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Projektlabor “ÜberLebensKunst”

Jacobswegweiser
Jacobswegweiser

Ich habe keine klare Vorstellung was mich erwarten wird, als ich mich im Sommersemester 2020 in diese Projektgruppe einschreibe. Es locken mich der interdisziplinäre Ansatz der beiden Dozentinnen und die Aussicht auf den Austausch und die Zusammenarbeit in einer Gruppe rund um das Thema ‚Stadt und Natur‘.

Es stellt sich schnell heraus, dass unsere Sichtweise auf die Stadt Frankfurt gefragt ist, die jede:r  Studierende in einem Beitrag darstellen kann, um sie so den anderen Teilnehmern näher zu bringen. Wir machen uns als Stadtforscher:innen auf den Weg einen uns persönlich interessierenden Teilbereich des städtischen Raums  auch unter kulturwissenschaftlichen Aspekten zu betrachten und  darzustellen. Gruppenarbeit ist angedacht und erwünscht.

Die Idee zu einem Beitrag bringe ich bereits aus einem vorangegangenen Seminar mit dem Thema ‚Alltagskultur und Natursehnsucht‘ bei Frau Dr. Wehrs mit. Ich habe dort in einem Referat über das Unterwegssein auf dem Bonifatiusweg von Mainz nach Fulda berichtet. Es gilt nun diesen zunächst allgemein auf das Wandern auf einem Pilgerweg bezogenen Bericht in Bezug zur Stadt Frankfurt zu setzen. Wie fühlt es sich an, in Frankfurt – mitten in einer Großstadt – auf Pilgerwegen unterwegs zu sein?

Im Verlauf der Semester werden die Forschungsmethoden immer klarer, mit denen der Blick auf die Stadt und ihre verschiedenartigen Lebensräume gerichtet werden kann. Teilnehmende Beobachtung in den Onlineseminarstunden, nosing around in Frankfurt, das Herstellen von biografischen Zusammenhängen und historische Kulturanalyse werden so nach und nach zum alltäglichen Handwerkszeug. Ich fange an, meine Stadt anders wahrzunehmen, durchstreife neugierig Gegenden, denen ich bisher nichts abgewinnen konnte und stelle zu meinem eigenen Erstaunen gerade dort Bezüge zwischen Gegenwart und Vergangenheit her.

Bei meinem zweiten Beitrag für das Projekt steht das Eintauchen in die Historie der Stadt im Vordergrund. Je näher ich bei meiner Nachforschung zur Namensgeberin des Waldspielparks Louisa, der Frau, die hinter diesem Namen steht, auf die Spur komme, desto mehr Fragen tauchen auf, denen es sich lohnen würde in einem größeren Zusammenhang nachzugehen. Geboren wurde sie 1792 in einer holländischen Kolonie in Mittelamerika, heiratete in Amsterdam mit 18 Jahren den 25 Jahre älteren Frankfurter Bankier und Diplomaten Simon Moritz von Bethmann. Wie war das damals mit dem Geschlechterrollen? Wie vereinbarte sich die Kaufmanns- und Bankierstätigkeit mit politischer Arbeit für die Stadt? Welche Bedeutung hatte und hat die Familie Bethmann in der Stadt Frankfurt? Auch hier lassen sich wieder viele Spuren in der Stadt in die Vergangenheit zurückverfolgen.
Die Themenvielfalt der Beiträge der Mitstudierenden verschaffen mir weitere neue Einblicke und Zugänge zur Stadt. Ich lasse mich auf ihre Blickwinkel und ihre Begeisterung ein. Die Stadt gewinnt für mich durch ihre Augen neue Seiten.

Die größte Herausforderung in der Umsetzung der Seminararbeit ist sicher für alle der der Corona-Pandemie geschuldete Umstand, dass unsere Zusammenarbeit fast ausschließlich digital stattfinden muss. Dennoch gelingt uns auch so ein produktiver Austausch über die einzelnen Beiträge. Unterstützt wurden wir tatkräftig von den beiden Dozentinnen mit fachlichen Anregungen, auch zum wissenschaftlichen Unterbau unserer Herangehensweise an die Erstellung der Beiträge. Der Sommer 2020 mit den niedrigen Corona-Inzidenzen erlaubt uns in den Semesterferien ein paar gemeinsame Spaziergänge auf den Spuren des einen oder anderen Beitrags. Diesen direkten persönlichen Kontakt genießen wir sehr. Nun stehen 15 Beiträge bereit, um in einem kleinen Magazin den Leser:innen  neue und andere Einblicke auf die Stadt Frankfurt zu ermöglichen. Das ist unser gemeinsames Produkt nach vier Semestern gemeinsamer Arbeit. Ich durfte meinen Anteil dazu beitragen, das macht mich stolz und freut mich. 

Wir haben diskutiert, debattiert und gerungen um Form und Inhalt der einzelnen Beiträge. Wir haben den gemeinsamen roten Faden gesucht, der unsere individuellen Ansätze verbinden soll. Manchmal schienen wir auf der Stelle zu treten und sind in der Auseinandersetzung doch vorangekommen. Ein Kompromiss für das Erstellen der End-Datei ist gefunden. Ich habe gelernt, dass es in diesem Prozess der Annäherung an ein Endprodukt wichtig ist, zuzuhören, andere Meinungen zu akzeptieren, auf andere zuzugehen und die bestehenden Differenzen auszuhalten im Vertrauen darauf, dass alle vier Semester gemeinsame Arbeit mit einem vorzeigbaren Ergebnis krönen wollen. Und wenn am Ende alles gut wird, dann wird vielleicht aus der PDF-Datei auch noch ein Buch.

Ich danke den beiden Dozentinnen und allen Mitstudierenden für vier Semester anregende, intensive Arbeit. Schade, dass sie zu Ende geht, es gäbe noch so viele interessante Aspekte der Stadt zu entdecken. Seitdem ich mit derart geöffneten Augen durch die Straßen, Wege und Plätze streife, scheinen Themen an jeder Ecke zu lauern.

Frankfurt im Dezember 2021                                Anne Winckler