Opern spiegeln oft ihre Entstehungszeit wider. Lucia di Lammermoor ist eine Oper in zwei Teilen und drei Akten von Gaetano Donizetto, die 1835 uraufgeführt wurde. Es geht um eine Familiengeschichte, das verfeindete Familiengeschlechts Ravenswood, dem Gefahr droht, um Träume, die von Unheil künden – Lucia sieht eine tote Frau und die Quelle, in die man ihre Leiche warf, färbt sich rot wie Blut,- entsagender Liebe, Edgard muss das Land verlassen, man gaukelt Lucia seine Untreue vor, eine politische Ehe mit Lord Arthur. Der Albtraum beginnt – nachts unter Blitzen und Donner, in Wahn und Blut, eine Leiche, noch eine und eine letzte…
Unser Kulturbotschafter hat sich die Oper für uns angesehen und kommentiert.
Liebes UniWehrsEl
am 13. Juni habe ich bei Operavision die Neuinszenierung der Oper Lucia di Lammermoor im Streaming der Oper Hamburg geschaut. Lucia di Lammermoor basiert auf der im 19. Jahrhundert sehr beliebten Schauergeschichte die Braut von Lammermoor von Sir Walther Scott.
Da zu Donizettis Zeiten Mode war, sich aus dem Publikum bereits bekannten Stoffen zu bedienen ohne den Autor zu fragen, haben dies Komponisten gerne getan. Die Regisseurin Amélie Niermeyer deutet den Stoff jedoch völlig anders.
Am Anfang des Stücks sieht der Zuschauer eine Gruppe von Frauen, die gegen die Unterdrückung der Frau im Allgemeinen in Englischer Sprache protestieren. Das erinnert entfernt an die Aktivistinnen von Femen (junge Ukrainerinnen demonstrierten einst mit nackten Brüsten), die für Frauenrechte demonstrieren.
Das Motiv der die Gesellschaft anklagenden Frauen ist jedoch deutlich älter, z.B. die griechischen Klagefrauen, welche den Verlust ihrer Männer durch den trojanischen Krieg beklagen. In der Denkrichtung der Regie ist Lucia also ein weiteres Opfer des Patriarchats und somit nur ein Fallbeispiel von vielen Frauen, welche ihre Rechte nicht gegen Männer durchsetzen können.
Die Regie nimmt also die Schauergeschichte für bare Münze und interpretiert sie als gesellschaftliche Problem. Das Patriarchat wird als gesichtsloser männlicher Chor mit fleischfarbenen Masken dargestellt. Diese Protagonisten haben keine eigene Meinung und verstecken sich hinter gesellschaftlich eingeübten Regeln, die wohl nur Männern verständlich sein sollen. Frauen haben sich in dieser Gesellschaft unterzuordnen. Dies scheint Lucia nur bedingt zu gelingen.
Statt böser Vorahnungen beim Aufstehen begleiten Lucia diese Klageweiber in Videosequenzen und erinnern sie daran, sich nicht von den Männern unterbuttern zu lassen. So widersteht Lucia also durch die Kraft der weiblichen Aktivistinnen der Versuchung, sich ihrem Bruder und der Kirche unterzuordnen.
Zwar wird auch diese Lucia gegen ihren Willen in ein weißes Brautkleid gesteckt, doch der Mord an ihrem Ehemann wird als feministischer Befreiungsschlag umgedeutet. Aus Sicht der männlich-dominierten Gesellschaft ist Lucia daher “verrückt” geworden und wird wie ein kleines Kind an ein Bett gekettet und vergessen. Der Schlüssel für das Zimmer wird weggeworfen.
Lucia ist also nicht wirklich tot, sondern nur gesellschaftlich tot. Da es in dieser Inszenierung anscheinend nur um die weibliche Sicht auf Lucia geht, wird das männliche Duell zwischen dem Bruder von Lucia und ihrem Geliebten einfach gestrichen und die Oper um 20 Minuten gekürzt. Botschaft für männliche Hahnenkämpfe ist in dieser Oper kein Platz. Für den Opernfan ein Verlust, weil dieses Duett hätte man gerne von den gut aufgelegten Sängern gehört.
Daher überrascht es schon ein wenig den Zuschauer, dass die Regie die Oper nicht mit Lucias Wahnsinnsarie enden lässt, sondern wie üblich dem Tenor das letzte Wort überlässt. Dieser ist angesichts des vermeintlichen Todes – Lucia ist wie bereits erwähnt im Nebenzimmer quicklebendig – so betrübt, dass er sich selbst erschießt.
Die Selbsttötung scheint ihm der einige Ausweg zu sein, sich der männlich dominierten “toxischen” Gesellschaft zu entziehen. So erlebt der Zuschauer eine neuartige Interpretation einer altbekannten Schauergeschichte, die früher gerne in Salons der guten Gesellschaft gelesen wurde.
Wer nun Lust bekommen hat sich die Lucia anzuschauen, kann dies drei Monate bei Operavision abrufen. Die Sängerriege ist sehr gut besetzt. Christoph Pohl als Enrico zeigt in seiner Schlussszene sein sängerisches Können. Das berühmte Sextett aus dem Finale zweiter Akt gelingt mühelos und auch Lucias Wahnsinnsarie von Venera Gimadieva gesungen ist überzeugend.
Der Opernliebhaber kommt also auf seine Kosten. Einzig die musikalische Leitung unter Giampaolo Bisanti hätte an der ein oder anderen Stelle weniger schnell dirigieren können und etwas mehr die Dramatik betonen können.
https://www.staatsoper-hamburg.de/de/spielplan/stueck.php?AuffNr=169926