Seitdem ich das Seminar zur „Trauerkultur im Wandel“ angekündigt habe, bekomme ich viele interessante Literaturtipps und auch Bücher, die sich auf verschiedene Weise mit der Thematik beschäftigen.
Ein reich bebilderter Band, gewissermaßen ein Klassiker auf diesem Gebiet, stammt von Philippe Ariès, einem persönlichen Freund von Michel Foulcault.
Vielen herzlichen Dank für Deine Anregungen, liebe Irma Hansmann!
Während der Tod im Abendland über fast zwei Jahrtausende lang als ein Bestandteil des Lebens galt, er wurde akzeptiert und häufig als eine letzte Lebensphase der Erfüllung empfunden, vollzog sich seit dem 19. Jahrhundert ein entscheidender Wandel. Der Tod gilt nun als angsteinflößend, unfassbar und muss mit allen medizinischen Mitteln bekämpft werden. Gestorben wird (gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wieder deutlich geworden), nicht umgeben von Familie und Freunden, sondern einsam und der Öffentlichkeit entzogen. Die Menschen werden institutionalisiert und um ihren selbstbestimmten, individuellen, ‚eigenen‘ Tod betrogen.
Zu dieser Auffassung gelangte schon der berühmte Philippe Ariès (1914-1984), ein französischer Historiker und Kulturanthropologe. Ihn interessierte die abendländische Einstellung zum Tode vom 9. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Seine Forschungsarbeiten darüber dauerten 20 Jahre lang. Er sichtete archäologische, literarische, liturgische und anthropologische Quellen, untersuchte Sterberiten und Bestattungsbräuche, studierte die Geschichte der großen städtischen Friedhöfe. Darüber hinaus interessierte ihn die Einstellung des Menschen zum Tod und Sterben im Wandel der Zeiten.
In seinem bedeutenden Werk „Bilder zur Geschichte des Todes“ (1984) wagt er auch einen Blick in die Zukunft. Unter der Überschrift „Und heute?“ konstatiert er den gewaltigen Umschwung durch „die Verdrängung des Todes aus dem Bereich des öffentlichen ‚Gesichts-Kreises‘“ und das Zurückweichen „ins Geheimnis des häuslichen Privatraumes oder der Krankenhausanonymität“.
Im letzten Kapitel zeigt er den Wandel in der darstellenden Kunst auf. Der Tod trete nun im Spiegel der Kunst anders hervor. Seine neuen und absonderlichen Gesichter zeigten sich aktuell in Form von Comic strips, in Gestalt von Außerirdischen oder in Sternenkriegen der Science-Fiction-Literatur. Ariès konstatiert dazu: „außergewöhnliche Visionen, die wenig Beziehung zur Alltagserfahrung haben, wahrscheinlich sogar der imaginären Bildwelt des Barocks näherstehen, ohne sich bereits die Kohärenz und die Bedeutsamkeit der langen Bildfolgen der Vergangenheit zu eigen gemacht zu haben.“ (Ariès 1984, S. 280)
Daraus folgert er, die zögernde symbolische Darbietung des Todes – für unsere Kultur bezeichnend – bringe zum Ausdruck, dass der Tod in der Zukunft der säkularisierten Welt ein nicht darstellbares und nicht vorstellbares „Nichts“ sei. Dieses „Nichts“ lade aber gerade Filmemacher oder Cineasten dazu ein, mit ihren bewegten und bewegenden Bildern etwas Tiefliegendes, Verborgenes zum Ausdruck zu bringen. Dies zeige sich, so Ariès, zum Beispiel in einer Szene im Film „Schreie und Flüstern“ von Ingmar Bergmann: das Dienstmädchen Anna, eine schöne junge blühende Frau, umarme ihre todkranke Herrin und vermittele damit Mitleid und lebenseinhauchende Wärme. Auf den Jahrtausende lang währenden Kampf zwischen Leben und Tod, Zärtlichkeit und Liebe, Herz und Fleisch würde in dieser Bildszene angespielt.
Ariés selbst interpretiert die Szene anders. Indem die junge Anna ihre Brust entblößt, um die totkranke Herrin zärtlich wie ein Kind durch Liebe zu ‚stillen‘, könne man auch eine biblische Bedeutung implizieren. Dadurch „daß der Pastorensohn Bergmann sich des Abschnitts im Buch der Könige (IV, 4) erinnert hat, wo der Prophet Elia einen Jugendlichen (puer) wieder zum Leben erweckt.“ Elia schmiegt sich ganz eng an den Jüngling und ruft den Herrn an mit „incurvavit se super eum. Und alsbald beginnt der Leib des Jünglings sich zu erwärmen“.
Ich freue mich sehr auf dieses so anregende Seminar, zu dem sie sich bei der U3L jetzt anmelden und ab 1. April auch in die Onlinelernplattform OLAT einschreiben können.
Wir sehen uns dann sowohl in Präsenz als auch in den ergänzenden Onlineseminarstunden.
Danke für das memento mori von Gordon Johnson auf Pixabay