You are currently viewing Leserbrief: Melancholie und die tschechische Seele

Auf der Suche nach weiteren Personen, die sich spontan mit dem Themenbereich der Melancholie verbinden lassen, bekam ich diesen Leserbrief von Frau Jutta Fey, die in unseren Seminaren schon viele interessante Anregungen zu den jeweiligen Themengebieten gab.  Herzlichen Dank, liebe Frau Fey, für den durch Sie nun gedanklich angestoßenen Beitrag.

Liebe Frau Dr. Wehrs,

mir fiel spontan Kafka und auch Thomas Mann ein. Und tatsächlich habe ich auch im Deutschlandfunk einen Beitrag zu Melancholie und Kafka gefunden. In dem Artikel geht es auch um Lenka Reinerová, über die ihre Tochter ein Buch geschrieben habe und das ich kürzlich gelesen habe, Anna Fodorová “Lenka Reinerová, Abschied von meiner Mutter”. Auch in diesem Buch habe ich eine Melancholie verspürt in Bezug auf Prag und Tschechien. Darüber gibt es ebenfalls einen Beitrag im Deutschlandfunk. Die Links zu den Beiträgen füge ich an. (im Text von mir eingefügt!) Ich bin sehr gespannt auf das Seminar!

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit!
Beste Grüße
Jutta Fey

In dem von Frau Fey vorgeschlagenen Buch von Martin Becker „Warten auf Kafka“ geht es um den Gedanken, die tschechische Seele zu beschreiben. In den Geschichten spielen Humor und Melancholie eine entscheidende Rolle. Die „literarische Seelenkunde Tschechiens“ beschreibt, welche Orte als Inspirationsquellen eine gewichtige Rolle spielen. Tschechien hat eine lange Tradition der Kneipenkultur, mit einem „Reservoir an Geschichten“, in denen „Schweiijk‘scher Humor und Hrabal’sche“ Melancholie präsent sind.

Der Schwejk’sche Humor ist fast jedem bekannt. „Der brave Soldat Schwejk“ nach Jaroslav Hasek zeichnet sich im Film mit Heinz Rühmann durch Naivität und Bauernschläue aus. Er schlawinert sich damit durch den Ersten Weltkrieg. Anders die Melancholie des Hrabal.

Der Schriftsteller Bohumil Hrabal gehört zu den Klassikern der tschechischen Literatur. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. So zum Beispiel auch die „Allzu laute Einsamkeit“, die er gleich in drei Versionen geschrieben hat.

„Fünfunddreißig Jahre arbeite ich in Altpapier, und das ist meine Lovestory. Fünfunddreißig Jahre presse ich Altpapier und Bücher, fünfunddreißig Jahre beschmutze ich mich mit Lettern und bin fast schon wie die Enzyklopädien, von denen ich während dieser Zeit an die dreißig Tonnen zerpresst habe.“

Bohumil Hrabal

Er portraitiert in seinen Büchern Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, Charaktere, die ein reiches Innenleben, aber wenig finanzielle Güter besitzen.

Die tragische Geschichte der Tschechen spiegelt sich nicht nur in Büchern, sondern auch im Leben der Schriftstellerin Lenka Reinerová (1916-2008) wider. Deren Leben auf der Flucht vor Nationalismus und Kommunismus für Martin Becker als exemplarisch für das kleine, immer wieder in die Zange genommene Land gelte.

Mit dem Tod von Lenka Reinerová endet eine Epoche. So beschreibt es der Deutschlandfunk. Frau Feys Buchtipp zeigt wie die Tochter von Reinerová Anna Fodoravá von Traumata und Verlusten und ihrer besonderen Mutter-Tochter-Beziehung berichtet.     

Für mich taucht nun spontan die Frage auf, wenn es so etwas wie eine “tschechische Seele” gibt, die durch Humor und Melancholie gekennzeichnet und sehr viel mit der Geschichte des Landes zu tun hat, könnte man Ihrer Meinung nach auch von einer “deutschen Seele” sprechen? Welche Ereignisse wären dann für Sie besonders prägend gewesen?

Danke für das Foto von Michal Jenik auf Pixabay!