem Arm. Hier könnte ein Unfall durch ein unerwartetes Ereignis eintreten. Ein Windstoß könnte die scheinbare Ordnung zum Einsturz bringen. Der Bücherwurm trägt die typische Spitzweg-Ironie in sich: Der Mann ist so in seine Lektüre vertieft, dass er die Gefahren seiner instabilen Position ignoriert. Trägt der Bücherwurm eine Sehnsucht in sich, sich das Wissen dieser Welt anzueignen? Wahrscheinlich. Er symbolisiert den Drang nach Wissen und die Hingabe an das Studium, selbst auf Kosten der eigenen Sicherheit.
Interessant ist, dass das Georg-Schäfer-Museum in einem Bau untergebracht ist, der architektonisch an den Brutalismus erinnert. Es ist ein hässlicher Bau, der zweckmäßig, aber nicht besonders ästhetisch ansprechend ist. Dass ein solcher Ort eine der schönsten Sammlungen über die Romantik und insbesondere Carl Spitzweg beherbergt, könnte dem Maler gefallen haben, weil es einen inneren Widerspruch beinhaltet, ähnlich wie die Bilder von Carl Spitzweg. Möglicherweise würde Carl Spitzweg mit feiner Ironie auf den Ort reagieren, an dem seine idyllischen Bilder residieren. Der Museumsbau ist von außen nicht sehr idyllisch oder schön, sondern zweckmäßig rational – ein interessanter Kontrast zu den romantischen und humorvollen Szenen, die sich im Inneren befinden. Dieser Widerspruch zwischen äußerer Zweckmäßigkeit und innerer Schönheit spiegelt die Ironie wider, die auch in Spitzwegs Bildern oft präsent ist. Dennoch würde der Rezensent jeden einladen, einmal nach Schweinfurt zu reisen, um das Georg-Schäfer-Museum zu besuchen. Denn Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Dafür bietet das Museum eine große Ausstellungsfläche für die Spitzweg-Sammlung und eine ganze Abteilung über die Romantik, sowie einen Museumshop, indem auch Kopien von Carl Spitzweg erworben werden können.
Die Wirkung von Spitzwegs Bildern auf den Betrachter
Spitzwegs Bilder lösen beim Betrachter unterschiedliche Emotionen aus. Auf den ersten Blick mag die Idylle verzaubern und eine heile Welt präsentieren, die zum Träumen einlädt. Doch bei näherer Betrachtung erkennt man die Ironie und die subtile Gesellschaftskritik in seinen Werken. Dies führt zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den eigenen Sehnsüchten und den gesellschaftlichen Realitäten. Die humorvollen Szenen und die romantischen Landschaften schaffen eine Balance zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, die den Betrachter immer wieder aufs Neue fasziniert.
Fazit
Der Kunstkalender über Carl Spitzweg hat den Rezensenten auf eine Reise in eine scheinbare Idylle mitgenommen, die gleichzeitig Sehnsucht und Satire in sich trägt. Der Besuch im Georg-Schäfer-Museum in Schweinfurt hat mir gezeigt, wie vielschichtig und tiefgründig Spitzwegs Werke sind. Sie sprechen die Sehnsucht nach einer heilen Welt an, während sie gleichzeitig die Ironie und die Gesellschaftskritik des Biedermeiers offenbaren. Spitzwegs Kunst bleibt zeitlos und berührt die Menschen auch heute noch auf vielfältige Weise. So bleibt uns nur, uns beim nächsten Rosenfreund, Gartenfreund oder Bücherwurm daran zu erinnern, dass nicht immer alles so selbstlos und unschuldig ist, wie es scheint. Und auch ein Besuch im Georg-Schäfer-Museum lohnt sich, um die Pracht dieser Werke in einem vielleicht überraschenden, aber faszinierenden Rahmen zu erleben.
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