Der Song von Stefan Waggershausen „Hallo Engel“ aus dem Jahr 1980 beschreibt humorvoll die Begegnung mit einem Engel, den man fragen könnte, wie es den lieben Verstorbenen im Himmel so gehen könnte. Es geht im Text um viele bekannte Größen, die jung gestorben sind und nun im „Club 27“ weiter musizieren. Der Gedanke, dass das Leben „irgendwie weitergeht“ hat nicht nur Udo Lindenberg in seinem Song „Jack“, indem es um den plötzlichen Unfalltod eines Freundes geht, sehr bewegt.
Schaut man sich auf dem Frankfurter Hauptfriedhof einmal genauer um, dann findet man genau diese Botschaften, von „wir sehen uns wieder“ bis zu „es geht immer weiter“. Als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits gelten seit ewigen Zeiten die Engel, die ich in der letzten Woche einmal wieder besucht habe.
Einige der steinernen Beobachter scheinen inzwischen eine Restaurierung erfahren zu haben, denn sie strahlen makellos, andere dagegen hätten es bitter nötig. Gewissermaßen „kopflos“ schauen sie einer ungewissen Zukunft entgegen. Oder sind sie gar Opfer einer Zerstörungswut geworden, von der nicht nur die Frankfurter Stadtführerin einiges Beklagenswertes zu erzählen hat? Ich bin sicher, dass sie nicht kampflos ihren Gegnern das Feld geräumt haben. Denn so etwas wie eine „himmlische Gerechtigkeit“ muss einfach sein, auch wenn manchmal Köpfe rollen müssen.
Die Grabgestaltungen waren früher eher Massenproduktion, heute wird versucht, mehr individuell zu gestalten, aber die Friedhofsordnung hält da schon ihre Hand darüber. Melancholisches trifft Schönheit, vorwiegend weiblich und in Stein modelliert, mit angedeuteten Schleiern und Gewändern. Aber auch männliche himmlische Anmut ist zu finden, mit wundervollem Körperbau. Sind unsere Gedanken erotisch, oder werden wir dazu eingeladen? Die Engel jedenfalls haben entrückte Blicke gen Himmel oder auf die darunter liegende Erde. Sie blicken uns nicht an, teilweise sind auch ihre Arme verschränkt. Ein „noli me tangere“, häufig übersetzt mit „rühre mich nicht an“.
Im berühmten Arkadengang sieht man sie auch, die Kopflosen auf den Familiengrabstätten, denen ein „Schönheitssalon durchaus gut täte“ wie ich sehr amüsiert im Beitrag „Bilderwelten“ nachlesen kann. „Wiedersehen ist unsere Hoffnung und unser Trost“ steht da und verweist wiederum darauf, dass nichts endlich ist, sondern weiter geht, nur wie, das weiß halt Keiner.
Auch auf den Grabsteinen lässt sich beim Weiterschlendern irdische Hoffnung auf himmlische Wiederbegegnung entdecken. So wie auf dem Grabmal von Bertha Weiss. Die mit 20 Jahren im Jahr 1895 starb und mit den Worten „Holder Engel schlumm‘re süß …“ von ihren Liebsten verabschiedet wird. Weiter im Text wird die Hoffnung auf eine erneute Vereinigung im Paradies in Aussicht gestellt. Auch Hugo Kessler, den Sohn der Frankfurter Bankiersfamilie, hat das Dasein als Engel früh ereilt, er ist mit 20 Jahren im Main ertrunken. Die untröstlichen Angehörigen widmeten ihm den Spruch: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“.
Und auch die FAZ versteht als „Einspruch gegen die Vergänglichkeit“ das von Hermann Hesse in Stein gemeißelte Gedicht „Stufen“ auf dem Grab des 2002 verstorbenen Verlegers Sigfried Unseld. Heißt es doch zum Schluss: Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden. Wohlan denn Herz nimm Abschied und gesunde!“
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Herrmann Hesse
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Danke an Martin Loos für das Bild des Frankfurter Hauptfriedhofs
Das Prinzip Hoffnung ist auch auf dem Friedhof, wo die Nähe zum Tod so unmittelbar ist, überall zu spüren!