Der Fall „Cinderella“, neue Aspekte zu „Besserwessis“ und „Meckerossis“
Im Beitrag über „Cinderella“ am Theater Meiningen wurde viel über die Gefühlswelt und den Kampf ums Selbstwertgefühl von Cinderella geschrieben. Ein Aspekt wurde in dem Artikel aus Sicht einer Kommentatorin nicht deutlich genug herausgearbeitet. Nicht das Verhalten der Stiefmutter sei für Cindy besonders schlimm gewesen, sondern die Herablassung der Verwandten aus dem Westen. Diese könnten sich nicht in Cindys Lage einfühlen und hätten ihr aus Belanglosigkeit eine VHS-Kassette mitgebracht. Dass Cindy statt einer VHS-Kassette lieber eine Karte für die echte Vorstellung gewünscht hätte, wäre den Wessis nicht in den Sinn gekommen. Danke für den interessanten Einwand und die Stellungnahme zu den „getanzten Illusionen“.
Liebe UniWehrsEL-Leser,
Der Unterschied zwischen Ost und West erinnert an den Film „Good Bye Lenin!“ in der die DDR weiterlebte – auf 79 Quadratmetern! Alex Mutter erwartet gerade ihre Auszeichnung als „Heldin der Arbeit“, entdeckt ihn auf einer Demonstration, fällt ins Koma und erwacht nach dem Mauerfall. Um ihr den ‘West-Schock‘“ zu ersparen, wird die Wohnung kurzerhand von Alex und Kollegen wieder nach dem DDR-Stil umgestaltet. Im Westen oder im Osten zu leben, das hatte wohl jeweils für beide Seiten seine Vor- und Nachteile. Grund genug, sich mit dem Verhalten des vermeintlich ‘arroganten‘ Westens auseinander zu setzen und in Bezug zu Halbwahrheiten zu beleuchten.
Die Verwandtschaft in „Cinderella“ agierte mit Herablassung; das erzeugte ein Ungleichgewicht, deutlich gemacht in verbaler und nonverbaler Kommunikation. Wenn eine Person herablassend agiert, stellt sie sich selbst über ihr Gegenüber und vermittelt den Eindruck, dass sie mehr Wissen oder Fähigkeiten besitzt. Dies kann beim Empfänger Gefühle der Minderwertigkeit und des Unbehagens hervorrufen. Anstatt Vertrauen und Respekt aufzubauen, führt Herablassung zu Frustration und Ablehnung. Niemand möchte sich in einer Gesprächssituation fühlen, als würde man ihn oder sie bevormunden.
Ein Beispiel für falsche Kommunikation und Vorurteile sind die Begriffe „Besserwessi“ und „Meckerossi“. Diese Begriffe stammen aus der Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands und bezeichnen abwertend West- bzw. Ostdeutsche. Der „Besserwessi“ wird als überheblich und belehrend dargestellt, während der „Meckerossi“ als ständig nörgelnd und unzufrieden beschrieben wird. Solche Vorurteile und herablassenden Bezeichnungen führen zu Missverständnissen und Spannungen zwischen den Menschen und verhindern eine offene und respektvolle Kommunikation.
Zwar wird Cindy von ihrer Stiefmutter und den Stiefschwestern schlecht behandelt, doch hat sie in Ost-Berlin ihre eigene Gruppe um sich, in der sie sich wohlfühlt und Unterstützung erfährt. Erst durch den Kontakt mit den Westlern und deren Geschenk gerät Cindys Welt aus den Fugen. Die Westverwandtschaft konnte sich nicht in Cindys Lage einfühlen und brachte ihr aus Belanglosigkeit eine VHS-Kassette mit. Dass Cindy statt einer VHS-Kassette lieber eine Karte für die echte Vorstellung gewünscht hätte, kam den Westlern nicht in den Sinn. Diese Herablassung führte dazu, dass Cindy ihre bisherige Lebensweise und ihre Gruppe in Frage stellte und sich minderwertig fühlte. Die farbenprächtige und magische Welt der Musicalvorstellung, die sie auf der VHS sah, eröffnete ihr zwar neue Möglichkeiten, verursachte aber auch Verunsicherung und ein Gefühl der Entfremdung.
