You are currently viewing Der „Mehrwert“ durch Forschendes Lernen im “Projektlabor ÜberLebensKunst“

Grundlegende Verfahren zur Entdeckung der sozialen Welten der Stadt wurden in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts in der Chicago School etabliert. Der Umgang mit Interviews, das sogenannte „Mapping“ („Mental Maps“), die Dokumentenanalyse, die Feldforschung und die Teilnehmende Beobachtung gehörten zu den Erhebungsmethoden, zu denen Roberrt Ezra Park seine Studierenden anhielt. Bevor die Studierenden gezielt Methoden anwenden sollten, galt es erst einmal im Feld „Herumzuflanieren“ und sich überraschen zu lassen. Das „Herumschnüffeln“ (nosing around“) bedeutet, seine Vororientierungen aufzugeben und die Stadt mit allen Sinnen wahrzunehmen.

Das nosing around, das Herumbummeln, Herumschnüffeln, hat Robert Ezra Park von der Chicago School geliebt. Park war ein unermüdlicher Fußgänger, der die Stadt Chicago kreuz und quer nach allen Richtungen hin durchstreift und seine Beobachtungen notiert hat. Das erinnert an die Figur des „Flaneurs“, die von Walter Benjamin gezeichnet wurde. Nosing around ist eine Wendung aus dem Reporter-Jargon. Park hat als Journalist angefangen, später aber die prekäre Berufssituation von Journalisten betont, wenig Verdienst und kaum Aufstiegsmöglichkeiten, und den Journalisten zudem ein heimliches Suchmotiv unterstellt: der Reporter als Interim auf dem Weg zum Schriftsteller. Als die University of Chicago 1896 ihren Lehr- und Forschungsbetrieb aufnahm, begann Park seine Lehrtätigkeit an der Chicagoer Schule der Stadtethnographie. Geprägt durch seine Erfahrungen im Journalismus und der Reportage hat Park eine ganz besondere Art der Entdeckung der Stadtkultur entwickelt (vgl. Lindner: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage, 1990).

An diesen Punkt der Projektarbeit mit Studierenden des dritten Lebensalters knüpften die Vermittlung von Grundlagenforschung und die Aneignung von angewandter Forschung an. Den Studierenden waren Begriffe und Methoden der Architektur, Kunst oder Kulturanthropologie unbekannt, somit war ihnen der Umgang mit ihnen auch nicht vertraut.  Eine reine Methodenlehre erschien nicht Ziel führend. Dementsprechend wurde in die Forschung durch „learning by doing“ eingeführt. Ziele waren Erkenntnisgewinn und Freude an einem selbstständigen Forschungsprozess unter wissenschaftlicher Anleitung.

Zur Sammlung von Eindrücken der Sinneswahrnehmung im Feld und zur reflexiven Raumerforschung und Orientierung wurde mit einem „Wahrnehmungsspaziergang“ begonnen. Auch wenn dieser aufgrund der Onlineprojektforschung nicht gemeinsam durchgeführt werden konnte, so wurde doch eingehend im Forum in den Onlineveranstaltungen über diese Erfahrungen reflektiert. Die Erforschung der Stadt mit praxisnahen Methoden und der gemeinsam erlebte Gruppenprozess in einer Onlineprojetforschung sind das Ergebnis des „Projektlabors ÜberLebensKunst“. Zu diesen Forschungsmethoden zählen neben den individuellen Erfahrungen der Studierenden auch das Beschreiben des Forschungsfeldes, und vor allem worin sich das persönliche Interesse an diesem Forschungsfeld begründet.

Entstanden sind methodisch gesehen am Beispiel der Erforschung der Stadt Frankfurt sogenannte „Autoethnographien“. Ihr Sinn ist es, persönliche Erfahrungen zu beschreiben, sich damit auseinanderzusetzen, zu verstehen, um damit für sich selbst zu neuen Einsichten durch den Forschungsprozess zu gelangen. In den Onlineprojektlaborstunden wurde auf die Verstehens- und Interpretationsprozesse der beteiligten Akteure fokussiert und dabei versucht, anhand der eigenen Reflexion zu erkennen, welche große Rolle der Diskurs und seine Analyse im Verstehensprozess spielen.

Zu einem wesentlichen Bestandteil geriet die „Erhebung von Bildmaterial“, Visuelles Forschen, die Stimulierung des Gedächtnisses, um Erinnerungsarbeit zu leisten, war ein sehr erfolgreicher Weg, um auch den Mitstudierenden Eindrücke zu vermitteln und bestimmte Forschungsfelder sichtbar werden zu lassen. In den Projektlaborstunden wurden zunächst Bilder zum Beobachtungsgegenstand gezeigt und dazu erläuternde „Feldnotizen“ angeführt. Vor dem endgültigen Schreiben eines Beitrages hatte jeder der Teilnehmenden zunächst seine Eindrücke, Erwartungen und Befindlichkeiten bei der Erhebung notiert. Diese wurden dann in selbst-reflexiver Art und Weise den Projektteilnehmern präsentiert. Bei den Beteiligten führte das zur Sensibilisierung für das Forschungsfeld, aber auch zur Fremd- und Eigenanalyse des Forschungsprozesses. Einige Projektteilnehmende nutzten „Mental Maps“, um ihre räumlichen Beschreibungen zu skizzieren und um ihr persönliches Erleben der räumlichen Umgebung darzustellen. In zahlreichen Onlinegesprächen wurde deutlich, wie wesentlich für den eigenen Forschungsprozess und das Weitergeben des Erlebten, solche skizzierten Wahrnehmungsperspektiven und auch emotionell erlebte Eindrücke sind.  

In unserem Forschungskreis, der in der Regel aus ca. 25 teilnehmenden Schreibenden und beobachtenden Nichtschreibenden bestand, wurde spielerisch in die Methode des „Qualitativen Interviews“ eingeführt. Der jeweils sein erforschtes Gebiet Vortragende wurde als „Experte“ für seine Feldforschungen von uns betrachtet. Dabei konnten wir in narrative, erzählende und biografisch erlebende Gesprächssituationen eintauchen, die für alle Anwesenden die Erschließung des Feldes und der dabei gemachten Erfahrungen ermöglichten. Auch die „Teilnehmende Beobachtung“ konnte während unserer Diskussionen in den Semesterstunden erfahren werden. Da geriet der Seminarraum zum Forschungsaufenthalt, mit den systematischen Beobachtungen von Erfahrungen einer gemeinsam erlebten Gruppenarbeit. Dieser Gruppenprozess hat sicherlich jedem Teilnehmenden einen anderen Blickwinkel auf das Forschungsfeld Frankfurt, auf die gemeinsame Arbeit in einem Onlineprojektlabor, auf weitere eigene Erkenntnisse über sich selbst ermöglicht. Zuweilen bekam da das Thema der „ÜberLebensKunst“, ursprünglich eine Wortkombination aus „Über Leben und Kunst“ eine nochmals ganz andere Konnotation.