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Nein, hier steht nicht die Interpretation von Edward Hoppers berühmtem Bild „People in the Sun“ im Fokus, sondern eine für uns nicht ganz alltägliche kleine Sightseeing-Bootsfahrt auf dem Main. Angekündigt als 50-minütige Tour flussaufwärts, beginnt sie um 14:00 Uhr.

Es ist unsere Abschlussfahrt des U3L-Seminars „Projektlabor ÜberLebensKunst“ und bedeutet, dass wieder ein erfolgreiches Sommersemester hinter uns liegt. Das Besondere daran ist, wir sehen uns nach ausschließlicher Onlinebegegnung nach langer Zeit erstmals in Präsenz wieder oder überhaupt zum ersten Mal. Das gibt nun zuweilen eine große Überraschung, weil eine virtuelle Übertragung per Zoom die Leute ganz anders erscheinen lässt als ein „Face to Face“.

Menschen und virtuelle Veranstaltungen werden nun mal komplett anders wahrgenommen als ihre Offline-Pendants, d.h. weniger intensiv, erlebnisreich und sinnlich. Das scheint für Teilnehmer wie Veranstalter in gleichem Maße zu gelten.  Ein lebendiges, fröhliches Gegenüber, von dem jetzt mehr als nur das leicht erstarrte Bildschirmgesicht zu sehen ist, lässt Erstaunen aufkommen. Wobei das ‚Nicht-Wieder-zu-Erkennen‘ zuweilen doppeldeutig sein könnte. Hinzu kommt dann noch die Begutachtung des restlichen Körperbaus und der Haltung, zuweilen hat Online-Unterricht eben doch Vorteile.

Freude kommt auf, weil es inzwischen etwas Außergewöhnliches ist, so ein gemeinsames Event, raus aus seinem Arbeitsalltag bzw. weg vom Sitzen vorm Bildschirm, was manchmal doch recht eintönig erscheint und zu und schnellerer Ermüdung führen kann.

An Board teilen wir uns in zwei Gruppen, immerhin sind wir 14 Teilnehmende, die Schattensuchenden und die Sonnenhungrigen. Der Lautsprecher tönt: „Sie kommen vorbei an den schönen Ufern des Flusses Main in Richtung Osthafen. Sehen Sie unter anderem die folgenden Sehenswürdigkeiten: Das Viertel Sachsenhausen und das Museumsufer. An der ‚Gerbermühle‘, einem historischen Wahrzeichen für Frankfurts Dichter Goethe, können Sie aussteigen.“

Das lassen wir aber. Während nun einige auf dem „Sonnendeck“ ihre Erlebnisse austauschen, haben andere ihren Stuhl direkt in Richtung Skyline gerückt. Unter anderem gehöre ich zur letzteren Gruppe.

Und da sind sie nun: Meine Assoziationen zu Edward Hopper und „People in the Sun“ von 1960. Es geht mir um die Sitzenden, die Corona bedingt hier auf dem Schiff ihren Platz nicht verlassen sollen. Es scheint mir, als wäre Hopper seiner Zeit voraus gewesen. In einer festgefügten Reihe sitzend, vermittelt das Bild dem Betrachter wenig über Vergnügen und Zerstreuung, obwohl doch der Blick in die Ferne auf die wunderbare Natur gerichtet zu sein scheint. Diese streng in eine Richtung blickenden und unbeweglich Sitzenden wirken wie Zierpflanzen in einer Rabatte, wie Menschen, die einem einstudierten Theaterstück folgen.

Max Horkheimer oder Theodor Adorno nannten sie in der „Dialektik der Aufklärung“ die „Freizeitler“, die in ihrer Freizeit der Freiheit beraubt werden. In meinem kleinen zur Zeit eingeschränkten Blickfeld sehe ich „Menschen in der Sonne“, die allerdings nicht wie bei Hopper aufgereiht auf der Terrasse eines Hauses sitzen. Vielmehr sehe ich die Hinterköpfe von Menschen auf Deck, die erst wieder richtig munter werden, wenn die Skyline der Bankentürme auf der Rückfahrt vor ihnen auftaucht. Da blickt auch der kleine Junge auf, der neben seiner Mutter sitzt und genau wie der Protagonist bei Hopper in sein Buch, in sein Nintendo-Spiel vertieft ist. Und der Kleine blickt zum Schluss hoch in die Sonne. Mit dem Wunder einer Sonnenbrille hat er ein Geheimnis der Natur am Himmel entdeckt