In der Aufführung von „Good Bye Lenin!“ wird die Herablassung in der Beziehung zwischen den Bewohnern der ehemaligen DDR und den Westdeutschen thematisiert. Nach der Wende bringen die Westverwandten neue Konsumgüter und westliche Kultur nach Osten und drängen diese den Ostdeutschen aus deren Perspektive auf. Für viele Ostdeutsche fühlt sich diese Begegnung oft herablassend an, da ihre bisherige Lebensweise und kulturelle Identität abgewertet werden. Alex Kerner, der Protagonist des Stücks, fühlt sich schlecht behandelt, weil seine kulturelle Identität und sein bisheriges Leben abgewertet werden.
In den Geschichten in „Cinderella“ um Cindy und „Good Bye Lenin“ um Alex wird dieser Typus des „Besserwessis“ als Klischee gezeigt. Die Westverwandten von Cindy oder die sich „überlegen fühlenden“ Westler aus Good Bye Lenin sind genau solche Stereotypen. Diese Darstellung ist problematisch, da sie bestehende Vorurteile verstärkt und die Kluft zwischen verschiedenen Gruppen vertieft. Solche Stereotypen fördern negative Einstellungen und verhindern, dass Menschen einander unvoreingenommen begegnen und respektvoll miteinander umgehen.
Wenn eine Person mit geringem Selbstwertgefühl wie Cindy oder Alex auf eine Person trifft, die Halbwahrheiten verbreitet, kann dies schwerwiegende Auswirkungen auf ihr emotionales Wohlbefinden und ihre Selbstwahrnehmung haben. Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sind oft anfälliger für negative Einflüsse von außen und neigen dazu, die Meinungen und Informationen anderer über ihre eigene Realität zu setzen. Wenn diese Informationen Halbwahrheiten sind, kann dies zu Unsicherheit und weiterem Verlust des Selbstwertgefühls führen. Eine Person, die Halbwahrheiten verbreitet, kann die Unsicherheit und Schwäche der anderen Person ausnutzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen oder sich selbst in einem besseren Licht darzustellen. Dies kann die betroffene Person weiter entmutigen und sie daran hindern, ihr eigenes Potenzial zu erkennen.
Ein weiteres literarisches Beispiel für die Auswirkungen von Halbwahrheiten und manipulativer Beeinflussung ist der Protagonist Felix Krull aus Thomas Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (verfilmt 2021)“. Felix Krull ist ein charismatischer Hochstapler, der sein Umfeld durch eine Mischung aus Lügen und Halbwahrheiten manipuliert, um seinen eigenen Vorteil zu erlangen. Er nutzt die Schwächen und Unsicherheiten der Menschen um ihn herum aus, um sein eigenes Ziel zu erreichen. Ihm geht es um den Aufstieg in eine vermeintlich bessere, gesellschaftliche Schicht. Thomas Mann hat Krulls fiktive Biografie übrigens nie vollendet, vielleicht, weil der Schriftsteller in diesem Werk so viel von sich preisgibt und persönliche Sehnsüchte und Ängste einfließen.
Felix Krull geht es weniger um Selbstoptimierung, als um die Gunst, der ihm verfallenen Mitmenschen. Cindy dagegen sehnt sich nach Erfolg und Glamour. Mit wenig Selbstwertgefühl spürt sie die Herablassung ihrer Umgebung gegenüber einem „Mädchen aus Ost-Berlin“. Schnell kann sie das Opfer von Halbwahrheiten werden, weil sie durch den Traum vom „goldenen Westen“ verunsichert wird. Ihre geringe Selbstachtung und das Gefühl der Minderwertigkeit machen sie anfällig für die Beeinflussung gerade durch diejenigen, die ihre eigenen Interessen verfolgen, wie ein Felix Krull.
Wenn Menschen mit geringem Selbstwertgefühl auf Personen treffen, die Halbwahrheiten verbreiten, können sie in ihrer Unsicherheit weiter verstärkt werden. Dies kann zu einem Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Manipulation führen.
Danke für den interessanten Beitrag und das Image by Ralf Ruppert from Pixabay
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